Ein Herz für Elefanten
Die Thailänderin Lek Chailerts nimmt im Elephant Nature Park Dickhäuter auf, die misshandelt worden sind.

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Im bergigen Norden Thailands treffe ich im Dschungel auf ein zweijähriges Elefantenkalb. Mit dem Rüssel durchsucht es meine Tasche. Als es dort nichts Nennenswertes findet, greift es nach der Kamera, die um meinen Hals hängt. Wäre der Dickhäuter größer gewesen, hätte ich ihm die Kamera wohl überlassen müssen, aber Pyi Mai ist nur einen Meter groß und 230 Kilogramm schwer. Mir sind schon größere Ponys begegnet. Doch bevor der kleine Elefant von mir ablässt, sabbert er noch mein Objektiv voll. Ich bin im Elephant Nature Park, einem Schutzgebiet, in dem 118 Elefanten leben. Die erwachsenen Tiere haben Schreckliches erlebt, bevor sie hierher kamen: Einige sind verkrüppelt, andere blind. Fast alle sind traumatisiert. In ihrem neuen Zuhause sind sie zweifellos glücklicher als je zuvor.
In Chiang Mai, einer Stadt 100 Kilometer südlich des Elephant Nature Parks, gibt es wunderschöne Tempel, die jährlich bis zu sieben Millionen Touristen anziehen. Für diejenigen, die Elefanten lebendig und laut trompetend sehen wollen, ist ein Ausflug in dieses Reservat eine bequeme Tagestour. Chiang Mai ist außerdem ein beliebtes Zentrum für digitale Nomaden, was der eigentliche Grund meiner Reise ist: Ich suchte einen Ort, wo ich mich für ein paar Jahre niederlassen wollte, um an meinem nächsten Roman zu schreiben. Ursprünglich wollte ich einige Co-Working-Spaces und Cafés anschauen, hatte aber nicht damit gerechnet, dass ich mich zum engagierten Fürsprecher eines Elefantenschutzgebiets entwickeln würde. Der Elephant Nature Park mit seinen vielen Ablegern in anderen Ländern ist das Lebenswerk von Saengduean Chailert. Vor mehr als 20 Jahren wurde sie für ihren unermüdlichen Einsatz für die Elefanten in Asien international berühmt. Sie stammt aus einem Bergvolk und war damals die einzige Frau aus ihrem Dorf, die eine Schule besuchte. 2001 würdigte die Ford Foundation sie als „Hero of the Planet“ (Heldin des Planeten). Das Time Magazine verlieh ihr 2005 den Titel „Hero of Asia“ (Heldin Asiens). Und 2010 ernannte die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton sie zu einer von sechs „Woman Heroes of Global Conservation“ (Heldinnen für den globalen Naturschutz).
Die Save Elephant Foundation (SEF)
Heute hat Chailerts gemeinnützige internationale Stiftung zur Rettung der Elefanten, die Save Elephant Foundation (SEF), großen Einfluss. Sie war an der Rettung und Wiedereingliederung von rund 200 Elefanten beteiligt. Während der Pandemie unterstützte sie knapp 2000 Tiere in ganz Thailand. Die heute 61-jährige Chailert, die unter ihrem Spitznamen Lek bekannt ist – was umgangssprachlich „winzig“ bedeutet –, ist etwa 1,50 Meter groß. Sie hat ihr Leben dem Asiatischen Elefanten gewidmet, dem zweitgrößten Landtier der Erde. Größer ist nur der Afrikanische Savannenelefant. Der Asiatische Elefant hat kleinere Ohren, zwei deutliche Stirnhöcker, und sein Rüssel hat nur einen Greiffinger, während der des Afrikanischen Elefanten zwei hat. Majestätisch sind beide gleichermaßen. Lek Chailert ist eine zurückhaltende Frau mit markanten Gesichtszügen. Sie erzählt mir mit leiser Stimme, dass sie schon mit 16, als sie die weiterführende Schule besuchte, begann, sich für die Rettung des thailändischen Nationaltiers einzusetzen. Die Begegnung mit einem Elefanten bei Holzfällern veränderte ihr Leben. „Als ich die Elefanten bei ihrer harten Arbeit im Dschungel beobachtete, sah ich, wie ein Bulle heftig geschlagen wurde. Er musste riesige Stämme ziehen, und bei jedem Schritt schrie er auf. Wie er mich ansah, dieser Blick, diese Schreie ...“, sie fasst sich an die Stirn. „Das werde ich nie vergessen.“
Sie beschloss, ihm zu helfen, und kehrte mit Medikamenten ins Holzfällerlager zurück. „Ich fragte den Besitzer: ‚Warum muss der alte Elefant noch arbeiten? Und warum muss selbst der blinde Elefant arbeiten? Wann können sie sich ausruhen?‘ Der Besitzer antwortete: „Wenn sie tot sind.‘“ Chailerts Ziel war zunächst recht bescheiden: Sie wollte (...)nur diesen einen Elefantenbullen retten und ihn später freilassen, „damit er sich im Schlammbad wälzen und die letzten Jahre in Freiheit und Würde leben könnte“. Sie hatte genug Geld gespart, um ihn zu kaufen, doch die Holzfäller erklärten ihr, er sei gestorben. Das veränderte Lek Chailerts Ziel: Nun wollte sie alle misshandelten Elefanten retten. „Ich beschloss, eine Auffangstation zu gründen – nicht nur, um Elefanten zu retten, sondern auch, um Menschen aufzuklären, sie für dieses Thema zu sensibilisieren und um uns mehr Gehör zu verschaffen.“
„Mehr Gehör verschaffen“ ist das Entscheidende.
Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen lebten zu Beginn des 20. Jahrhunderts rund 200.000 Asiatische Elefanten in Thailand, davon die Hälfte als Haus- oder Arbeitstiere. Infolge der Zerstörung ihres Lebensraums durch den Menschen gibt es Experten zufolge heute noch rund 3000 wild lebende Elefanten, schätzungsweise 3800 Elefanten werden in Gefangenschaft gehalten. Arbeitselefanten waren ein wesentlicher Bestandteil des Teakholzabbaus.Doch als die kommerzielle Abholzung 1989 verboten wurde, suchten die Besitzer nach einer neuen Verwendung für ihre Elefanten. Häufig sperrten sie die Tiere in Camps ein, in denen Touristen auf ihnen reiten konnten oder ihnen zusahen, wie sie Dreirad fuhren, Hula-Hoop-Reifen schwangen oder Basketbälle warfen. Nur wenige Touristen wissen, dass man den Willen eines Elefanten brechen muss, um ihn so gefügig zu machen, dass er Kunststücke vorführt. Dazu gehören Schläge mit scharfen Instrumenten wie dem Elefantenhaken (ein Stahlstab mit Haken) – also Folter.
Als die Coronapandemie ausbrach und die Touristen ausblieben, waren die Besitzer nicht mehr in der Lage, ihre Elefanten zu ernähren. Viele verhungerten. Pyi Mai und ein weiteres Baby, Chaba – ihr bester Freund –, stammen aus einem solchen Camp. Es gab dort auch ein Zuchtprogramm, aber die Muttertiere waren so abgemagert, dass sie kaum Milch gaben. Vor der Pandemie hätten ihre Besitzer sie sicher nicht an den Elephant Nature Park abgegeben, da die meisten Elefantenbesitzer Lek Chailert ihr Engagement übel nehmen: Sie hat die internationale Aufmerksamkeit auf die grausamen Praktiken gelenkt. Doch während des Lockdowns richtete Chailert eine Futterbank ein, und versorgte so fast 2000 thailändische Elefanten, mehr als die Hälfte aller in Gefangenschaft lebenden Dickhäuter.
