Petteri Taalas: Kämpfer fürs Klima
Der finnische Meteorologe Petteri Taalas setzt sich für Maßnahmen gegen die globale Erwärmung ein. Deshalb haben wir ihn zum Reader’s Digest Europäer des Jahres 2021 gekürt.

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Das Jahr 2010 hatte es in sich: China litt unter einer Dürre, von Grönlands Gletschern brach eine 250 Quadratkilometer große Eisscholle ab, in Russland wüteten Flächenbrände und Finnland verzeichnete mit 37,2 Grad die höchste Temperatur aller Zeiten. Eine Folge der globalen Erwärmung erlebte Professor Petteri Taalas, der damals das finnische Institut für Meteorologie leitete, hautnah. An sein Sommerhaus an der russischen Grenze kamen die Brände so nahe heran, dass die Rauchmelder im Haus zu piepsen begannen. „So eine persönliche Erfahrung hinterlässt einen bleibenden Eindruck“, sagt er.
Als Generalsekretär der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) – inzwischen im zweiten Jahr seiner zweiten vierjährigen Amtszeit – ist es seine Aufgabe, die Welt vor dem Klimawandel zu warnen. Und während sich alle auf eine Zeit nach der Covid-19-Pandemie freuen, plädiert der 59-Jährige dafür, jetzt die Weichen neu zu stellen. „Dauernd knacken die Klimadaten neue Rekorde“, mahnt Taalas. „Früher hieß es, in der Zukunft könne viel passieren. Doch die Zukunft ist schon da. Mein Job ist es, die Fakten auf den Tisch zu legen und zu erklären, was da abläuft – und auch ein wenig Hoffnung zu verbreiten, dass wir eine Chance haben, dieses Problem zu lösen.“
Sein Büro befindet sich in der Zentrale der WMO in Genf. Aus den Fenstern hat man einen Panoramablick bis zum schneebedeckten Gipfel des Mont Blanc in der Ferne. „Wir können praktisch zusehen, wie der Gletscher schmilzt“, merkt Taalas trocken an. Die WMO ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen und dafür zuständig, die Entwicklung des Klimas und auch der Wasserressourcen und der Luftqualität weltweit zu beobachten. Sie überwacht das globale Satellitennetz, das Echtzeitdaten liefert, auf denen Wetterberichte beruhen. Außerdem ist sie die Dachorganisation des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC), der sich mit den Auswirkungen des Klimawandels beschäftigt. „Wir sind eine wissenschaftliche Fachorganisation. Als solche erklären wir der US-amerikanischen oder der chinesischen Regierung nicht, was sie zu tun haben“, so Taalas. „Wir teilen ihnen mit, was wir gemessen haben, und die Berichte des Weltklimarats enthalten Szenarien für die nächsten 100 Jahre.“
Taalas übermittelt seine Botschaft zu den Auswirkungen der globalen Erwärmung persönlich an Regierungschefs aus aller Welt – zum Beispiel Angela Merkel, Emmanuel Macron oder Boris Johnson - izwischen aber auch an Weltkonzerne wie IBM und Google. Der britische Wissenschaftsjournalist Graham Lawton bescheinigt Taalas, dass er seine „weiche Macht“ geschickt einzusetzen wisse. „Er ist ein wirklich guter Wissenschaftler, versteht aber auch viel von Politik und Diplomatie“, sagt Lawton. „Er ist kein Träumer, der glaubt, dass sich die Menschen schon nach den Fakten richten, die die Wissenschaft präsentiert. Er findet bei Politikern Gehör – und zwar deshalb, weil er die Spielregeln beherrscht.“
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Win-win-Szenarien als Anstöße zum Klimaschutz
Taala ist bewusst, dass Politiker schwierige Entscheidungen treffen müssen. Er versucht, Win-win-Situationen ausfindig zu machen, von denen Menschen und Klima profitieren können. Ein Beispiel sind Steuererleichterungen für Käufer emissionsarmer Fahrzeuge. Taalas betont, dass wir uns von Umweltfragen nicht den Lebensmut rauben lassen sollten: „Manche Menschen versuchen, ihr ganzes Leben zu beschränken und denken nur ans Klima. Das ist nicht wirklich gesund.“
Er nimmt sich viel Zeit für junge Idealisten wie Greta Thunberg. Die schwedische Aktivistin kennt er persönlich und spricht in warmen Worten von ihr, auch wenn er nicht mit allem einverstanden ist, was sie sagt. Er vermutet, dass sie womöglich nicht ganz richtig informiert ist. „Ich weiß, wie das ist, wenn man jung ist und die Gefühle hochkochen“, räumt er ein. „Doch es gibt eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern, die Horrorgeschichten über kritische Schwellen erzählen, und darüber, dass die ganze Menschheit sterben wird. Vielleicht hat Greta ja zu viele solche Geschichten gehört. Möglicherweise neigt sie ein bisschen zu sehr zur Schwarz-Weiß-Malerei, doch sie hat ihre Stimme erhoben und insgesamt Positives bewirkt.“
