So halten Sie Ihr Bindegewebe geschmeidig
Warum Sie Ihren Faszien auf die Sprünge helfen sollten und wie das am besten geht.

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Michel Brokamp fällt es schwer, sich auf die Vorlesung zu konzentrieren. Unruhig rutscht der Student auf seinem Sitz hin und her. Er beugt sich vor, lehnt sich zurück. Doch seine Rückenschmerzen lindert dies nicht. „Die Beschwerden begannen kurz nachdem ich mein Studium aufgenommen habe“, erklärt der 22-Jährige, der in Düsseldorf Elektrotechnik studiert. Brokamp treibt regelmäßig Sport. Zusätzlich meldet er sich in einem Fitness-Studio an. Doch trotz der täglichen Bewegung und des Trainings werden die Schmerzen stärker. Er sucht einen Orthopäden auf, der jedoch keine Ursache für die Beschwerden findet. Irgendwann kann der Student vor Schmerzen weder sitzen noch liegen.
Tagende Rolle
Schließlich empfiehlt ein Bekannter Brokamp einen Bewegungstherapeuten. Bei einer eingehenden Untersuchung prüft dieser auch die Beweglichkeit seines neuen Patienten. Dabei stellt er fest: Brokamp kann seine Brust- und Halswirbelsäule nur eingeschränkt bewegen. Als Ursache dafür benennt der Therapeut verklebte Faszien im Lendenwirbelbereich. „Heute versteht man unter Faszien das, was der Laie allgemein als Bindegewebe bezeichnet“, erklärt Dr. Robert Schleip, Faszienforscher an der Universität Ulm und einer der renommiertesten Experten auf diesem Gebiet. „Ihre Bedeutung wurde bislang unterschätzt. Dabei ist das Bindegewebe ein Schlüssel für die Gesundheit des Menschen.“
Unser Bindegewebe hält den Körper zusammen, stützt und formt ihn. Als dünne, weißliche Schicht umhüllt es Muskeln und Organe, Knochen und Gelenke. „Ohne Faszien würde ein Muskel beispielsweise zerlaufen wie Sirup“, erläutert Schleip. Diese dünne, stützende Gewebsschicht besteht aus unzähligen Lagen von Fasern, die im Idealfall übereinander gleiten. Die Fasern wiederum bestehen aus den Eiweißen Kollagen und Elastin. Kollagen sorgt für die Festigkeit, Elastin für die Elastizität der Fasern. Optimales Bindegewebe ist fest, dabei aber elastisch. Ist es jedoch zu fest, kann dies gesundheitliche Probleme auslösen. Dasselbe gilt für zu weiche Faszien.
Faszien verkleben
In den letzten Jahren hat die Forschung noch mehr herausgefunden: Demnach dient das Bindegewebe auch als Wasserspeicher, bildet Abwehrzellen, die den Organismus vor Krankheitserregern schützen, und ist zugleich unser größtes Sinnesorgan. Faszien sind nämlich von Nervenfasern durchzogen, die dem Gehirn unter anderem die Lage des Körpers im Raum melden. Faszien reagieren sogar auf Stress. Bei emotionalen Belastungen verändert sich der Säuregehalt in den Fasern, was ihre Bereitschaft fördert, sich zu entzünden. „Durch diese stressbedingte biochemische Veränderung wird der Körper sehr viel anfälliger für Schmerzen im Bewegungsapparat“, erklärt Experte Schleip. Dieser Zusammenhang ist mittlerweile auch Michel Brokamp bewusst. „Wenn ich Probleme habe, mich sorge oder streite, habe ich sofort Rückenschmerzen“, erzählt der Student.
Entzündungen, zu wenig Bewegung, einseitige Belastung – all das kann dazu führen, dass Faszien verkleben. „Das Gewebe gesunder Faszien ist wohlgeordnet wie die Maschen einer Damenstrumpfhose“, erläutert Schleip. „Die Zellen verklebter Faszien dagegen produzieren ein wucherndes und chaotisches kollagenes Fasernetz.“ Die Folge: Die Fasern verhärten und kleben regelrecht aneinander. Bewegungseinschränkungen und Schmerzen sind die Folge.
