Auf der Glasstraße
Im Bayerischen Wald ist ein uraltes Handwerk zuhause. Auf der 250 Kilometer langen Glasstraße finden Geschichte und Gegenwart der Glasbläserkunst zueinander.

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Der „Weber Sepp“ ist ein Glasmacher der alten Schule. Bläst die Backen auf, pustet ins Stahlrohr, formt mit der Zange die glühende Glasmasse, die zäh wie Honig an der Spitze der Glasmacherpfeife klebt. Eh man sich’s versieht, ist daraus eine kleine Katze geworden, der er nun die Ohren langzieht. Vor 54 Jahren hat Josef Weber im Bayerischen Wald die Kunst des Glasblasens erlernt. Damals war er 14 und einer von vielen Buben, die nach der Schule in die Glashütte geschickt wurden. Es waren die goldenen Zeiten des Wirtschaftswunders. Fast in jeder Familie gab es noch einen Glasmacher. Jetzt ist Josef Weber 68 Jahre alt und immer noch aktiv. Täglich demonstriert er den Touristen im „Joska Glasparadies“ sein Handwerk. „Da, schau her“, sagt er zu einem Mädchen. Die 13-Jährige will ihre eigene Glaskugel blasen. Fünf Euro kostet das Ganze. Alles muss schnell gehen, weil sonst die Glasmasse erstarrt. Mit Sepp an der Seite ist das kein Problem. Er taucht die Glasmacherpfeife in den Schmelztiegel, zieht die 1200 Grad heiße Masse aus dem Ofen, formt sie mit geübten Atemstößen vor. Dann kommt der große Moment des Selberblasens. „Jetzt, stärker, stopp!“ In weniger als einer Minute ist alles vorbei – und Sepp mehr als zufrieden: „Gut hast es g’macht, da nimmst dir noch einen Glastaler mit.“
Das „Joska Glasparadies“ in Bodenmais ist eine Station auf der Glasstraße im Bayerischen Wald. Ein riesiges Einkaufszentrum mit Restaurant, Garten und Glasblumen. Eine Million Besucher strömen jährlich hin. Der Hersteller hat sich auf Lampen und Glaspokale spezialisiert. Und auf Touristen, die etwas erleben wollen. Die Glasstraße ist 250 Kilometer lang. Eine Ferienroute, auf der der rasante Wandel des Handwerks deutlich wird: Viele alte Hütten sind verschwunden, zahlreiche Schaubetriebe hinzugekommen. Wo früher in jedem Ort die Schlote rauchten, brüten heute die Glaskünstler über ihren eindrucksvollen Werken. Zum Beispiel Rudolf Schmid: Der 78-Jährige hat in Rauhbühl bei Viechtach eine gläserne Scheune geschaffen mit sechs großen Wandbildern, die zwischen alten Wagenrädern und Dreschflegeln Geschichten erzählen: der wundersame Mühl-Hiasl, der renitente Räuber-Heigl – verewigt auf Glasflächen, die so groß sind wie Kinoleinwände. Auch Erwin Schmierer aus Spiegelau veredelt Glas. Schleift und graviert es, taucht es in die schillerndsten Farben. Skulpturen sind seine Spezialität.
Handwerk mit jahrhundertelanger Tradition
Seit 700 Jahren wird im Bayerischen Wald Glas produziert. Im Glasmuseum Frauenau wird die Geschichte der Herstellung lebendig. Vor 4000 Jahren vermutlich per Zufall in Mesopotamien entdeckt, breitete sich das Glas bald in der gesamten antiken Welt aus. Bereits 100 vor Christus erfand man die Kunst des Glasblasens und konnte Gefäße herstellen. Am Grundprinzip der Glasmacherei hat sich in den vergangenen 2000 Jahren nicht allzu viel verändert. Quarzsand, einst ebenfalls in rauen Mengen im Bayerischen Wald vorhanden, ist der Hauptbestandteil, ergänzt um Pottasche oder Soda, die das Gemenge flüssig machen. Kalk verleiht dem Glas seine Stabilität, sodass der Bläser es in Form bringen kann. In Frauenau gibt es noch immer zwei aktive Glashütten. Dort wird bis heute für den Markt produziert. Die Glasmanufaktur Poschinger ist seit 450 Jahren in Familienbesitz. Hier residiert Benedikt Freiherr Poschinger von Frauenau, der bereits in der 15. Generation Glas herstellt. Seine Besucher erwartet eine historische Ofenhalle, in der mehr als 3000 Mustergefäße aus Gegenwart und Vergangenheit stehen. Die Öfen laufen rund um die Uhr und machen aus dem pulvrigen Gemisch in zwölf Stunden eine zähflüssige Glasmasse, in die zusätzlich noch Scherben der Vorproduktion hineingeschmolzen werden. Bei Poschinger ist alles Handarbeit. Selbst die Holzformen werden in der eigenen Dreherei gefertigt. Man braucht sie, damit das Endprodukt exakt jene Abmessungen erhält, die der Kunde bestellt hat. Längst hat sich der Freiherr von der Massenproduktion verabschiedet und auf Sonderanfertigungen spezialisiert: hochwertige Designerstücke, Nachbildungen alter Jugendstil-Lampen – alles „handmade in Germany“. „Nur so kann man heute überleben“, erklärt Herbert Kammermeier, der bei Poschinger für die Führungen verantwortlich ist.
Entlang der Glasstraße findet man noch viele weitere Spezialisten: Lamberts in Waldsassen versteht sich auf die alte Kunst der Butzenscheiben, Flabeg in Furth im Wald auf die moderne Herstellung von Autospiegeln, Theresienthal in Zwiesel auf die königliche Veredelung von Stielkelchen. Mit der Zwiesel Kristallglas AG hat sich sogar ein großer Produzent im Bayerischen Wald gehalten: Die maschinell gefertigten Trink- und Weingläser von Schott-Zwiesel gehören zu den bekanntesten Gastronomiemarken in Deutschland und die gläsernen Ceran-Kochfelder zur Standardausstattung vieler Küchen. In Zwiesel gibt es außer einer Glasfachschule, die von Absolventen aus ganz Deutschland besucht wird, auch ein Bauwerk, das seinesgleichen sucht: 11,6 Tonnen schwer und 8,06 Meter hoch ist die gläserne Pyramide, die aus 93.665 Weinkelchen errichtet wurde. Fein säuberlich übereinander gestapelt und nirgendwo befestigt, stehen sie wie eine Eins. Weltrekord! Das bizarre Bauwerk ist fast so faszinierend wie der gläserne Wald in Regen gegenüber der Burgruine Weißenstein. Immergrün und immerblau ist er – und ein bezaubernder Anblick.
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