Durch Zufall wurde Taalas Meteorologe
Taalas’ Karriere als Meteorologe ist einem Zufall zu verdanken. Er kommt aus einer Medizinerfamilie, entschied sich aber dafür, Physik zu studieren. Als Taalas sich nach zwei Jahren spezialisieren musste, interessierte er sich eigentlich mehr für Hydrologie, doch seine Frau war für Meteorologie. Taalas besuchte ein paar Vorlesungen „und ich merkte, dass mich dieses Fach faszinieren könnte.“ Petteri Taalas promovierte 1993, schlug zunächst die Universitätslaufbahn ein und fand sich in Führungsteams wieder – eine Rolle, die ihm lag. Zu seinen Leistungen zählt er den Umbau der finnischen Meteorologiebehörde, die er mit Unterbrechungen über elf Jahre hinweg leitete, und die Modernisierung der WMO, die er unter anderem stärker wissenschaftsgestützt aufstellte. Er glaubt, am meisten habe er dadurch bewirkt, dass er über den Klimawandel aufklärt. Taalas arbeitet eng mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, zusammen. „Seit zwei Jahren erklärt er bereits, das Thema habe oberste Priorität“, stellt Taalas nicht ohne Stolz fest. „Das freut mich. Immerhin ist er einer der einflussreichsten Menschen der Erde.“ Als Taalas vor rund 20 Jahren erstmals über den Klimawandel sprach, wurde er in Fernsehshows eingeladen, bei denen meist ein zweiter, klimaskeptischer Gast eine andere Ansicht vertrat. Heute passiert das nur noch selten: „Unsere Berichte genießen große Aufmerksamkeit. Das globale Bewusstsein ist demnach recht ausgeprägt.“
Das Problem liegt heute bei denen, die glauben, die Welt reagiere zu langsam. Taalas vergleicht ihr Engagement mit religiösem Eifer. „Wenn Sie sich beispielsweise das Christentum anschauen, so gibt es sehr extreme Vertreter, die sich nach strengen Regeln richten, aber es gibt auch liberalere Christen. Beim Klimaschutz ist das ähnlich. Manche wären gern ultraorthodox und möchten anderen vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben. Doch wenn die Klimathematik als extrem abgestempelt wird, bringt uns das nicht weiter.“
Veränderungen zum Klimaschutz sind möglich
2020, als sich die Welt aufgrund der Covid-19-Pandemie zum ersten Mal in den Lockdown zurückzog, konnte man einen flüchtigen Eindruck eines anderen Planeten erhaschen. In den Großstädten verzog sich der Smog und gab blauen Himmel frei, an dem sich auffallend wenige Flugzeuge zeigten. Rehe, Schafe und Ziegen wurden beim Herumtollen auf leeren Autobahnen beobachtet. Diese sogenannte „Anthropause“ ist vorüber, und das Verschmutzungsniveau erreicht bereits wieder Werte wie vor der Pandemie. Für Taalas war das dennoch ein bedeutsamer Moment. „Es hat gezeigt, dass wir unser Verhalten ändern können, wenn wir die richtigen Anreize dazu haben“, stellt er fest. Der Wissenschaftler sorgt sich um die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Weltwirtschaft und befürchtet, die Regierungen könnten weniger motiviert sein, in klimafreundliche Technologien zu investieren. Doch gleichzeitig findet er Initiativen wie den ehrgeizigen Europäischen Grünen Deal ermutigend, mit der die EU die Mitgliedsländer bis 2050 klimaneutral machen will. „Ich bin Optimist“, sagt Taalas. „Das ist eine Gelegenheit, schneller auf den grünen Technologiezug aufzuspringen, als es sonst der Fall gewesen wäre, und die Industrieländer können sich das leisten. Was mit den schwächeren Volkswirtschaften ist, steht auf einem anderen Blatt, doch die meisten Emissionen kommen ohnehin aus den am höchsten entwickelten Ländern.“
Eines hat Taalas aus seinen früheren Studien über die Effekte des sauren Regens auf Seen und Wälder in Skandinavien und über die Schäden an der Ozonschicht durch Gase aus Sprühdosen und Kühlschränken gelernt: Veränderungen sind möglich. Beide Probleme wurden durch Vorschriften weitgehend bewältigt. Der Klimawandel stellt zwar eine weit größere Herausforderung dar, doch Taalas ist überzeugt, dass es uns gelingen kann, die Erwärmung auf zwei oder drei Grad über vorindustriellem Niveau zu beschränken. „Das ist machbar“, meint er. „Wir brauchen nur einen internationalen Konsens und belastbare wissenschaftliche Gründe, um die Entscheidungsträger zu mobilisieren.“