Menschen

Autor: Craig Stennett

Peter Wohlleben - der Mann, der die Sprache der Bäume versteht

In Rheinland-Pfalz steht ein alter Wald. Förster Peter Wohlleben versteht die „Sprache“ der Bäume, die dort leben. Sein Buch „Das geheime Leben der Bäume“ war 125 Wochen auf Platz eins der Bestsellerliste.

© iStockfoto.com / SonerCdem

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Nahe der belgisch-deutschen Grenze zu Rheinland-Pfalz liegt ein Wald mit 4000 Jahre alten heimischen Buchen, der Ruheforst. Man erreicht ihn nur über gewundene, einspurige Straßen, die dicht von Bäumen gesäumt sind. Am späten Vormittag hat sich der Nebel über der Straße und den umliegenden Wäldern noch nicht gelichtet. Peter Wohlleben kümmert sich seit zehn Jahren um den Ruheforst. Der 52-jährige Förster sieht aus wie eine moderne Version der Baumhirten aus Tolkiens Roman. Mit seinen 1,95 Metern und seiner schlanken Statur ähnelt er den Buchen. Er wurde in Bonn geboren, hat Forstwirtschaft studiert und ist außerdem Autor.

Ein Buch darüber, wie Bäume zusammen leben

Mit „Das geheime Leben der Bäume“ landete er 2015 einen Bestseller. In seinem Buch verbindet Wohlleben die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über Bäume und deren Gesellschaftssysteme mit seinen eigenen Erfahrungen als Förster. Er verwendet eine Sprache, die auch für Laien verständlich ist und verweist auf wissenschaftliche Forschungsarbeiten, die seine Beobachtungen bestätigen. „Das meiste hört sich unglaublich an, wenn man es zum ersten Mal liest“, sagt Wohlleben, als wir uns im Forsthaus treffen. „Ich wollte den Lesern die Gelegenheit geben, meine Aussagen selbst nachzuprüfen. Mir war schon klar, dass mich manche Leute für ein wenig verrückt halten würden, deshalb war es so wichtig, das Ganze wissenschaftlich zu untermauern.“

Kommunizierende Wesen - Bäume „sprechen miteinander“, helfen sich gegenseitig

Wohlleben bezieht sich auf wissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, dass Bäume und der Wald mehr können, als wir uns jemals vorgestellt haben. Biologen wissen schon lange, dass Bäume in der Lage sind zu erzählen, sich zu erinnern und aus ihren Erfahrungen zu lernen. Mutterbäume, die ältesten und größten Bäume in einem Wald, geben ihr Wissen in Echtzeit an die Sämlinge weiter, die unter ihnen heranwachsen. Kranke Exemplare werden von ihren Nachbarbäumen unterstützt. In einem alten Wald teilen die Bäume Nährstoffe miteinander und leiten sie über ein verzweigtes Wurzelsystem weiter. Wohlleben redet von „Mutterbäumen, die ihre Jungen stillen“. Die Bäume „sprechen miteinander“, wie Wohlleben es ausdrückt, mithilfe von elektrischen Signalen über ein Netzwerk aus Pilzen und Wurzeln unter der Erdoberfläche. Wissenschaftler nennen es das Wood Wide Web, das waldweite Netz. Dieses Netz ist die Grundlage für die Kommunikation und gegenseitige Unterstützung im Wald. Werden Bäume von Schädlingen angegriffen, geben sie Duftstoffe (insbesondere Ethylen) als Warnsignale ab, die der Wind weiterträgt. Gleichzeitig werden über die Wurzeln elektrische Alarmmeldungen weitergeleitet. Somit ist die restliche Waldgesellschaft gewarnt und kann Verteidigungsmechanismen aktivieren.

Ruheforst - dieser Wald dient auch als Begräbnisstätte

Am Waldeingang kommen wir an einem großen Kreuz vorbei, an dem Kränze abgelegt sind. Nun wird klar, warum dieser Wald Ruheforst heißt. Wohlleben hatte die Idee, den Gemeindewald als Begräbnisstätte zu nutzen und ihn so finanziell unabhängig zu machen. Die Asche der Toten kann man am Fuß der Buchen verstreuen und eine Namenstafel am Baumstamm anbringen. Dafür wird eine Gebühr erhoben. Durch diese Einnahmen und weitere aus Führungen ist der Wald rentabel, und es müssen keine Bäume gefällt werden.

