Menschen

Autor: Anke Lübbert

Mann in Flammen!

Ein Mann steht in Flammen. Ayoavi Mawuli Segbedji handelt sofort.

Mann in Flammen!
Ayoavi Mawuli Segbedji

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©Thomas Ebert
Die Nacht ist dunkel, kalt und einsam. Ayoavi Mawuli Segbedji, den alle Bona rufen, hat um 22 Uhr die Nachtschicht für den Sicherheitsdienst im Hafen Rostock übernommen. Allein sitzt er vor dem bläulich leuchtenden Computerbildschirm im Büro­container am Parkplatz Südtor. Normalerweise überprüft er hier die Papiere der Lkw-Fahrer, die bei ihm einchecken, um auf die Abfahrt der Fähren nach Dänemark, Schweden oder Litauen zu warten. Auf einem weiteren Monitor überwacht er einen Teil des weiträumigen Hafengeländes. In anderen Nächten ist hier immer etwas los, aber am 29. Dezember 2019 ist der Parkplatz so gut wie leer. Nur ein einzelner Lkw steht am Rand des Parkplatzes, außerdem zwei, drei Anhänger.

Als Segbedji vom Bildschirm aufblickt und durch ein Seitenfenster des Containers sieht, entdeckt er Rauch. „Ich dachte erst, dass der Rauch von außerhalb des Hafengeländes kommt, dass es in der angrenzenden Siedlung vielleicht brennt“, erinnert sich der damals 44-Jährige. „Dann bin ich aber doch raus, um mir das genauer anzusehen.“

Er öffnet die Tür des Containers, tritt in die Kälte und geht etwa 100 Meter weit. Dann erkennt er, dass der Rauch aus dem einzigen Lkw kommt, der auf dem Parkplatz steht. „Ich bin dann dichter rangegangen“, erzählt Segbedji. „Währenddessen wurde der Rauch immer mehr, schwarzer Rauch, der beißend roch.“ Segbedji rennt zurück zum „Häusl“, wie er sagt, zum Container. Er kommt aus Bayern und obwohl er schon seit elf Jahren in Rostock wohnt, spricht er noch ein warmes, bayerisch gefärbtes Deutsch. Vom Container aus ruft Segbedji zunächst die Feuerwehr an, die im Hafen stationiert ist, erreicht aber niemanden. Also wählt er die 112. „Was die Einsatzleitung am Telefon genau gesagt hat, weiß ich nicht mehr“, sagt er, „aber wohl, dass sie gleich kommen.“

Der 44-Jährige sprintet zurück zum Lkw, denn er befürchtet, dass der Fahrer noch im Wagen sein könnte. Jetzt kann Segbedji auch sehen, dass es darin brennt. Kaum ist er beim Fahrzeug angekommen, öffnet sich tatsächlich die Tür. Ein Mann stürzt aus der Fahrerkabine. Er steht in Flammen und schreit vor Schmerzen und wohl auch vor Angst. „Die Kleidung des Mannes hatte auf seiner linken Seite Feuer gefangen. Er brannte von der Schulter über den linken Arm und die Hüfte bis zum Bein“, berichtet Segbedji. „Ich habe ihn gepackt und vom Lkw und dem Feuer darin weggezogen.“ 

Der Verletzte schreit jetzt wie von Sinnen. Er versteht kein Deutsch, das wird Segbedji schnell klar, dennoch redet er auf ihn ein, versucht ihn zu beruhigen, erklärt, dass Feuerwehr und Krankenwagen unterwegs sind. Später wird er erfahren, dass es sich beim Brandopfer um einen 61 Jahre alten Bulgaren handelte. „Ich hatte nichts zum Löschen“, sagt der Retter, „deshalb habe ich den Mann auf den Boden gedrückt, sobald wir ein bisschen Abstand zum Lkw hatten.“ Aber die Flammen züngeln weiter aus der Kleidung des Mannes. Segbedji beginnt sie aus­zuschlagen. Wieder und wieder klatscht er mit der rechten Hand auf die Kleidung des Opfers. Dass er sich dabei selbst verbrennt, ignoriert er.

Wie lange dauerte es, bis alle Flammen gelöscht waren? „Schwer zu sagen. Vielleicht fünf, vielleicht zehn Minuten“, sagt der Retter. Als die Feuerwehr eintrifft, brennt der Mann jedenfalls schon nicht mehr. Dann sind auch Notärzte und Polizei vor Ort. Der Verletzte, der schwere Verbrennungen erlitten hat, wird mit Blaulicht und Sirene ins Krankenhaus gebracht. Segbedji beantwortet die Fragen der Beamten, während die Feuerwehr den Lkw löscht, dessen Fahrerkabine völlig zerstört ist. Die Polizei geht davon aus, dass der Fahrer beim Kochen mit Petroleum oder Gas eingeschlafen ist und die Kabine so in Brand gesteckt hat. Ohne Bona Segbedji hätte der Mann sicherlich nicht überlebt.

Dann ist alles wieder ruhig und der Retter zurück im Container und allein. Seine Schicht ist noch nicht zu Ende. Weitere drei Stunden sitzt er vor Computer und Bildschirm, bis er abgelöst wird. Da ist seine Hand schon voller Brandblasen. „Ich habe anfangs gar nicht damit gerechnet, aber das Feuer hat mir dann doch ganz schön zugesetzt“, sagt Segbedji. Immer wieder habe er an den brennenden Mann gedacht, den Geruch und das Schreien.

Als er eine Woche später in den Urlaub in seine alte Heimat Bayern fährt, besucht er einen Seelsorger. „Ich bin sehr gläubig“, sagt Segbedji, „da war das naheliegend.“ Viel gesagt habe der Geistliche nicht, ihm einfach nur zugehört, ein paar Nachfragen gestellt. „Das hat schon gereicht.“

Später belobigt das Innenministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern den mutigen Helfer öffentlich. Heute denkt Segbedji nicht mehr allzu oft an jenen Tag im Januar. Aber er ist noch immer froh, dass er damals helfen konnte.