Helden des Alltags

Autor: Ariane Heimbach

Stammzellen-Spende: Daniel rettet Victorias Leben

Die kleine Victoria hat Leukämie. Daniel Witthöft spendet seine Stammzellen und rettet ihr damit das Leben.

Barbara Dombrowski

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©Barbara Dombrowski

Als der Anruf kommt, muss alles sehr schnell gehen. „Die Merkmale Ihres Gewebes stimmen mit dem des Patienten fast vollständig überein. Sind Sie immer noch sicher, dass Sie Knochenmark spenden wollen?“, fragt die Mitarbeiterin der Deutschen Knochenmarkspende (DKMS) Daniel Witthöft am Telefon. „Ich habe nicht einen Moment lang gezögert“, erinnert sich Daniel Witthöft. Klar wolle er das machen. „Dann melden Sie sich bitte umgehend im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf“, heißt es am anderen Ende der Leitung.

Ein Anruf - nur eine Woche später spendet Daniel Stammzellen

Eine Woche später – am 14. Mai 2013 – liegt der heute 23-jährige Hamburger bereits in der Chirurgie des Klinikums. Witthöft ist kerngesund und will sich unter Vollnarkose aus dem Beckenkamm etwa 1,5 Liter blutbildendes Mark entnehmen lassen – weil er damit einem todkranken Menschen helfen kann. Sechs Monate zuvor hatte sich Witthöft bei der DKMS während einer normalen Blutspende als potenzieller Knochenmarkspender registrieren lassen. „Eine gute Sache mit geringem Aufwand“, findet der angehende Polizist. Seither stehen seine Daten in einem zentralen deutschen Register für anonyme Knochenmarkspender.

Daniel hat (fast) einen genetischen Zwilling irgendwo in der Welt

Die wenigsten von ihnen werden tatsächlich eines Tages für eine Transplantation gebraucht, denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Merkmale des Knochenmarks von zwei fremden Menschen übereinstimmen, liegt bei höchstens eins zu 20 000. „Meine Eltern haben sich schon vor vielen Jahren registrieren lassen, aber nie kamen sie als Spender infrage“, erzählt Witthöft. Er aber bekommt schon nach einem halben Jahr Post von der DKMS: Viele seiner Gewebemerkmale stimmen mit denen eines an Leukämie erkrankten Menschen überein.
Für die sogenannte Feintypisierung solle er bitte noch einmal sein Blut untersuchen lassen. Witthöft handelt prompt – und erhält zwei Wochen später den Anruf: Fast zu 100 Prozent stimmten seine Daten mit denen des Erkrankten überein. Um wen es sich handelt, weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Er weiß nur, irgendwo da draußen hat er einen genetischen Zwilling.
„Für mich war das bis dahin alles noch sehr abstrakt“, sagt Witthöft. „Selbst als meine Eltern sagten: ,Du wirst mit deiner Spende vielleicht ein Leben retten!‘, konnte ich mir das nicht richtig vorstellen. Ich wollte mir ja nur etwas Blut abzapfen lassen.“

Letzt Chance für die kranke Victoria

Seine Eltern aber haben recht: Rund 500 Kilometer entfernt ist für die an Leukämie erkrankte Victoria Hummel dieses Blut die letzte Chance. Der Krebs ist ganz plötzlich in das Leben der damals Zehnjährigen aus Rheinland-Pfalz eingebrochen. Ende Januar 2013 muss ihre Mutter sie aus der Schule abholen, weil sie sich sehr schlapp fühlt.
Nur ein paar Tage später liegt das Mädchen auf der Intensivstation. Die Ärzte haben eine komplizierte Form der Leukämie festgestellt, die in rasendem Tempo ihr Blut zerstört. Eine Chemotherapie kann den Krebs zwar aufhalten, ihn aber nicht stoppen. „Nur eine Transplantation von Spenderknochenmark konnte unser Kind retten“, sagt Silvia Hummel. „Und selbst damit lag ihre Heilungschance bei nur 60 Prozent.“

Ein passender Stammzellen-Spender muss gefunden werden

Vor allem aber muss ein passender und williger Spender gefunden werden. „Der Arzt sagte uns, das sei wie ein Sechser im Lotto“, erinnert sich die Mutter. Trotzdem gibt Familie Hummel nicht auf. Dann kommt die erlösende Nachricht: Es gibt einen passenden Spender. Für das kranke Mädchen wird es da noch einmal sehr schwer. Denn für eine Transplantation von Knochenmark müssen erst alle eigenen Stammzellen des Empfängers zerstört werden. Für Victoria heißt das drei Tage Ganzkörperbestrahlung und noch eine Chemotherapie. Eine Prozedur, die sie das Leben kosten kann.

1,5 Liter blutbildendes Mark wird Victoria transplantiert

Am Vormittag des 14. Mai 2013 bohrt in Hamburg-Eppendorf ein Chirurg zwei kleine Löcher in Daniel Witthöfts Beckenkamm, saugt dort rund 1,5 Liter blutbildendes Mark ab. Ein Kurier bringt es ins Transplantationszentrum der Klinik, in der Victoria liegt. Ein paar Stunden später hängt es in einem Beutel über ihrem Bett. „Da lief dann all unsere Hoffnung ganz unspektakulär in ihren Körper“, erinnert sich ihre Mutter. Einen Tag später ist die Zahl der Leukozyten in Victorias Blut bereits gestiegen, täglich werden es mehr. Als die Ärzte 1000 Leukozyten messen, darf das Mädchen die Isolierstation verlassen.

Nach ein paar Wochen kann Victoria zum ersten Mal nach Hause

Nach ein paar Wochen kann Victoria das erste Mal heim. Zu diesem Zeitpunkt erfährt Daniel Witthöft, dass er seine Stammzellen einem jungen Mädchen aus Deutschland geschenkt hat. Und dass die Transplantation erfolgreich war. Zwei Jahre lang wahrt die DKMS allerdings die Anonymität von Spender und Empfänger. Erst danach können sich beide kennenlernen – wenn sie möchten. Witthöft möchte.

Daniel und Victoria lernen sich kennen - er ist wie ein Bruder für sie

Im September vor einem Jahr besucht der Hamburger Victoria in der Nähe von Frankfurt. Die Familie schließt den „Retter ihres Kindes“ sofort ins Herz. „Daniel ist für Victoria wie ein Bruder“, sagt Silvia Hummel. „Er gehört jetzt zur Familie.“ Witthöft beschreibt seine Verbindung zu Victoria so: „Sie trägt jetzt mein Genmaterial und damit einen Teil von mir in sich. Das ist ein schönes Gefühl.“ Übrigens hätten sich aus seinem Freundeskreis inzwischen fast alle bei der DKMS registrieren lassen.

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