Seine Familie hält den alten Baum am Leben

An einem alten Baumstumpf unweit einer kräftigen Buche bleibt Wohlleben stehen und pflückt etwas Moos ab. Darunter ist die Baumrinde fest und zeigt keinerlei Anzeichen von Fäulnis. „Dieser Baumstumpf lebt noch“, sagt er. Dieses Phänomen, das von Forschern der University of British Columbia, Kanada, bestätigt wurde, macht nachdenklich. „Der Baum wurde vor 400 oder 500 Jahren gefällt. In der Mitte ist der Stumpf morsch, aber die Rinde ist frisch, und die Schicht darunter mit lebenswichtigem Splintholz und Kambium lebt. Ohne Fotosynthese der Blätter hätte der Stumpf sterben müssen. Dass er noch lebt, ist nur möglich, weil seine Wurzeln von den umliegenden Buchen mit einer Zuckerlösung ernährt werden. Andere Bäume – seine Freunde oder Familie im Wald – halten ihn am Leben!“

Nur Bäume alter Wälder kommunizieren viel und helfen einander

Erstaunlicherweise lassen sich solche Prozesse nur in alten Wäldern beobachten. In der heutigen Zeit bestehen Baumkulturen aus einzelnen Bäumen und verfügen nicht über das so wichtige unterirdische Netzwerk aus Pilzen und Wurzeln. Sie profitieren daher nicht von Nährstoffaustausch und Kommunikation. Solche Pflanzungen bestehen aus schnell wachsenden Hölzern, die deutlich anfälliger sind als ihre wilden Baumverwandten. „Als ich Privatforste in Deutschland und in der Schweiz besuchte, fiel mir auf, dass diese kräftigeres und wirtschaftlich wertvolleres Holz produzieren“, erinnert sich Wohlleben. „In meiner Ausbildung vor 25 Jahren lernte ich, den Wald unter sehr einfachen Gesichtspunkten zu betrachten. Der wirtschaftliche Wert eines Baumes wurde in Sekundenbruchteilen abgeschätzt, ohne das große Ganze zu verstehen.“

Konventionelle Forstarbeit sieht einen Baum nur als Holzlieferanten

Dann fährt er fort: „Konventionelle Förster verstehen so viel vom Wald wie ein Metzger vom Tierschutz. Das Wohlergehen eines Baums ist nur wichtig in Bezug auf das Nutzholz, das man daraus produziert.“ „Zu Beginn meiner Försterlaufbahn wusste ich es auch nicht besser, denn so hatte ich es gelernt. Als ich 1987 meine Stelle antrat, arbeitete ich wie alle Förster. Ich ließ Bäume fällen und besprühte die Stämme mit Insektiziden. Aber dann begann ich, das Ganze zu hinterfragen und dachte: ‚Was mache ich da? Ich zerstöre ja alles.“‘ „Vor rund 20 Jahren organisierte ich Blockhütten-Touren und Überlebenskurse in den Wäldern“, berichtet er weiter. „Was den Teilnehmern auffiel und was sie thematisierten, ließ mich meine eigene Wahrnehmung überdenken.“

Bäume leben in einer Sozialgemeinschaft

Wohlleben begann, sich ausführlich zu informieren und lernte, dass Bäume in natürlicher Umgebung in einer Sozialgemeinschaft leben. „Wie im Kommunismus“, sagt er. „Sie unterstützen die anderen Mitglieder ihrer Waldgemeinschaft bedingungslos.“ Seine Beobachtungen und sein ganzheitlicher Ansatz bei der Forstarbeit führten schließlich dazu, dass Wohlleben auf schwere Holzvollernter verzichtete. Denn sie verdichten den Boden und zerstören das lebenswichtige System aus Wurzeln und Pilzen. Der Förster führte wieder sogenannte Rückepferde ein. Alte Rassen wie das Rheinische Kaltblut unterstützen die Waldarbeiter wie in früheren Zeiten. Außerdem verwendet er keine Chemie mehr – der Wald soll sich natürlich entwickeln. „Natur bedeutet nicht immer, dass der Stärkere überlebt, wie wir es gelernt haben. Darwin war zu seiner Zeit ein Revolutionär, aber heute wissen wir, dass viele Arten nur erfolgreich sind, weil sie zusammenarbeiten. Und Wälder sind soziale Netzwerke.“

Mutterbäume beschützen ihre Sämlinge

„Im Wald ist schnelles Wachstum immer negativ. Mutterbäume schirmen ihre Sämlinge mit ihren ausladenden Kronen ab, die nur 3 Prozent des Sonnenlichts durchlassen. Langsames Wachstum der jungen Bäume ist nachweislich eine Bedingung für ein langes Leben. Schnelles Wachstum dagegen bedeutet frühes Sterben innerhalb von drei Jahren.“