Reise

Autor: Cornelia Krappel

Des Spreewalds wunderbare Wasserwelten

Die Fließe und Kanäle im Spreewald führen zu lebendigen Traditionen und regionalen Köstlichkeiten. Hier kommt sogar die Post mit dem Kahn.

Des Spreewalds wunderbare Wasserwelten

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©istockfoto.com / RicoK69
Yvonne Huber bricht von Schlepzig ins Labyrinth der Fließe auf. Die natürlichen Bäche und Gräben bilden mit künstlichen Kanälen das fein verzweigte, schier endlose Wassernetz des Spreewalds. Es ist Hubers Revier. Sie ist hauptberuflich Fährfrau. Um ihren Kahn zu bewegen, stößt sie sich stehend mit dem Rudel, einer 4,10 Meter langen Stange aus biegsamer Esche, vom Fließgrund ab. Staken heißt diese typisch Spreewälder Fortbewegungsart. Bis zu 19 Gäste passen auf Hubers Kahn. Sanft gleitet er mitten hinein in das verwunschen wirkende Flussdelta, das dem Spreewald seinen Zauber verleiht.
Das beliebte Ausflugsgebiet erstreckt sich im Osten Brandenburgs und südlich von Berlin. Keine Stunde dauert die Anreise aus der Hauptstadt mit dem Auto oder der Bahn. Auf einer Fläche von 75 Kilometer Länge und bis zu 16 Kilometer Breite finden sich im Spreewald nicht nur mehr als 1500 Kilometer an Wasserwegen, sondern auch jede Menge Kultur- und Naturdenkmale.
Einheimische wie Yvonne Huber helfen gern bei der Orientierung. Die 47-Jährige lieh sich schon in ihrer Jugend gern Opas Kahn oder den der Eltern. „Freunde drauf, ein Kasten Bier – und ab in die Natur“, sagt sie. Obwohl die Fährleute der Region meist Männer sind, sieht sich Huber nicht als Vorkämpferin. „Früher stakte schließlich auch jede Frau und jedes Kind.“ Noch bis vor wenigen Generationen war der Kahn hier Hauptverkehrsmittel. Huber zeigt das gern beim Schippern durchs Dorf Schlepzig, dort säumen alte Scheunen das Ufer. „Das Holz aus dem Wald und die Erträge vom Feld wurden per Kahn reingeholt.“ Im Dorf ragt auch der Weidendom auf, der aus lebenden Weiden geflochten ist und daher im Frühjahr eine zartgrüne Kuppel trägt. Im Innern lassen sich Dorfbewohner gern trauen, berichtet Huber. „Und oben im Geäst landen die Störche – dann beginnt im Spreewald der Frühling.“ In dieser Zeit des Natur­erwachens steuert sie die Sümpfe um den Aussichtsturm Wussegk an, wo Sumpfdotterblumen blühen und Märzenbecher im Erlenbruchwald sprießen.

Mit der sorbischen Sprache bleibt die Kultur lebendig

Ihre Gäste beobachten dann Biber bei der Arbeit, hören das Pfeifen der Eisvögel, das „Kiwit-kiwit“ der Kibitze und das muntere Pochen der Spechte. „Runterkommen. Die Stille hören“, dazu lädt Yvonne Huber ein. Aber sie hat auch viel zu erzählen, denn um den Spreewald, mit seinem Nebel, den dunklen Mooren und wuchernden Wasserpflanzen ranken sich viele Sagen – vom Schlangenkönig, dem Wassermann, der Mittagsfrau. Sie zählen zum Kulturgut der Sorben und Wenden. Das slawische Volk siedelte bereits im sechsten Jahrhundert im Spreewald. Huber stakt stets in wendischer Arbeitstracht, mit Haube, Blaudruckrock und Blütenmusterbluse. Und sie lernt Sorbisch, im Winter, wenn der Kahn im Hafen ruht. „Die Sprache erzählt wahnsinnig viel über die Kultur.“


Dass die Bräuche in den Familien und Dörfern fortleben, zeigt sich besonders zu Ostern, dem wichtigsten sorbisch-wendischen Fest: In Dissen singen Frauen in tiefschwarzer Tracht sorbische Osterchoräle. In Kerkwitz zieht eine Prozession fahnentragender Osterreiter los. Auf der Lübbener Schlossinsel lassen Kinder bemalte Eier um die Wette kullern. Und auf den Festwiesen vieler Orte flackern Osterfeuer, um die sich Bewohner wie Besucher scharen.

