Ein seltenes Bakterium
Stefano* ein 80-jähriger Ingenieur im Ruhestand, wurde bei einer Operation mit Mykobakterien infiziert und magerte stark ab. Ein beharrlicher Arzt fand die Ursache.

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Wie viele ältere Menschen hatte Stefano gesundheitliche Probleme – Diabetes, eine Nierenerkrankung und Herzprobleme. Im November 2017 musste er sich zudem einer OP unterziehen – eine verengte Halsarterie wurde geweitet. Danach genoss der Vater von zwei erwachsenen Kindern sein ruhiges Leben. Doch drei Monate nach der Operation fühlte er sich plötzlich schwach und bekam Durchfall. Weitere zwei Monate später hatte er bereits zehn Kilogramm abgenommen. Stefano begab sich ins Krankenhaus. Raffaele Landolfi, Professor am Policlinico Universitario Agostino Gemelli in Rom, sah, dass Stefano stark unterernährt war. Der 80-Jährige musste sich diversen Tests unterziehen, aber 18 Tage später hatte man die Ursache immer noch nicht gefunden.
Deshalb nahm Professor Landolfi Stefano stationär auf. Ein Leber-Funktionstest sowie eine Blutuntersuchung ergaben normale Werte. Ein Tuberkulose-Test war positiv. Allerdings können sich Erwachsene infizieren, ohne je eine Tuberkulose (TB) zu entwickeln. Stefano hatte keine Lungenprobleme. Problematischer war, dass der Wert für das C-reaktive Protein (CRP) erhöht war. Das ist ein Anzeichen dafür, dass sich im Körper eine Entzündung befindet oder sich ein Tumor gebildet hat. Eine Darmspiegelung brachte lediglich einige Polypen ans Licht, sodass Professor Landolfi ein CT des Bauchraums veranlasste. „Liegen Verdauungsbeschwerden vor, ohne dass etwas im Darm gefunden wird, muss man die Umgebung genauer untersuchen“, erklärt der Internist.
Der Scan zeigte mehrere geschwollene Lymphknoten im Bauchraum. In Verbindung mit Durchfall und Gewichtsverlust kann dies auf ein Lymphom (Tumor des Lymphgewebes) hinweisen. Eine Biopsie sollte Klarheit bringen. Dazu führte Professor Landolfi eine Kamera durch ein kleines Loch ein und entnahm Gewebeproben der Lymphknoten im Bauch. Der Krebsbefund war negativ, allerdings enthielt die Gewebeprobe eine große Anzahl weißer Blutkörperchen, die Mikroorganismen bekämpfen. Das deutete darauf hin, dass eine Infektion vorlag. Die Probe war TB-negativ, das machte die Entnahme weiterer Proben notwendig. „Etwas war seltsam an seinen Lymphknoten“, erinnert sich Professor Landolfi. „Aber man kann nicht überall eine Biopsie durchführen. Für den zweiten Versuch wählte er die Wand des Dünndarms. Auch hier war das Ergebnis negativ. Sollte eine bakterielle Infektion vorliegen, so musste es sich um einen äußerst seltenen Erreger handeln. Mehr als 1400 verschiedene Krankheitserreger kommen als Auslöser infrage. Professor Landolfi drängte den Pathologen weiterzusuchen.
Seine Beharrlichkeit zahlte sich aus. Der TB-Erreger gehört zur Gruppe der Mykobakterien. Professor Landolfis Team untersuchte deshalb eine Stuhlprobe auf Mykobakterien – das Ergebnis war positiv. Bei einer erneuten Untersuchung der ersten Gewebeprobe zeigte sich, dass die Lymphknoten mit dem Mycobakterium chimaera infiziert waren. Diese Bakterienart wurde erst vor 15 Jahren entdeckt. Sie kommt normalerweise im Wasser und im Boden vor, doch die Zahl der Infektionen bei Menschen steigt. Man vermutet, dass das Mycobakterium chimaera in OP-Sälen durch Ventilatoren verbreitet wird. Mit normalen Desinfektionsmitteln ist der Keim nur schwer zu bekämpfen. Das Infektionsrisiko ist zwar gering – laut einer britischen Studie kommen auf 1000 offene Eingriffe weniger als drei Infektionen –, doch bis zu 60 Prozent der Fälle verlaufen tödlich. Zwischen dem Kontakt mit dem Keim und Einsetzen der Symptome können fünf Jahre vergehen. Deshalb rät Professor Landolfi dringend zu effektiven Präventionsstrategien.
Nach der Diagnose erhielt Stefano sieben Monate lang Antibiotika. Heute zeigt er keine Anzeichen einer Infektion mehr. „Er hat wieder zugenommen und fühlt sich besser“, berichtet Professor Landolfi.
* Name von der Redaktion geändert.