Die Corona-Krise bot Chailert eine unerwartete Chance
Sie und ihr Team halfen nun denen, die die Auffangstation lange als Feind betrachtet hatten. So begann sich unter sanftem Drängen deren Einstellung zu ändern. Die beiden Elefantenbabys und ihre Mütter kamen schließlich in den Elefantenpark, wo sie eine kleine Herde gründeten. Oft hüten nicht verwandte Elefantenkühe die Kälber anderer Elefanten und entwickeln eine enge Bindung zu ihnen. Auch Pyi Mai und Chaba haben jetzt ihr eigenes „Kindermädchen“: D-Max. Und sie haben ausreichend Platz zum Umherwandern, was für die Gesundheit der Elefanten wichtig ist. In dem 81 Hektar großen Schutzgebiet werden vor allem verletzte und misshandelte Tiere aufgenommen, die in freier Wildbahn nicht überleben würden. Sie haben schlecht heilende Wunden, psychische Probleme oder sind körperlich behindert. Sie werden medizinisch versorgt und können ein Leben führen, das dem ihrer freien Artgenossen so ähnlich wie möglich ist. Im Schutzgebiet teilt ein breiter, langsam fließender Fluss den Dschungel. Auf dem Gelände gibt es ein Miniatur-Stonehenge, das sich als Rückenkratz-Station entpuppt. Die Elefanten scheuern sich gern an den rauen Steinen. Zu festen Essenszeiten verzehren die Tiere erstaunliche Mengen an Wassermelonen, Bananen und Zuckerrohr. Dann gibt es da noch eine gewaltige Elefantenwaage und ein großes künstliches Hydrotherapie-Becken für behinderte Elefanten. Touristen dürfen die Tiere nicht anfassen. Auch die freiwilligen Helfer haben nur minimalen Kontakt. Die notwendigen Arbeiten sind dem Personal und den medizinischen Fachkräften vorbehalten, so dürfen die Elefanten sie selbst sein. In Thailand ist es immer noch normal, gefangene Elefanten zu quälen und gefügig zu machen. Es wird keine Rücksicht genommen auf deren komplexe Psyche und das ausgeprägte Sozialverhalten der Tiere. Früher wurden Elefantenbabys oft mit in die Stadt genommen, um ihre Besitzer beim Betteln zu unterstützen. Viele der kleinen Elefanten sahen ihre Mütter nie wieder. In freier Wildbahn ist ein Baby nie weit von der Mutter entfernt, und eine Elefantenkuh bleibt ein Leben lang bei der matriarchalisch organisierten Herde.
Lek Chailert tut alles dafür, die Elefantenquälerei zu stoppen. Ihr Einfluss ist in ganz Thailand spürbar und reicht bis nach Kambodscha, Laos, Sri Lanka, Vietnam und Myanmar. Ich treffe hier eine nepalesische Familie, die in Nepal Elefantensafaris anbietet. Ein ehemaliger Freiwilliger vom Elephant Nature Park hat ihnen von Lek Chailerts Lebenswerk erzählt, und sie möchten ihren Betrieb in einen ethisch geführten umwandeln. Nun wollen sie vor Ort sehen, wie das funktionieren kann. Der Park ist nicht nur für Dickhäuter da. Das Team kümmert sich auch um 100 Wasserbüffel, 150 Wildschweine, 130 Kühe, 30 Ziegen, etwa 2000 Katzen und 650 Hunde. Von Letzteren sind 50 behindert, viele wurden 2011 während der schweren Überschwemmungen aus Bangkok gerettet. In der Auffangstation gibt es drei Fachtierärzte für Elefanten, sechs allgemeine Tierärzte und zahlreiche Tierpfleger. Ich bestaune eine Glasfaserkonstruktion, mit der ein verletztes Elefantenknie stabilisiert werden soll.
Freiwillige Helfer im Alter von bis zu 90 Jahren
Die Freiwilligen, denen ich begegne – von Teenagern bis zu 90-Jährigen aus Australien, den USA oder Großbritannien – beeindrucken mich durch ihre Fröhlichkeit. Ich schließe mich ihnen zum gemeinsamen Mittagessen an, es gibt ein Buffet im Freien mit veganer Thai-Küche vom Feinsten. Begeistert erzählen sie, wie ihr Leben nach einer Begegnung mit Lek Chailert und ihrer Organisation eine Wende nahm und sie sich der Rettung von Elefanten verschrieben haben. Ich unterhalte mich mit Lee und Roger Denison aus Wokingham, Großbritannien, die 2018 den Park zum ersten Mal besuchten, nachdem Roger in Rente gegangen war. Dies ist ihr dritter Freiwilligeneinsatz, sie werden zwei Wochen bleiben. Ein Großteil der Arbeit während meines Aufenthalts besteht darin, das Flussufer nach den schlimmsten Überschwemmungen seit 20 Jahren zu reinigen. Daneben stehen täglich weitere Aufgaben an: Futter vorbereiten und austeilen, Ställe ausmisten, helfen, Wege anzulegen. Zwischen den Arbeitseinsätzen ruhen sich die Freiwilligen bei den Elefanten aus. „Einen Teil unseres Urlaubs verbringen wir jedes Jahr hier“, sagt Lee Denison. „Wir haben den Elefantenpark sogar in unserem Testament bedacht.