Aus einem Urwald wurde Ackerland für die Bauern

Um neben der Kultur auch die Naturschätze des Spreewaldes zu bewahren, wurde er bereits 1990 zum Biosphärenreservat erklärt. Die Wälder, Wiesen, Fließe und Sümpfe bieten Schutz für rund 18 000 Tier- und Pflanzenarten. Die Ursprünge der Landschaft reichen bis zum Ende der Weichsel-Kaltzeit zurück, als abfließende Schmelzwasser eine breite Niederung gruben, das Baruther Urstromtal. In dieses Tal strömte die Urspree. Mitgeschwemmter Sand lagerte sich ab und schuf die verästelten Fließe. An Land ließen Überflutungen dichte Erlenbruchwälder wachsen und weite Flächen versumpfen. Die ersten Siedler zähmten den undurchdringlichen Urwald, bauten Deiche und Kanäle, legten Sümpfe trocken, holzten Wälder ab und schufen Ackerland.
Bis heute zeigt sich der Spreewald bäuerlich geprägt. Nicht nur blieben viele der alten Bauernblockhäuser erhalten, nein, auf den Feldern rings um die Dörfer wird weiter fleißig geackert. Auf den torfig-feuchten Böden gedeihen zum Beispiel die berühmten Spreewälder Gurken. Jede Gurken-Einlegerei schwört auf ihr eigenes Rezept, mit Dill, Knoblauch, Honig oder Piment. Den Weißkohl treten die Bauern mit Füßen: In riesigen Bottichen werden die Kohlköpfe unter Zugabe von Salz und Kümmel zerstampft, in wochenlanger Gärung entsteht daraus Original-Spreewaldsauerkraut.
Leibspeise der Spreewälder sind Pellkartoffeln mit Sahnequark, den sie mit einer köstlichen Zugabe verfeinern: Leinöl. Das gilt nicht nur wegen seiner Farbe als „Spreewaldgold“, sondern auch, weil es so gesund ist: Das Öl kann den Cholesterinspiegel senken, die Gedächtnisleistung steigern, die Verdauung fördern und Entzündungen hemmen. Ein Wundermittel, im Spreewald in kleinen, braunen Flaschen verkauft. Das heilsame Geheimnis des Leinöls lässt sich in Straupitz lüften. Der Ort im Oberspreewald ist neben seinem Uralt-Eichenhain Byttna vor allem für die hölzerne Holländerwindmühle von 1850 berühmt. Sie ist nicht nur besonders fotogen, mit ihr und in ihr wird bis heute Holz gesägt, Korn gemahlen – und Leinöl gepresst.

Herstellung ohne Strom und App: Leinöl wie vor 100 Jahren

„Wir machen hier noch Leinöl wie 1910“, sagt Torsten Schulz. Der 52-Jährige arbeitet in der Mühle als Ölmüller. Die klappernden, ratternden Maschinen um ihn herum gehörten schon damals zur Einrichtung. „Sie funktionieren ohne Strom, ohne App – und noch immer wie am ersten Tag“, sagt Schulz. Der Betrieb gilt deutschlandweit als letzter, der nach alter Sitte produziert. Brotstückchen liegen bereit, um das kalt gepresste Öl zu probieren. Es schmeckt frisch, leicht nussig und gar nicht bitter. Bei seiner Oma gab es Leinöl immer mit Zucker, erzählt Schulz. „Spreewaldbonbon“, sagen Einheimische. In Kindertagen spielte Schulz auf dem Mühlengelände, das damals eine Ruine war. Mit viel Mühe und Liebe wurde die Anlage restauriert und wieder in Gang gebracht. Die Spreewälder führen ihre Traditionen fort.

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