Bitte Bewegen
Aber auch ein zu schwaches Bindegewebe kann gesundheitliche Probleme auslösen. Maria Hauk (Name von der Redaktion geändert) bekommt bereits in der Pubertät Dehnungsstreifen an den Oberschenkeln, in den Kniebeugen und an den Brüsten. Diese weißlichen Risse in der Unterhaut sind vor allem ein kosmetisches Problem. Schwerer wiegt, dass die Beine der mittlerweile 32-Jährigen als Folge ihrer Bindegewebsschwäche gerade im Sommer anschwellen und schmerzen. „Am linken Bein hat sich bereits eine große Krampfader gebildet, die vor allem bei warmen Wetter sehr wehtut“, schildert sie. Dies ist nicht nur unangenehm, sondern bedrohlich: Krampfadern zählen zu den Risikofaktoren für Venenentzündungen und Thrombosen. Zu den typischen Folgen einer Bindegewebsschwäche zählen auch Cellulite, besser bekannt als Orangenhaut, Hämorrhoiden, Bandscheibenprobleme und Blasenschwäche.
Die Erbanlagen zu schwachem oder festem Bindegewebe wurden Ihnen in die Wiege gelegt. „Doch wenn auch die Beschaffenheit des Bindegewebes vor allem genetisch bedingt ist, kann man viel tun, um es zu stärken und elastisch zu halten“, erklärt Dr. Claudia Wittmann, Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Ihr Ratschlag: Alkohol höchstens in kleinen Mengen und nicht regelmäßig konsumieren, aufs Rauchen verzichten.
Das stresst die Faszien
Eine einseitige zucker- und fettreiche Ernährung lässt das Bindegewebe übersäuern und macht dick. Die gesündere Wahl sind frisches Gemüse, Obst und Vollkornprodukte. Sie fördern die Zellerneuerung, indem Sie täglich etwa 1,5 Liter Mineralwasser oder ungesüßten Tee trinken. Bei Besenreisern und Krampfadern haben sich Wechselgüsse bewährt. Dabei wird das betroffene Bein zunächst mit warmem, dann mit kaltem Wasser geduscht. Diesen Wechsel wiederholen Sie zwei- bis viermal. „Das strafft und stärkt Bindegewebe und Blutgefäße“, betont Expertin Wittmann. Wassertreten fördert ebenfalls die Durchblutung und kräftigt die Venen. Tretbecken finden Sie in Schwimmbädern, Wellness-Bereichen oder Parkanlagen. Wer die heimische Badewanne umfunktioniert, sollte auf sicheren Stand achten und darauf, dass das Wasser nicht wärmer als 18 Grad ist und maximal bis zum Knie reicht.
Das Wichtigste aber, um Bindegewebe und Faszien zu stärken und geschmeidig zu halten, ist Bewegung. Es gilt, die Muskeln zu kräftigen, den Körper zu dehnen und die Koordination zu fördern. Yoga, Pilates, Tai-Chi und Qigong sind dafür gut geeignet, aber auch Gymnastikübungen oder Reha-Sport bieten sich an. „Es gibt nicht das eine wahre Rezept, um sein Bindegewebe zu stärken“, unterstreicht Fachärztin Wittmann, „sondern es geht darum, mehrere Ansätze zu nutzen.“
Gezielt massieren
Dass sich die Mühe lohnt, weiß auch die Berliner Journalistin Maria Hauk. „Wenn ich regelmäßig zum Schwimmen und zur Aqua-Fitness gehe und mich gesund ernähre“, erzählt sie, „merke ich, dass mein Bindegewebe etwas fester wird.“ Tägliche Yogaübungen, Wechselduschen und der Besuch eines Fitness-Studios runden ihr Sportprogramm ab. Hauk trainiert zudem mit einer sogenannten Faszienrolle aus Hartschaum. Bei schwachem Bindegewebe rollt man zwei- bis dreimal die Woche kräftig und schnell über die Faszien, um dadurch die Kollagenproduktion anzuregen. „Das ist anfangs ziemlich schmerzhaft“, gibt Hauk zu. „Aber wenn ich sie ein paar Wochen lang wiederholt anwende, geht es schon deutlich besser.“
Die Rolle hat sich ebenso bei der Eigenbehandlung harter und verklebter Faszien bewährt. Um sie zu lockern, ist tägliches langsames Rollen optimal. Dies soll den Abbau von altem Kollagen anregen. Die große Rückenfaszie lockern Sie beispielsweise, indem Sie sich mit dem unteren Rücken auf die Rolle legen und sich dann langsam bis hinauf zur Schulter über die Rolle ziehen.