Gesundheit

Autor: Regine Warth

Vorhofflimmern: Herz aus dem Takt

Vorhofflimmern kann lebensbedrohliche Folgen haben. Das sollten Betroffene unbedingt darüber wissen.
Ein rotes Herz liegt auf einem Ausdruck einer EKG-Messung

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©istockfoto.com / bymuratdeniz

Der Morgen graute noch, als sich im Gehirn von Ralf Wieland eine gefährliche Blockade anbahnte: Auf einmal bekam der 79-Jährige so heftige Kopfschmerzen wie noch nie zuvor in seinem Leben. „Da war ich alarmiert“, sagt der Stuttgarter, der seinen wahren Namen nicht nennen möchte. Im Krankenhaus erkennen die Ärzte trotz untypi­scher Symptome: Wieland hatte einen Schlaganfall. Ausgelöst von einem winzigen Blutpfropfen, der sich aufgrund einer Herzrhythmusstörung im Pumporgan gebildet hatte.

So wie Wieland ergeht es vielen, die einen Hirninfarkt erleiden, bestätigt Monika Patzak von der Stroke Unit, der von der Fachgesellschaft zertifizierten Schlaganfalleinheit des Robert-Bosch-Krankenhauses Stuttgart. „Etwa 15 bis 20 Prozent aller Schlaganfälle, die durch ein Blutgerinnsel ausgelöst werden, sind auf ein Vorhofflimmern zurück­zuführen“, erklärt die Neurologin. Bei dieser Erkrankung gerät das Herz aus dem Takt, chaotisch folgen die Herzschläge aufeinander. Das Flimmern schränkt die Pumpkraft des Herzens ein, die Fließgeschwindigkeit des Bluts verringert sich. So können sich in einer kleinen Aussackung des linken Vorhofs kleine Blutgerinnsel bilden. Gelangen diese bei einem Pump­stoß des Herzens ins Gehirn, verstopfen sie dort ein Gefäß.
Nach Angaben des Deutschen Herzberichts 2022, der im September letzten Jahres von der Deutschen Herzstiftung sowie den kardiologischen und herzchirurgischen Fachgesellschaften vorgestellt wurde, ist Vorhofflimmern die häufigste anhaltende Herzrhythmusstörung. Bei nahezu zwei Millionen Bundesbürgern hat der Herzrhythmus irgendwann im Laufe des Lebens begonnen, ein unkontrolliertes Eigenleben zu führen.
In den meisten Fällen gelingt es Ärzten, das Herz wieder in Takt zu bringen – etwa mit Medikamenten, einem kurzen Elektroschock oder zunehmend mit einem Verfahren, mit dem beispielsweise im Herbst 2022 das Vorhofflimmern des Dortmunder Fußballprofis Marius Wolf therapiert wurde: der Katheterablation. Aufgrund der anfallsartigen Herzrhythmusstörungen des 28-Jährigen wurden die Muskelzellen in den Vorhöfen, die die störenden Signale aussenden, verödet. Damit wurde zugleich das Risiko eines mög­lichen Schlaganfalls gesenkt.
Das Problem ist nur: Nicht jeder bemerkt es, wenn das Herz aus dem Takt gerät, mal stolpert, springt oder kurzzeitig zu rasen beginnt. Daher gehen Ärzte von einer hohen Dunkelziffer aus. Teils nehmen die Betroffenen die Symptome als gegeben hin: Ralf Wie-land etwa hatte seine Herzrhythmus­störung sehr wohl gespürt. „Man fühlt sich komisch, sehr unwohl.“

 

