Gesundheit

Autor: Lisa Fields

Die Geheimnisse unseres Geruchssinns

Wer über einen guten Geruchssinn verfügt, nimmt die Welt vielfältiger wahr als weniger begabte Nasen. Wie das kommt, versuchen Forscher zu entschlüsseln.

© iStockfoto.com / SrdjanPav

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Der Geruchssinn ist maßgeblich verantwortlich für unseren Geschmackssinn. „Der Geschmack ist ein Zusammenspiel der Geschmacksrezeptoren auf der Zunge – süß, sauer, salzig, bitter, herzhaft – und den Geruchsrezeptoren in der Nase“, erklärt Asifa Majid, Psychologieprofessorin an der University of York, Großbritannien. „Wenn wir essen, gelangen die Moleküle über Mund und Nase auf die Riechschleimhaut. Die Zunge ist in der Lage mitzuteilen, dass Fett in der Schokolade ist, wodurch das Belohnungszentrum im Gehirn anspringt. Aber das typische Geschmackserlebnis, das den Genuss von Schokolade ausmacht, spielt sich überwiegend über die Nase ab.“
Frauen haben die besseren Spürnasen. Sie schneiden in Tests, bei denen verschiedene Gerüche zuzuordnen sind, besser ab als Männer – unabhängig vom Alter. „Womöglich liegt es daran, dass Frauen über einen besseren Geruchssinn verfügen, oder aber dass sie den Geruch besser beschreiben können“, spekuliert Erika Jonsson Laukka, leitende Wissenschaftlerin am Zentrum für Altersforschung des Karolinska-Instituts in Stockholm, Schweden. In den Versuchen sollten sich die Teilnehmer acht Gerüche merken (darunter Knoblauch, Fisch, Terpentin und Zitrone). Der anschließende Test umfasste neben diesen acht auch neue Gerüche. Die Frauen waren sowohl besser beim Erkennen, ob der Geruch zu den acht bekannten gehörte, als auch beim Identifizieren der Düfte.

Ungefähr ab 50 lässt der Geruchssinn nach

Das erklärt Dr. Thomas Hummel, der das Interdisziplinäre Institut für Riechen und Schmecken an der TU Dresden leitet. „Ein Viertel aller Menschen über 50 Jahre kann nicht mehr so gut riechen. Bei den über 80-Jährigen hat ein Drittel den Geruchssinn gänzlich verloren. Allerdings verfügt jeder zweite 80-Jährige immer noch über eine gute Nase.“ Es heißt, dass jemand, der blind oder taub ist oder der nichts mehr riecht, dafür einen anderen Sinn besser entwickelt. Dafür gibt es jedoch keine wissenschaftlichen Beweise. Dr. Hummel fand keine Anhaltspunkte dafür, dass Blinde etwa besser riechen können als der Durchschnitt. „Wir haben größere Gruppen mit bis zu 40 Teilnehmern mit angeborener und erworbener Blindheit untersucht. Bei keinem der Probanden haben wir einen besseren Geruchssinn festgestellt. Bei einzelnen Personen mag das vielleicht zutreffen, aber insgesamt haben wir das nicht beobachtet“, sagt Dr. Hummel.

Wenn der Geruchssinn schwindet

„Jeder Schnupfen fordert seinen Tribut“, erläutert der Leiter des Zentrums für Geruch und Geschmack der University of Pennsylvania Professor Richard Doty. Mehrere Erkältungen pro Jahr führen im Lauf eines Lebens zu einem fortschreitenden Verlust des Geruchssinns. „Schnupfenviren greifen das Epithelgewebe an, dabei entstehen Narben im oberen Teil der Nase, in dem sich die olfaktorischen Rezeptorzellen befinden. Das Riechepithel von 60-, 70- und 80-Jährigen sieht aus wie ein löchriger Schweizer Käse.“
Geruchsverlust kann ein Symptom für eine beginnende Parkinson- oder Alzheimer-Erkrankung sein. „Der Verlust könnte auf eine Krankheit oder ein chronisches Problem hindeuten – daher sollten Sie mit Ihrem Arzt darüber sprechen“, rät Professor Majid. Meistens ist es aber kein Grund zur Sorge, sondern eine normale Alterserscheinung.“ Derzeit sorgen Infektionen mit dem Covid-19-Virus für einen Verlust des Riechvermögens in allen Altersstufen. „Bei rund 10 Prozent, so unsere aktuellen Schätzungen, bleibt der Geruchssinn für längere Zeit weg“, so Dr. Thomas Hummel.
„Auch eine Gehirnerschütterung oder ein Schädel-Hirn-Trauma kann zu einem vorübergehenden oder dauerhaften Geruchsverlust führen“, fährt Hummel fort. „Doch das hat keinen Einfluss auf den Heilungsprozess der Hirnverletzungen.“ Findet Ihr Arzt keine Ursache für das verminderte Riechvermögen, ist es wahrscheinlich altersbedingt.

Der Verlust des Geruchssinns kann die Essgewohnheiten beeinflussen

„Sie glauben, Tomaten hätten früher besser geschmeckt und die Qualität vieler Lebensmittel sei heute schlechter“, meint Dr. Johannes Frasnelli, Psychologieprofessor an der Université de Montréal, Kanada. „In Wirklichkeit liegt es an Ihrem nachlassenden Geruchssinn.“ „Manche Menschen verlieren dann die Freude am Essen oder entwickeln eine Depression. Andere beginnen, ungesunde Fertiggerichte oder extrem gewürzte Speisen zu konsumieren“, erläutert Professor Doty. Seltsamerweise bemerken manche Menschen das Fehlen von Gerüchen in ihrer Umgebung nicht oder dass das Essen nicht mehr schmeckt, da ihr Geruchssinn über einen längeren Zeitraum stetig abgenommen hat. „Circa ein Viertel aller Menschen hat ein vermindertes Riechvermögen, ohne es wissen“, so Doty.

