Blondie-Sängerin Debbie Harry im Interview
Pop-Ikone Debbie Harry über das Leben in New York und Grenz-Mauern, die keine Lösung sind.

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Sie ist die Stimme und das Gesicht von Blondie, der Band, mit der Deborah Ann Harry – so heißt die heute 71-Jährige mit vollem Namen – Hits wie Call Me, Heart Of Glass oder Maria hatte und in bald fünf Jahrzehnten mehr als 40 Millionen Tonträger verkaufte. Darüber hinaus hat sie sich als Schauspielerin, Jazz-Sängerin, sowie Umwelt-Aktivistin betätigt, galt lange als ungekrönte Königin des New Yorker Nachtlebens und als fleischgewordener Männer-Traum. Jetzt veröffentlicht Blondie mit Pollinator ein neues Album.
Reader’s Digest: Blondie steht für New York – für Clubs wie das Studio 54, die Kunstszene, gewagte Mode. Könnten Sie sich vorstellen, die Stadt je zu verlassen?
Debbie Harry: Nein, niemals. Das ist schließlich meine Heimat … In den 70ern und 80ern war New York ziemlich heruntergekommen, was aber wohl gut für die Kunst war. Damals haben dort eine Menge Künstler gelebt – einfach weil sie es sich wegen der billigen Mieten leisten konnten, sich ganz auf ihre Kunst zu konzentrieren und nichts anderes zu tun. So günstig war die Stadt. Aber jetzt ist alles modernisiert, exklusiv und wer weiß wie schick. Das ist der Grund, warum in den letzten Jahren viele meiner Freunde nach Berlin gezogen sind.
Gehen Sie noch oft in Clubs, wie es aktuelle Songs wie „Fun“ andeuten?
(kichert) Das tue ich wirklich. Ich gehe immer noch ziemlich viel aus. Und ich habe eine Menge Freunde, die DJs sind oder denen Bars und Clubs gehören. Außerdem liebe ich es, zu tanzen.
Wie denken Sie über US-Präsident Trump, den Brexit und den enormen Zulauf der rechts-populistischen Parteien in Europa?
Das ist die Folge der Globalisierung. Wobei viele Leute meinen, wir würden momentan das letzte Aufbäumen erleben. Von denjenigen, die an die alte Theorie glauben, dass dich Isolation schützen kann. Nein, das tut sie nicht – sich einzuigeln bringt rein gar nichts. Und sei es nur, weil die Globalisierung längst stattgefunden hat und wir schlichtweg damit leben müssen. Wir können nicht mehr dahin zurückkehren, wo wir mal waren. Auch nicht, indem wir alles blockieren. Sondern: Wir müssen die Situation in den Griff kriegen und zum Funktionieren bringen.
Kann man wirklich eine durchgehende Mauer zu Mexiko errichten?
Teilweise ist sie ja schon da. Aber wie hat es Angela Merkel so schön formuliert: „Wir hatten das, und es hat nicht funktioniert“. Da hat sie recht.
Sie selbst nutzen Mode für sozio-politische Statements. Mitte Februar wurden Sie bei den Londoner „Elle Style Awards“ mit einer besonderen Auszeichnung bedacht … Ja, mit dem Titel der Stil-Ikone. Sehen Sie sich selbst auch so?
Na ja, ich fühle mich schon sehr geschmeichelt. Auch wenn ich mich frage, ob ich das wirklich verdient habe, beziehungsweise ob ich das wirklich bin. Ich schätze, ich hatte einfach das Glück, dass ich zu einer Zeit aufgetaucht bin, als sich der allgemeine Stil gerade sehr verändert hat. Und ich war sehr abenteuerlustig und experimentierfreudig. Ich habe mit Klamotten herumgespielt und getragen, was ich wollte.
Wie erleben Sie das Alter: Ist das eine Angst einflößende Erfahrung?
Für mich ist es schlicht zu spät, sich Gedanken darüber zu machen.
Zur Person
Debbie Harry wurde am 1. Juli 1945 in Miami, USA, geboren. Dort hatte sie auch ihre ersten Auftritte als Sängerin, ehe sie Mitte der 1960er Jahre nach New York zog. Mit Chris Stein gründete Harry 1974 die Band Blondie. Die beiden wurden ein Paar, trennten sich aber später wieder. Noch vor der privaten Trennung lösten der Gitarrist und die Sängerin, die nach eigener Aussage zu dieser Zeit drogenabhängig waren, Blondie 1982 auf. Ende der 1990er-Jahre kam die Band wieder zusammen – und feierte ein Comeback. Debbie Harry lebt nach wie vor in New York. RD