Helden des Alltags

Autor: Monika Goetsch

Ertrinkende im See nahe München! Norbert Freisinger und Michael Hellinger helfen

Der Unterschleißheimer See nahe München: Drei Menschen drohen zu ertrinken. Norbert Freisinger und Michael Hellinger kommen ihnen zu Hilfe. Am Ende überlebt nur einer der drei.

© Stefan Hobmaier

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©© Stefan Hobmaier

Norbert Freisleben liebt es, zu schwimmen. Draußen in der Natur. An einem windigen Juni-Nachmittag radelt er darum mit seiner Familie an den Unterschleißheimer See, unweit von München. Der 44-Jährige, der in einer Wirtschaftsprüfungskanzlei arbeitet, schwimmt hier täglich. Frau und Tochter ist es an diesem Sonntag – bei etwa 20 Grad – zu kalt zum Baden. Sie spazieren lieber um den See.

Freisleben geht an seine gewohnte Badestelle

Ein paar Meter weiter bemerkt er eine Gruppe junger Leute. Ansonsten sind kaum Besucher am See. 450 Meter sind es bis zum anderen Ufer. Freisleben watet die rund fünf Meter bis zu der Stelle, an welcher der Grund des Sees plötzlich steil in die Tiefe stürzt. Mit einem Kopfsprung taucht er ins Wasser. Der 44-Jährige durchquert den See viermal. Hin im Kraulstil, zurück auf dem Rücken, wie immer. Gerade zieht er seine letzte Bahn, als er mit dem rechten Arm auf etwas schlägt. Er stoppt sofort, dreht sich um – und schaut in das Gesicht eines bulligen Mannes.

© Stefan Hobmaier

Heute warnt ein Schild in mehreren Sprachen vor der Gefahr.

Ein Mann versinkt vor seinen Augen – Norbert Freisleben rettet ihn

Freisleben entschuldigt sich, weil er glaubt, den anderen am Kopf getroffen zu haben. Da versinkt der Mann vor seinen Augen! Mit zwei Zügen ist Freisleben um ihn herum, packt den Mann, der kurz wieder auftaucht, unter den Achseln. Leblos hängt der Mann in Freislebens Armen. Mit der einen Hand hält der Retter den massigen Leib, mit der anderen paddelt er Richtung Ufer. Der Mann ist schwer, auch im Wasser. Aus den Augenwinkeln sieht Freisleben am Ufer einen hageren Mann mit einem Handy in der Hand. Er brüllt etwas.

Der schwere Mann reagiert nicht

Freisleben schwimmt weiter ins flachere Wasser. „Hier können wir stehen“, sagt er zu dem Bündel in seinen Armen. Aber der Mann richtet sich nicht auf. Mit Mühe hält Freisleben ihn weiter fest. Der Hagere vom Ufer stürzt hinzu. Springt ins Wasser. Packt mit an. Zusammen schieben sie den Geretteten aufs Gras. „Frau“, ruft der Dünne, der offensichtlich kaum Deutsch spricht immer wieder, „Mann“. Er zeigt auf den See.

Freisleben begreift: es sind noch zwei weitere in Gefahr

„Wir müssen Hilfe rufen“, sagt er. Der Fremde reicht ihm sein Handy. Freisleben wählt den Notruf 112. 100 Meter weiter ist Michael Hellinger im Haus der Wasserwacht mit ehrenamtlichen Aufgaben beschäftigt. Dienst hat der ausgebildete Rettungsschwimmer an diesem Tag nicht. Er hört Schreie. Nicht ungewöhnlich am See. Eltern rufen nach ihren Kindern, Kinder rufen einander zu.

Verzweifelte Schreie! Lebensgefahr

Aber diese Schreie sind anders. Verzweifelter. Der 28-Jährige tritt hinaus auf die Terrasse. Sieht einen Mann im See, der einen offensichtlich Ertrinkenden unterfasst. Hört wieder die Schreie. Hellinger zögert, begreift dann: Da schwebt noch jemand in Lebensgefahr. Er sprintet lost, holt Taucherbrille, Schnorchel und Flossen, rennt zum Ufer. Ein Mann brüllt auf ihn ein. „Mann“, „Frau“, „unter Wasser“.

Hellinger stürzt sich ins Wasser

Freisleben überlässt den Geretteten dem Hageren und folgt Hellinger. Die beiden Helfer verstehen sich ohne Worte. Freisleben schwimmt, Hellinger schnorchelt in Bahnen parallel zum Ufer. Er versucht, etwas zu erkennen. Doch der See ist aufgewühlt. An seiner tiefsten Stelle misst er mehr als zehn Meter.

Hellinger taucht ins Ungewisse. Das Wasser ist trüb

In zwei Meter Tiefe – ein heller Fleck. Er steigt hoch, atmet tief ein, taucht noch mal. Am Boden liegt ein Mensch. Hellinger steigt auf, holt ein letztes Mal Luft. Taucht. Zieht den leblosen Körper nach oben. Im Rettungsgriff schleppt Hellinger den Mann Richtung Ufer. Jemand schwimmt ihm entgegen und hilft ihm, den Körper aus dem Wasser zu tragen. Hellinger beatmet den Verunglückten, macht eine Herzdruckmassage – wieder und wieder.

Er weiß: Es ist noch eine dritte Person im Wasser

Aber er muss hierbleiben, er muss das Leben unter seinen Händen retten. Er weiß auch: die Rettungstaucher müssen gleich da sein. Polizei und Rettungswagen treffen ein. Die Rettungssanitäter übernehmen den Patienten. Gleich darauf sind auch Notarzt, ein ADAC-Hubschrauber, eine Tauchstaffel und die Schnelleinsatztruppe der Wasserwacht vor Ort.

In acht Meter Tiefe bergen Taucher der Feuerwehr die dritte Person. Eine junge Frau

Sie wird wiederbelebt und ins Krankenhaus gebracht. Später stellt sich heraus: Sie ist Mitte 20, stammt aus Polen, genau wie die beiden Männer. Keiner konnte schwimmen. Aus Übermut ging die Frau dennoch baden und versank. Ihre Freunde folgten ihr, um ihr zu helfen.Allem Einsatz zum Trotz konnten die Ärzte das Leben der Frau und des Mannes, den Hellinger vom Seegrund barg, nicht retten.

Rettungsmedaille für Norbert Freisinger und Michael Hellinger

Freisleben steht noch eine Weile am See, in kurzer Hose, Sandalen und in einem Anorak der Wasserwacht. Dann fährt er mit dem Fahrrad nach Hause, wo seine Frau und seine Tochter auf ihn warten. Für ihren mutigen Einsatz ehrt das Land Bayern Freisleben und Hellinger später mit der Rettungsmedaille. Aber als Helden, sagen sie, fühlen sie sich nicht. „Wir haben einfach gehandelt“, erklärt Freisleben.

Seit dem Unglück ist Rettungsschwimmer Hellinger noch aufmerksamer. Er geht jetzt immer mal hin zu Menschen, die am Ufer feiern und macht ihnen klar, wie gefährlich der See für Nichtschwimmer ist.

Der Überlebende trifft später Freisleben am See

Freisleben zieht weiterhin täglich seine Bahnen, bis weit in den Herbst hinein. Im Sommer hat er eine merkwürdige Begegnung. Am Ufer steht ein Mann. Bullig, schwer. Er grüßt Freisleben. Der erkennt ihn sofort – und freut sich: Es ist der Pole, den er aus dem Wasser gezogen hat.