“ Kathy Snyder aus Kalifornien, USA ist bereits zum fünften Mal hier und bleibt einen Monat. „Bei meinem ersten Aufenthalt sagte Lek zu mir: ‚Ich habe gehört, du bist Krankenschwester. Ich habe einen kranken Elefanten, der medizinisch versorgt werden muss. Kannst du mir helfen?‘“ Das war vor sechs Jahren. Seitdem gehört die Pflege von Elefanten zu einer ihrer größten Freuden. Snyder, die bereits in anderen Auffangstationen weltweit als Freiwillige gearbeitet hat, betont, dass sie eine Krankenschwester und keine Tierarzthelferin sei, aber das Fachwissen sei übertragbar, zum Beispiel bei der Wundversorgung. Außerdem, so sagt sie, haben die meisten Säugetiere „die gleichen Knochen und Organe, sie sind nur größer oder kleiner oder sitzen an einer anderen Stelle. Ich versuche, so oft wie möglich zu kommen“, sagt Snyder. „Es geht mir ans Herz. Ich kann nicht wegbleiben.“
Während meines Besuchs führt mich der Projektleiter der Stiftung, Ry Emmerson aus Nordengland, herum. Der heute 35-Jährige war früher Vollzugsbeamter in einem Hochsicherheitsgefängnis für Männer, darunter auch solche, die wegen Sexualdelikten einsaßen. „Sehr schwierige, gefährliche Menschen“, berichtet er. „Ich fragte die Straftäter unter anderem nach den Beweggründen für ihre Tat, um herauszufinden, wie man sie davon abhalten konnte, in Zukunft wieder straffällig zu werden.“ Das war ein gutes Training für seinen jetzigen Job, bei dem er Menschen im Elefantengeschäft davon zu überzeugen versucht, ihre Praktiken zu ändern. Aber wie ist der britische Ex-Beamte in den Dschungel gekommen? 2012 nahm sich Emmerson eine Auszeit, weil ihn seine Arbeit nicht mehr befriedigte. Er ging auf Reisen und half bei Tierrettungsaktionen.
Lek Chailerts Einrichtung in Thailand machte großen Eindruck auf ihn. So kam es, dass er vor sieben Jahren als Projektleiter für ein Elefantenschutzgebiet eingestellt wurde, das die Organisation in Myanmar, Thailands westlichem Nachbarland, aufbaute. Wegen der anhaltenden politischen Unruhen in Myanmar musste das Projekt allerdings eingestellt werden. Seitdem arbeitet er in anderen von der SEF unterstützten Projekten mit. „Ich mache jetzt ein bisschen von allem“, sagt Emmerson, der einzige Ausländer im Büro in Chiang Mai. Dazu gehören Projektmanagement, der Kontakt zu internationalen Medien und die Koordination von Chailerts Terminkalender. Wenn eine Elefantenorganisation auf die SEF zugeht, um artgerechter zu arbeiten, berät Emmerson sie. „Ich war in Myanmar bei einer Familie, die von der Elefantenwilderei lebte. Ich musste mich sehr beherrschen, als ich mit ihnen redete. Denn wenn sie merken, wie schockiert ich über ihre Brutalität bin, erzählen sie nichts mehr“, erklärt der Brite. Später erfahre ich, dass die meisten Elefantenbabys heute durch Zwangszucht in Gefangenschaft geboren werden. Und früher wurden ältere Herdenmitglieder abgeschlachtet, damit die jüngeren gefangen werden konnten, um Touristen zu unterhalten. So ein Besuch in der Auffangstation ist aufwühlend. Einerseits ist es eine wunderbare Erfahrung, diesen Tieren so nahezukommen, andererseits ist man sich immer bewusst, warum sie hier sind.
Emmerson führt mich zu den kleinen Rabauken Pyi Mai und Chaba.
„Sie sind unzertrennlich“, sagt er. „Und wo sie hinkommen, verbreiten sie Chaos.“ Als er Pyi Mai begrüßt, führt er ihren Rüssel an seinen Mund und bläst hinein, als würde er Didgeridoo spielen. Elefanten können eine Menge aus dem Atem herauslesen. „Wo bist du gewesen? Welche anderen Elefanten kann ich riechen?“ Wir machen einen Spaziergang, um Mae Sri zu treffen. Sie ist über 70 und mit blaugrünen Flecken übersät, die von Misshandlungen herrühren. Bis zu ihrer Rettung 2018, so erzählt Emmerson, wurde Mae Sri als Reitelefant schwer misshandelt. „Als sie hierherkam, war sie nur noch Haut und Knochen und hatte viele offene Wunden.“ Sie leidet an Arthrose, und wenn sie fällt, muss sie ein Kran wieder auf die Beine stellen. Sie hat ein für sie angefertigtes „Bett“, eine abgeschrägte Sandbank, an die sie sich einfach im 45-Grad-Winkel anlehnt. Jeder Elefant, dem ich begegne, wird von seinem Mahut (Elefantenführer) begleitet. Wenn man einen Elefanten rettet, muss man in der Regel auch seinen Mahut retten – sie sind eine Einheit. Oder man muss einen neuen Betreuer für den Elefanten abstellen.