Düfte wecken Erinnerungen

Die reichen oft bis in die Kindheit zurück. Ein Hauch des Parfüms Ihrer Oma kann ausreichen, um Sie gedanklich zurück ins Haus Ihrer Großeltern zu transportieren. Der Grund dafür könnte sein, dass bestimmt Hirnareale sehr nah beim Riechkolben liegen, der die Riechinformationen empfängt, vermuten Forscher. „Der Riechkolben (Bulbus olfactorius) befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Amygdala, die unsere Emotionen steuert, und zum Hippocampus, einer wichtigen Schaltstelle zwischen Kurz- und Langzeitgedächtnis“, erklärt Erika Jonsson Laukka vom Karolinska-Institut. Durch Geruch hervorgerufene Erinnerungen sind oft emotionaler und reichen besonders weit zurück.“ Dr. Thomas Hummel von der TU Dresden fügt hinzu: „Wenn man nicht mehr riechen kann, verliert man diese Erinnerungen. Es ist, als wäre der Schlüssel dazu weg.“
Zur Erhaltung und Verbesserung des Geruchssinns gibt es unterschiedliche Therapien. Vermutet Ihr Arzt eine Entzündung als Ursache, kann er eine Steroidkur verschreiben. „Wenn der Patient gut darauf anspricht, ist eine weitere Behandlung mit einem Kortison-Nasenspray sinnvoll“, empfiehlt Doty. Wissenschaftler haben noch keine Geräte zur Verbesserung des Geruchssinns entwickelt. „Es gibt nichts Vergleichbares wie Brillen oder Hörgeräte“, sagt Professorin Majid. Sie wissen aber, dass sich der Geruchssinn während der Kindheit besser ausprägt, je mehr Aromen man in dieser Zeit ausgesetzt ist. Je vielfältiger die ersten Geruchs- und Geschmackserfahrungen sind, desto feiner reagiert die Nase eines Menschen. Eine abwechslungsreiche Ernährung kann den Geruchssinn ebenso weiterentwickeln. Seien Sie beim Einnehmen Ihrer Mahlzeiten achtsam, nehmen Sie Aromen, Geschmack und Texturen bewusst wahr.

Geruchstraining kann helfen, das Riechvermögen zu erhalten

Das belegen Forschungsergebnisse. HNO-Ärzte verordnen dieses Training Patienten mit Geruchsverlust. Durch bewusstes Einatmen starker Gerüche kann der Geruchssinn wieder geschärft werden. Dr. Thomas Hummel glaubt, dass man damit in der Lage ist, physiologische Veränderungen zu bewirken: „Tierstudien legen nahe, dass dabei neue Geruchsrezeptoren entstehen.“ Professor Frasnelli hat positive Veränderungen im Gehirn von Geruchstrainingspatienten mithilfe von MRT (Magnetresonanz)-Aufnahmen nachgewiesen. „Die Gehirnregionen, die für die Verarbeitung der Geruchsfunktion verantwortlich sind, wurden dicker. Das heißt, es wurde nicht nur die Nase trainiert, sondern das ganze Gehirn“, stellte er fest.
Man solle indes keine Wunder erwarten: Die meisten Probanden, die bisher an solchen Studien teilgenommen haben, sind junge Erwachsene. Man wisse nicht, ob es bei älteren Menschen genauso gut wirke. Es spricht jedoch nichts dagegen, das auszuprobieren. „Unser Geruchssinn entwickelt sich ein Leben lang. Selbst ein 70-Jähriger kann seine Nase noch trainieren“, glaubt Majid.
Gerüche sind nicht grundsätzlich gut oder schlecht. Studien haben gezeigt, dass die Vorliebe für oder Abneigung gegen einen Duft oft aus Kindheitstagen stammt. Traditionen, geografische und kulturelle Besonderheiten prägen diese. So haben Menschen ein anderes Riechempfinden, die Käsesorten wie Limburger, Gorgonzola oder Roquefort wegen des strengen Geruchs und Geschmacks meiden, als diejenigen, die diese Käsearten mögen. Die Abneigung lässt sich sogar im MRT erkennen. Verblüffend ist übrigens auch Folgendes: In Tests sollten Frauen den Körpergeruch von Männern beurteilen. Sie empfanden den Geruch von Vegetariern angenehmer als den von Fleischessern.

Wird bald die digitale Nase kommen?

„Auf diesem Gebiet gab es in den letzten Jahren spannende Entwicklungen“, berichtet Professorin Majid erfreut. „Es existieren zum Beispiel Geräte, die anzeigen, ob ein Lebensmittel dabei ist zu verderben. Elektronische Nasen werden auch im städtischen Bereich eingesetzt, um Gefahren wie austretendes Gas zu melden.“ In begrenztem Umfang kommt diese Technik bereits zur Anwendung. Wegen anhaltender Geruchsbelästigung in einer südspanischen Stadt wurden Forscher der Universidad de Málaga 2017 um Hilfe gebeten. Mit einer von ihnen entwickelten elektronischen Nase spürten sie dem Gestank nach, dessen Ursache man in Form flüchtiger Chemikalien irgendwo in der Kanalisation vermutete. Tatsächlich erschnüffelte die Spürnase die Quelle des Übels – einen kommunalen Sanierungsbetrieb. Für den Verbraucher sind solche Geräte derzeit allerdings noch nicht verfügbar.