Risiken addieren sich

Grundsätzlich ist es sinnvoll, solche Attacken medizinisch abklären zu lassen. „Nicht jeder Stolperer ist Grund zur Besorgnis, wenn das Herz ansonsten gesund ist“, sagt Raffi Bekeredjian, Chefarzt der Kardiologie am Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus, wo auch Wieland behandelt wird. Anders sieht es bei angeborenen Herzrhythmusstörungen aus – und bei solchen, die aufgrund einer Erkrankung entstanden sind: etwa einer Verengung der Herzkranzgefäße, einem Klappenfehler oder einer Herzschwäche. Nicht zuletzt steigert ein ungesunder Lebensstil das Risiko für eine Herzrhythmusstörung.
Dennoch gehört das Vorhofflimmern zu den Krankheiten, bei der die Medizin vieles noch nicht im Detail versteht. „Wir können nicht vorhersehen, welcher Patient mit Vorhofflimmern mit einem Schlaganfall zu rechnen hat“, so Bekeredjian. Aber es gibt Hinweise auf Risikofaktoren. „Ganz allgemein steigt das Risiko für einen Schlaganfall ab 65 Jahren an“, warnt die Neurologin Patzak.
Riskant sind auch Grunderkrank­ungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Stoffwechselstörungen sowie Herz­erkrankungen und Nikotinsucht. Ein besonders erhöhtes Risiko haben Patienten, die schon einen Schlaganfall erlitten haben. „Je mehr Faktoren zusammenkommen, umso höher ist das Risiko“, so Patzak. Medikamente, die das Entstehen von Blutgerinnseln hemmen, sind daher bei dieser Risikogruppe Pflicht. Das Vorhofflimmern selbst wird dagegen nur behandelt, wenn die Patienten einen gewissen Leidensdruck haben.
Dennoch gehen die Experten im Deutschen Herzbericht davon aus, dass die Zahl der Schlaganfälle, die durch ein Vorhofflimmern bedingt sind, weiter wachsen wird – schlicht, weil auch die Zahl der Herzkranken angesichts der alternden Bevölkerung zunehmen wird. Es braucht daher noch mehr Forschung für neue Therapien, fordert die Deutsche Herzstiftung.

Es braucht aber auch mehr Auf­klärung. Schon jetzt könne jeder sein Risiko für Vorhofflimmern abklären lassen – etwa mittels regelmäßiger Check-ups beim Hausarzt, die die Herzstiftung insbesondere Menschen ab dem 65. Lebensjahr empfiehlt. Eine Hilfe können auch digitale Helfer wie Smartwatches sein, die mit hoher Treffsicherheit ein Vorhofflimmern erkennen. „Es bedarf aber einer Be­stätigung der Diagnose durch den Facharzt“, sagt Bekeredjian.
Bei Ralf Wieland ist nun mehr als ein Jahr seit dem Schlaganfall vergangen. Dank erfolgreicher Rehabilitation hat er keine körperlichen Einschränkungen. Um das Erlebte zu verarbeiten, brauchte er aber psychotherapeutische Hilfe: Zu groß war die Sorge, dass ihn sein Körper im Stich lassen könnte.
So gehört Wieland zu den wenigen, die Medikamente zur Blutverdünnung, die das Schlaganfallrisiko minimieren, nicht vertragen. Ihm wurde daher der Bereich des linken Vorhofs, in dem sich die gefährlichen Blutgerinnsel meist bilden, verschlossen. „Das lässt sich mittels eines Kathetereingriffs schonend bewerkstelligen“, beruhigt Bekeredjian. Ralf Wieland ist nun zuversichtlich: „Sollte mein Herz wieder flattern, macht mir das keine Angst.“

Zeit zu handeln?

Vorhofflimmern wird durch Fehl­impulse der auf die Steuerung der Vorhöfe spezialisierten Herzzellen ausgelöst. Bei Betroffenen verändert sich der Blutfluss im Pumporgan. Dies erhöht das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Zudem kann das Flimmern zu einer Herzschwäche führen. Nicht jedes Herzstolpern ist ge­fährlich. Einzelne Extraschläge, sogenannte Extrasystolen, die ihren Ursprung in den Vorhöfen haben, sind in der Regel harmlos.
Unbedingt einen Arzt aufsuchen sollten Sie bei anhaltendem Herz­stolpern, bei Schmerzen in der Brust, Atemnot, Schwindel oder Ohnmachtsanfällen. Ein EKG, möglicherweise auch ein Langzeit-EKG, geben dann Klarheit.