Reise

Autor: Peter Hummel

Die Lustschlösser Ludwigs II.: Neuschwanstein, Herrenchiemsee und Linderhof

Wer die Punktschlösser Ludwigs des II. besucht, ist beeindruckt vom Pomp und dem Aufwand, der einst betrieben wurde, um sie zu errichten.

© iStockphoto.com / sorincolac

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Lieber Himmel, dieser König hatte Geschmack!“, flüstert Colleen Miller ergriffen. Die 65-Jährige aus Atlanta in den USA steht mit ihrer Reisegruppe staunend vor einem übergroßen Bett unter einem schweren, blauen Baldachin. Über ihr Urteil ließe sich natürlich streiten, aber die französischen Monarchen der Barockzeit im 17. und 18. Jahrhundert – allen voran der Sonnenkönig Ludwig XIV. – brauchten große Betten in großen Schlafzimmern, weil diese zugleich als Audienz-Zimmer dienten. Dort empfingen sie ausgewählte Gäste sowohl kurz nach dem Erwachen als auch vor dem Zubettgehen und demonstrierten damit ihre Macht. Ganz nach dem Motto: Was du zu sagen hast, kannst du mir auch beim An- oder Auskleiden mitteilen.

150 Jahre später: Weil König Ludwig II. von Bayern all das liebte, was einst am französischen Hof gang und gäbe war, ist sein Schlafzimmer in Schloss Linderhof der größte Raum im ganzen Gebäude, samt Besucher-Stühlen und sakral anmutenden Standleuchtern. Das königliche Anwesen in den Ammergauer Alpen ist zweifelsohne ein Kleinod. Vor allem die japanischen, chinesischen, italienischen und amerikanischen Touristen sind dermaßen davon fasziniert, dass sie auf den historischen Dielen so ehrfurchtsvoll dahinschreiten, als sei der König anwesend und sie könnten ihn stören. Tatsächlich ist Ludwig spürbar allgegenwärtig – jener bayerische Monarch, der mit 18 Jahren den Thron bestieg und von einer Welt mit Gebäuden und Räumen träumte, die schon zu seiner Zeit antiquiert und dekadent gleichermaßen wirkten. „Er war ein Fantast“, sagt der Fremdenführer in Schloss Linderhof, „einer, der davon träumte, hier in den bayerischen Bergen ein Versailles nachzubauen.“ Man könne ihn deshalb natürlich für verrückt erklären, aber bitte, darüber möchte er sich als Bayer kein Urteil erlauben.

 

Ein versenkbarer Esstisch

Er führt die Gruppe zwei Zimmer weiter in den Speiseraum zu einem Esstisch, der ins Stockwerk darunter versenkt werden konnte. Dort wurde er gedeckt und anschließend wieder nach oben gekurbelt. „Tischlein-Deck-Dich“ heißt die Vorrichtung passenderweise. Colleen Miller aus Atlanta will wissen, ob sie noch funktioniert. „Selbstverständlich“, sagt der Reiseführer, „sie ist allerdings stillgelegt, weil die Porzellanblumen auf dem Tisch bei der kleinsten Bewegung kaputtgehen könnten.“

Der König lebte nachts und schlief tagsüber

Rund vier Kilogramm Gold hätten die Baumeister damals im Schloss verarbeitet, auch im Schlafzimmer, an dessen Wänden unzählige Stuck-Elemente glänzen. Richtig genießen konnte der König das aber gar nie, weil er seit dem Jahr 1875 nachts lebte und tagsüber schlief. Er nannte das eine „ideal-monarchisch-poetische Einsamkeit“, und seine Schlösser sollten die Kulisse dazu sein. So entstand im Spiegel-Zimmer auf Linderhof ein Meisterwerk der Illusions-Technik: Fast ein Dutzend großer Spiegel sind so in dem Raum angeordnet, dass der Eindruck einer unendlichen Raumflucht entsteht – egal, wo der Betrachter sich befindet. Kaum vorstellbar, wie das gewirkt haben muss, wenn mehr als 100 Kerzen brannten und inmitten dieser gespiegelten Pracht der König einherschritt.
Nicht weniger bombastisch inszenierte er sich in der Venusgrotte, einer mystischen Tropfsteinhöhle außerhalb des Schlosses. Ludwig ließ in dieser zur damaligen Zeit größten künstlichen Grotte der Welt Fackeln entzünden und Wagners „Rheingold“ spielen, während er über den See ruderte und die ausgesetzten Schwäne fütterte. In Linderhof und Schloss Herrenchiemsee brachte der „Kini“, wie sie ihn in Bayern bis heute liebevoll nennen, seine Liebe zu Frankreich zum Ausdruck.

