Der Rhein am Bodensee - fließende Grenze
Der Rhein gestaltet den Bodensee und ist prägend für die einladend schöne und manchmal auch wilde Flusslandschaft rund um das "schwäbische Meer".

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Unter einem rotweißen Kirchturm spielt jemand leise Geige. Vögel singen in den alten Uferbäumen. Im Garten blühen rosarote Magnolien, und auf den Wiesen am Wasser leuchtet das frische Gras in der Morgensonne. Frühling auf der Klosterinsel Rheinau. Verträumt liegt sie in einer weiten Flussschleife. Wie ein großer Freund nimmt der Rhein das kleine Kloster in seine Arme, bevor er seine weite Reise in den Westen fortsetzt. Rheinau ist einer der schönsten Plätze am Hochrhein, dem Flussabschnitt zwischen Bodensee und Basel. Ein Ort der Ruhe, des Landlebens und uralten Weinbaus, nur wenige Kilometer von Schaffhausen entfernt. Eine Klanginsel. Junge Geiger kommen hierher zum Üben, Sänger und Klavierschüler proben im nationalen Musikzentrum. Wo einstmals Benediktinermönche ihre Choräle anstimmten, erfüllt heute klassische Musik die alten Klostermauern.
Ganz dicht liegt das Schweizer Dorf Rheinau an der Grenze, die der Hochrhein hier zwischen Deutschland und der Schweiz zieht, zwischen Südbaden und den Kantonen Zürich, Aargau, Thurgau, Basel und Schaffhausen. Die 140 Kilometer lange Reise des Hochrheins beginnt im schweizerischen Stein am Rhein. An den Ufern der alten Fachwerkstadt mit ihren Türmchen, Treppengiebeln und Fassadenmalereien entlässt der Bodensee sein Wasser wieder in den Fluss, der nun Kurs Richtung Westen nimmt. Eine turbulente Strecke, auf der er rund 150 Höhenmeter verliert, bevor er hinter Basel zum Oberrhein wird und nach Norden weiterzieht.
Rheinfall bei Schaffhausen
Die größten Turbulenzen schafft der Rheinfall bei Schaffhausen. Bis dahin fließt der Hochrhein in seinem ursprünglichen Bett mit naturbelassenen Ufern, Kies- und Sandbänken. Keine Staustufe stört das Bild. Es ist ein Königreich für Schwimmer, Radler, Bootfahrer und Flussfische, allen voran die Äsche. Nur wo Strömung, Temperatur und Wasserqualität stimmen, kann der bekannteste Hochrheinfisch überleben. Die 20 Kilometer lange Flussfahrt von Stein bis Schaffhausen entlang dicht bewachsener Ufer mit kreischenden Wasservögeln, Sumpfschildkröten und Bibern ist für viele das schönste Stück Hochrhein. Diese Idylle endet abrupt am Rheinfall bei Schaffhausen.
Der mächtigste Wasserfall Kontinentaleuropas teilt den Hochrhein in zwei Abschnitte. Ein unüberwindbares Hindernis für die Schifffahrt, das man im 19. Jahrhundert tatsächlich sprengen wollte. Was für ein Albtraum! Er wurde zum Glück nie wahr. So blieb der Rheinfall der donnernde Höhepunkt des Flusses, seine größte Attraktion. 400.000 Liter Wasser schießen pro Sekunde über die Felsen. Ein Spektakel der Natur aus weiß schäumender Gischt inmitten grüner Ufer und malerisch gelegener Aussichtsschlösschen. Nach der Schneeschmelze im Frühjahr, wenn sogar bis zu 1,2 Millionen Liter pro Sekunde hindurchrauschen, zeigt sich der Rheinfall in seiner größte Wildheit und Pracht.
Rheinfallfelsen: grollender Fluss, zitternde Knie
Dann beginnt die Saison für Thomas Mändli (44) und seine kleinen Fährschiffe. Seit fünf Generationen fahren die Schweizer Mändlis Menschen aus aller Welt von Schlössli Wörth auf die gegenüberliegende Flussseite oder zum Rheinfallfelsen. Der nur per Boot erreichbare Felsen inmitten des Wasserfalls ist ein Wunder der Natur, das man bestiegen haben muss, selbst wenn dabei die Knie zittern. 98 steile Stufen geht es hinauf, dann steht man im Herzen der tosenden Fälle und hört nur noch den Fluss grollen. „Wenn das Wasser spricht, schweigt der Mensch“, sagt der erfahrene Kapitän Mändli. Unzählige Male haben Menschen versucht, mit ihrem Boot den Rheinfall hinabzufahren, was zumeist in einem Fiasko endete. Auch den Komiker Heinz Erhardt hätte es beinahe erwischt. Im Wirtschaftswunderfilm „Drei Mann in einem Boot“ steuert er mit Walter Giller und Hans-Joachim Kulenkampff schnurstracks auf den Rheinfall zu und freut sich wie ein Kind über die Strömung. Erst im letzten Moment schaffen die Herren es, einen R(h)einfall zu verhindern.
