Schauspieler Jürgen Vogel über die Erziehung von Kindern und Publikum
In bislang in mehr als 80 TV- und Kino-Produktionen spielt Jürgen Vogel meist Bösewichte. Seine Kinder erzieht er nach dem Leitsatz: Was du nicht möchtest, was dir selber passiert, das tu keinem anderen an.

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Er empfängt uns leise und zurückhaltend. Die charakteristischen Zahnlücken zeigt Jürgen Vogel erst, als er herzlich lacht. So sympathisch ist er in seinen Filmen nicht immer. In Der weiße Äthiopier (zu sehen am 21.12.2016 um 20.15 Uhr in der ARD) allerdings spielt Jürgen Vogel nicht den Schuft. In diesem Drama verkörpert er einen Mann, den ausgerechnet ein Bankraub auf den rechten Pfad bringt – bis ihn seine Vergangenheit einholt.
Reader’s Digest: Für „Der weiße Äthiopier“ haben Sie vor Ort gedreht. Was waren Ihre Eindrücke?
Jürgen Vogel: Ich dachte erst, das wird schwierig, mit dem Wohnen, Essen und der Sicherheit. Doch das Land hat mich total überrascht: Ich hab’ in meinem ganzen Leben noch nie so viele nette Menschen getroffen wie in Äthiopien, so neugierig, offen, höflich und gastfreundlich. Das Essen war super gesund, viel Gemüse, Fleisch. Und das alles, obwohl Äthiopien zu den ärmsten Ländern der Welt gehört.
Haben Sie sich etwas Besonderes nach Hause mitgebracht?
Kaffeebohnen – die ich noch nicht genießen kann, weil ich keine Mühle habe. Besonders beeindruckt hat mich aber, wie wichtig Religion dort sein kann, wo großes Leid und Armut herrscht. Wo wir gedreht haben, leben 50 Prozent orthodoxe Christen und 50 Prozent Muslime friedlich zusammen, weil die Religionen ähnliche Grundwerte haben. Das zu sehen, finde ich gerade jetzt wichtig: Denn was an vielen Orten mit dem Islam passiert, ist der Missbrauch einer Religion. Sie werden oft als negativer oder zweischneidiger Charakter besetzt.
Nervt Sie das?
Nee! Es macht voll Bock, prägnante Bösewichte zu spielen. Aber ich werte meine Figuren nie, weil sie schlimme Dinge tun. Jede Figur, selbst ein Krimineller, hat eine eigene Geschichte. Über die soll das Publikum urteilen. Was ich mir am meisten wünsche ist, dass ich Menschen mit einer Rolle berühre, zum Mitfühlen bringe. Das ist das Größte.
Können Filme Zuschauer denn zu besseren Menschen machen?
Zumindest sind sie eine gute Möglichkeit zu zeigen, dass die Dinge oft anders sind, als man erst denkt. Der Äthiopier raubt erst eine Bank aus und wird später rückfällig. Da denkt man schnell: Klar, der gehört halt in den Knast. Doch meist steckt mehr dahinter, wenn Menschen Fehler machen. Das stellt Dinge infrage – was wichtig ist für eine Gesellschaft.
Ihre Filmfigur wird in Äthiopien Vater. Sie selbst haben fünf Kinder. Wie gibt man die richtigen Werte weiter?
Ich glaube, am meisten prägt man durch Vorleben, als Vorbild. Tust du Gutes? Machst du Sport? Ansonsten habe ich unterstützt, dass sie selbst finden, was richtig für sie ist. Jeder hat eine andere Aufgabe.
Haben Sie Ihren Kindern nichts vorgegeben?
Doch, meine wichtigste Richtlinie in ethischer Hinsicht lautet: Was du nicht möchtest, was dir selber passiert, das tu keinem anderen an. Da kann man bei Kindern gut einhaken, indem man sagt: Stell dir vor, du wärst derjenige, dem das passiert. Ansonsten war nur eine Sache Pflicht: Alle mussten Kampfsport machen. Ich wollte, dass sie sich verteidigen können. Sonst kann man ja nicht schlafen, wenn sie nachts unterwegs sind.
Eine letzte Frage: Im Film sieht man Ihr großes Tattoo über Schulter und Arm. Gibt es eine Geschichte dazu?
Ja, sicher (lacht schelmisch). Aber die erzähle ich nicht. Es gehört einfach zu mir. Ich mag es gern und ich wollte das auch immer.
Zur Person:
Jürgen Vogel wurde am 29. April 1968 in Hamburg geboren. Er zog bereits mit 15 Jahren von zu Hause aus und ging später nach Berlin. Früh feierte er auch ohne einschlägige Ausbildung Erfolge, oft in der Rolle von Rechtlosen oder Entrechteten, bislang in mehr als 80 TV- und Kinoproduktionen. Der für sein intensives, körperliches Spiel vielfach preisgekrönte Schauspieler lebt in Berlin. Vogel hat fünf Kinder mit verschiedenen Partnerinnen.