Neuschwanstein – Sinnbild für die deutsche Sagenwelt

Bei Füssen im Allgäu entstand sein Sinnbild für das Mittelalter und die große deutsche Sagenwelt: Neuschwanstein. Am 12. Dezember 1880 verbrachte Ludwig hier seine erste Nacht, die erste von nur rund 170. Wer auf seinen Spuren die Treppen im Turm nach oben steigt, erreicht den Thronsaal, der sich über das dritte und vierte Stockwerk erstreckt und wie eine Kirche wirkt. Dieser Raum macht die Herrschafts-Auffassung des Monarchen deutlich, nämlich der Mittler zwischen Gott und der Welt zu sein. Deshalb sollte an der Stelle, wo in einer Kirche der Altar steht, sein Thron platziert werden. Sollte, denn der Thron wurde nach dem Tod von Ludwig II. im Jahr 1886 nicht mehr ausgeführt. Sechs Wochen nach dem mysteriösen und bis heute ungeklärten Ableben des Königs am Starnberger See kamen bereits die ersten Besucher nach Neuschwanstein. Auch das einfache Volk wollte wissen und sehen, was sich sein Monarch da erträumt und erschaffen hatte – jedenfalls zum Teil, weil Neuschwanstein nie vollendet wurde. Sie bewunderten den Sängersaal, der sich über das gesamte vierte Obergeschoss des östlichen Gebäudes zieht. Nach dem Vorbild von Richard Wagners Oper „Tannhäuser“ sollten hier Sänger-Wettbewerbe stattfinden.

Heute steht Kathrin Grabauer (42) mit ihrer Familie in diesem Saal und wundert sich, warum der König damals von seinen Ministern für verrückt erklärt wurde. „Er hatte vermutlich einen Tick und lebte in seiner eigenen Welt“, sagt sie. „Er hat auch viel zu viel Geld ausgegeben, aber wenn man seinerzeit gewusst hätte, dass jährlich Millionen von Menschen diese sagenhaft ausgestatteten Räume bewundern, hätten sie ihn vermutlich einfach machen lassen sollen.“ Andererseits, fährt der Schloss-Führer bei seinem Rundgang durch Neuschwanstein fort, dürfe man auch nicht vergessen, dass Ludwig II. an seinen noblen Schreibtischen in seinen fantastischen Märchen-Schlössern rund 100.000 Schriftstücke signierte, darunter nicht nur Bestellungen für Elfenbein und Edelhölzer, sondern auch Mobil-Machungen und Todesurteile.

Seine Schlösser betrachtete Ludwig als geweihte Stätten

Auf Schloss Herrenchiemsee, seinem auf einer Insel im Chiemsee gelegenen „Tempel des Ruhmes“, verbrachte König Ludwig übrigens nur neun Tage. Das Beratungszimmer, ein in Weiß, Blau und Gold gehaltener Saal, hat er nie benutzt. Wäre es nach dem Wunsch des Monarchen gegangen, kein Besucher hätte jemals das in Herrenchiemsee ausgestellte Gemälde sehen dürfen, das ihn in einer erhabenen Pose nach dem Vorbild des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. zeigt – einem Leitmotiv für Ludwigs Leben. Der König betrachtete seine Schlösser als geweihte Stätten. Orte, die „der Blick des Volkes entweihen und besudeln“ würde.

Colleen Miller ist deshalb besonders vorsichtig und putzt sich die Nase erst, als sie wieder draußen ist im Garten von Linderhof. In ihrer Handtasche steckt ein Porträt von Ludwig II., das sie sich im Andenkenshop gekauft hat. Es soll zu Hause in Atlanta einen Ehrenplatz neben Michael Jackson bekommen.