Hunde fallen eine Frau an. Britta und Ronald Bohm verteiben sie
Britta Bohm ist gerade mit der Hausarbeit beschäftigt, als sie das Bellen und die Schreie hört.

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Bohm stürzt auf den Balkon ihres Wohnzimmers, schaut hinunter in die Einfahrt des Einfamilienhauses, das sie mit ihrem Mann bewohnt. Was sie dort sieht, lässt ihr den Atem stocken: Eine ältere Frau liegt auf dem Boden, ein großer Hund hat sich in ihr Bein verbissen. Bohm kennt das Tier – es ist einer der beiden Hunde aus dem Haus schräg gegenüber. Die Frau am Boden schreit vor Schmerz und Angst. In diesem Moment springt der zweite Hund der Nachbarn über den Zaun, der deren Grundstück begrenzt, und stürzt sich ebenfalls auf die in der Einfahrt liegende Frau.
Britta Bohm sprintet in den Keller. Dort räumt ihr Mann jetzt nach Feierabend den Heizungsraum auf. „Ronald, komm!“, ruft Britta Bohm. Die 55-Jährige, die im Vorruhestand ist, schnappt sich einen Schneeschieber. Ronald Bohm greift zu einer Schaufel. Mit T-Shirt und Hausschuhen bekleidet öffnet er das Garagentor. „Wenn du das gesehen hast, was wir sahen, gehst du nicht einfach wieder rein“, erzählt der 54-Jährige, der bei einem Automobilzulieferer arbeitet. „Also haben wir gebrüllt wie die Wikinger und sind raus.“
Die Hunde haben sich in die Frau verbissen
Die beiden Hunde, die in an diesem Oktobernachmittag angreifen, sorgten in der Siedlung am Stadtrand von Wismar für Diskussionen, seit die Besitzerin ein paar Monate zuvor in das Nachbarhaus eingezogen ist. Viele Anwohner haben Angst vor ihnen. Eines der beiden Tiere ist ein Rhodesian Ridgeback, das andere ein sogenannter Molosser, mit bulligem Schädel, breiter Brust und starkem Kiefer. Häufig knurrt diese Hündin Spaziergänger gerade dann an, wenn sie ihr den Rücken zukehren. Trotzdem lässt ihre jugendliche Besitzerin die beiden Hunde frei hinter einem gerade mal 60 Zentimeter hohen Zaun laufen. „Ich hatte bei der Hündin von Anfang an ein schlechtes Gefühl“, erinnert sich Ronald Bohm. Seine Enkelkinder lässt das Paar wegen dieser Hunde nicht mehr im Freien spielen. Mit ein paar Schritten sind die Bohms nun bei den rasenden Tieren und deren Opfer. Ronald Bohm ist ein großer und kräftiger Mann. Wieder und wieder schlägt er mit der Schaufel auf die Hunde ein. Doch diese lassen nicht von der Frau am Boden ab. „Ich sterbe, ich sterbe, die beißen mich tot!“, schreit sie in Todesangst.
Später erfahren Britta und Ronald Bohm, was passiert ist: Die 62-Jährige war mit ihrem Hund spazieren, einem Terrier. Als die bullige Molosserhündin bellend über den Zaun setzte, wollte die Spaziergängerin ihren Terrier retten. Sie nahm ihn hoch, lief über die Straße und warf ihn auf das Dach eines Autos, das in der Einfahrt der Bohms stand. Daraufhin griff die Molosserhündin sie an. In Panik versuchte die Frau, selbst auf das Auto zu klettern, rutschte ab und fiel zu Boden.
Noch in der Nacht muss das Opfer operiert werden
Endlich gelingt es Britta und Ronald Bohm, den kleineren der Hunde von der Frau wegzuzerren. Die Molosserhündin allerdings hat sich so in sie verbissen, dass es Ronald Bohm noch einige Schläge und Tritte kostet, bis er auch sie von seinem Opfer getrennt hat. „Dann stand die Hündin vor mir und ich konnte spüren, wie sie abwägt, ob sie jetzt auch mich angreifen soll“, sagt er. „Da zittern einem schon die Knie. Aber wenn ein Hund merkt, dass man Angst hat, hat man verloren.“ Offensichtlich lässt sich Bohm seine Angst nicht anmerken, denn die Hündin greift nicht an. Inzwischen ist die Mutter der Besitzerin der Tiere dazugekommen und führt sie weg. Britta Bohm eilt derweil ins Haus, ruft Rettungskräfte und Polizei. Ein Notarzt versorgt die schwer verletzte Frau, bevor der Krankenwagen sie in die Klinik bringt. Dort wird sie noch in derselben Nacht operiert.
Die Bohms sind so aufgewühlt, dass sie noch im Dunkeln auf der Straße stehen, als die Rettungskräfte längst weg sind. „Geschlafen habe ich in der Nacht nicht“, sagt Ronald Bohm. Die Frau, der das Ehepaar vermutlich das Leben gerettet hat, schlägt die beiden für eine Ehrung vor. Im März 2019 verleiht ihnen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig die Rettungsmedaille des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Nicht nur die Gerettete bedankt sich bei den beiden, auch die Nachbarn kommen vorbei, um ihnen zu danken. „Dabei war, was wir gemacht haben, selbstverständlich“, sagt Ronald Bohm. „Ich würde mir doch auch wünschen, dass mir jemand zu Hilfe kommt, wenn ich am Boden liege.“
Die beiden Hunde wurden erst sechs Wochen nach dem Angriff in Obhut genommen. Einer lebt wieder bei seiner Besitzerin, der andere in Verwahrung. „Die Situation in unserer Straße hat sich zum Glück entspannt“, sagt Britta Bohm. Aber wann immer sie mit ihren Enkelkindern das Haus verlässt, wirft sie schnell einen Blick auf das Grundstück gegenüber. Immer noch.