Die spektakulärste Stelle des Hochrheins gehört ganz den Schweizern. Wie ein herausgebrochenes Puzzle-Teil schiebt sich der Kanton Schaffhausen nach Südbaden hinein. „Die Leute sind manchmal verwirrt und sprechen vom deutschen Ufer“, sagt Thomas Mändli lächelnd, der schon von Kindesbeinen an mit seinem Vater am Rhein unterwegs war. Die Laufenburger hatten mit ihrem Rheinfall nicht so viel Glück wie Thomas Mändli. Auch in der kleinen Stadt bei Waldshut ein Stück flussabwärts gab es einmal gefährliche Stromschnellen. Mit großer Wucht hatte sich der Rhein dort in das Felsmassiv zwischen Südschwarzwald und Schweizer Juragebirge hineingegraben. Eine zwölf Meter enge Schlucht, durch die das Wasser peitschte. 1908 wurde sie zugunsten eines Kraftwerks gesprengt und der wilde Flusslauf gezähmt. Seither können dort auch Schiffe verkehren.
Laufenburg ist eine geteilte Stadt.
1801 fiel die Nordhälfte an Baden, die Südhälfte ging an die Schweiz. Am Stadtbild mit den bunten, ans steile Ufer gebauten Häusern lässt sich heute noch erkennen, dass beide Teile eigentlich zusammengehören. Bei jeder Stadtführung überschreitet man die Landesgrenze, Teilnehmer werden gebeten, einen Personalausweis zum Rundgang mitzubringen. Grenzkontrollen finden allerdings nur selten statt. Die kleinen Fußgängerbrücken, die die Orte diesseits und jenseits des Rheins verbinden, stehen nicht im Fokus der Zollfahnder.
Die eigenartigste Grenzgemeinde am Hochrhein ist Büsingen. Der deutsche Ort liegt komplett im Schweizer Staatsgebiet. Der Grund: Religiöse Streitigkeiten im 17. Jahrhundert gipfelten darin, dass Schaffhausen den Vogt von Büsingen entführte. Das entzürnte die Habsburger Besitzer von Büsingen heftig. Sie verfügten, dass die Gemeinde österreichisch bleiben sollte. Büsingen wurde schließlich badisch. Alle Bemühungen in der Folge (zuletzt 1956), die Enklave in die Schweiz einzugliedern, waren vergeblich. Seither gibt es in dem Ort zwei Telefonvorwahlen, zwei Postleitzahlen und ein eigenes Autokennzeichen für die 1400 Einwohner. Und der FC Büsingen ist der einzige deutsche Fußballclub, der dem Schweizer Fußballverband angehört.
Ursula Barner ist gebürtige Büsingerin. Seit gut 30 Jahren unterrichtet sie an der dortigen Grundschule. Sie verdient ihr Geld in Euro und gibt doch das meiste in Schweizer Franken aus. Selbst die Tankstelle schreibt ihre Spritpreise in Schweizer Währung aus. „Ich trage immer zwei Geldbeutel bei mir“, sagt die 59-Jährige. Seit der Franken so hoch bewertet ist, haben die Büsinger ein verschärftes Einkommensteuerproblem und kämpfen für angepasste Sätze. „Sonst wandern noch mehr junge Menschen in die Schweiz ab“, befürchtet die Lehrerin und langjährige Gemeinderätin. Für sie selbst ist ein Umzug in die Schweiz undenkbar. Sie liebt ihren Heimatort, besitzt ein schönes Haus am Fluss.
Am Ufer schaukelt ein Boot im Wasser: Weidlinge heißen die flachen Holzkähne, die Gondeln gleich durchs Wasser gestakt oder gerudert werden. Früher brachten die Mändlis damit sogar ihre Gäste zum Rheinfall, jetzt sind die Weidlinge als Freizeitgefährte wieder groß in Mode. Wenn es draußen wärmer wird, packt Ursula Barner ihre Badesachen und geht im Rhein schwimmen, der in einer ruhigen Schleife um Büsingen herumfließt. Am Hochrhein herrscht ein mildes Klima, die Blumen blühen ein wenig früher als weiter oben im Schwarzwald, Wein wächst an den Hängen. Fast überall baden die Menschen hier gerne im Fluss. Für die Schweizer ist das fast ein Nationalsport, doch die Deutschen kommen zunehmend auf den Geschmack.
Auch die Baseler verstehen sich aufs Rheinschwimmen. An der Mittleren Rheinbrücke kann man sie bei warmem Wetter in den kühlen Fluten treiben sehen. Das Bauwerk markiert die Grenze zwischen Hochrhein und Oberrhein. Der Abschied des großen Flusses von den Schweizer Eidgenossen. Den Deutschen bleibt der Rhein ja noch ein Weilchen erhalten, nur dass es am anderen Ufer erst mal „Bonjour“ statt „Grüezi“ heißt.
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