So lebt eine ganze Gemeinschaft von Mahuts im Park, oft Geflüchtete aus Myanmar oder Angehörige eines Bergvolks. Ihre Ehefrauen übernehmen traditionelle Aufgaben in der Küche oder in der Hauswirtschaft, ihre Kinder erhalten von der Parkeinrichtung Stipendien für den Schulbesuch. Die Mahuts müssen lernen, ihre seit Generationen überlieferten Gewohnheiten zu ändern. „Sie haben gelernt, dass der Elefant sie tötet, wenn sie ihn nicht anketten oder nicht den Haken benutzen“, erklärt Emmerson. Elefantenhaken wurden eingesetzt, um die Tiere durch Schmerzen zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen. Der Haken wird in besonders empfindliche Bereiche, etwa hinters Ohr, gestoßen. Natürlich können Elefanten gefährlich sein, besonders wenn sie gequält werden. Bullen sind meist aggressiver als Kühe. Sie können mit ihrem Rüssel einen großen Stein aufheben und ihn mit der Zielgenauigkeit eines Baseballspielers werfen. Die beste Art im Umgang mit Dickhäutern ist die positive Bestärkung: gutes Verhalten belohnen, nicht schlechtes bestrafen. Man muss den Besitzern von Elefantencamps diesen Ansatz nahebringen. Sie müssen verstehen, dass es dank der wachsenden Nachfrage nach einem ethischen Tourismus gute Alternativen gibt. Der Elephant Nature Park ist der Beweis dafür, dass Touristen gern dafür zahlen, glückliche Elefanten in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten. Doch Emmerson ist realistisch. „Elefantenbesitzer in Thailand ändern sich nicht über Nacht. Die Kasse muss stimmen.“
Während der Pandemie verschärfte sich die wirtschaftliche Situation. Der Park ließ sich einiges einfallen, um auch ohne Touristen Geld zu verdienen. So konnten Menschen die Patenschaft für einen Elefanten übernehmen oder einem Elefanten online einen „Geburtstagskuchen“ schenken. Dieses Angebot war so beliebt, dass es beibehalten wurde. Die Programme waren zur Überbrückung gedacht, bis die Touristen zurückkehren – was in sich schon ein gewisser Widerspruch ist. Denn der Elephant Nature Park widmet sich der Rettung von Elefanten, die durch den Tourismus ausgebeutet werden. Aber die harte finanzielle Realität sieht anders aus: Der Tourismus ist für die Erhaltung dieser Tierart notwendig – auch in einem nach ethischen Maßstäben ausgerichteten Schutzgebiet. Es geht also nicht darum, den Elefantentourismus abzuschaffen, sondern ihn neu zu erfinden. Zum Abschluss meines Aufenthalts beobachte ich am späten Nachmittag das tägliche Ritual, wenn die Elefanten den Fluss hinunter ins Camp schwimmen, um dort den Abend zu verbringen. Angeführt werden sie von der elfjährigen Kham La, die das Kommando über ihre mindestens doppelt so alten Gefährten übernommen hat. Vom SkyWalk aus, einer Brücke mit Aussichtsplattformen, können Besucher die Tiere dabei beobachten, wie sie unter lautem Trompeten ans Ufer klettern und sich im Schlamm wälzen. Sie haben eindeutig Spaß am Leben. Wenn es schon ohne Tourismus nicht geht, dann sollte er wenigstens so aussehen.
Der einsamste Elefant der Welt
Emmerson ist nicht überrascht, dass mich der Elephant Nature Park so beeindruckt hat. Selbst nach jahrzehntelangem Einsatz für den Tierschutz kann ich Geschichten über Misshandlungen nur schwer ertragen, und das ist mir anzusehen – ebenso wie meine Hochachtung für das, was hier getan wird. Er schlägt mir vor, ihr Projekt in der Nähe von Siem Reap in Kambodscha zu besuchen. Schon vor der Pandemie kamen nicht genügend Besucher und Freiwillige, obwohl es nicht einmal zwei Autostunden von der Tempelanlage Angkor Wat entfernt liegt, dem beliebtesten Touristenziel des Landes. Das Schutzgebiet Cambodia Wildlife liegt in einem großen Dschungelgebiet. Die 13 000 Hektar werden von ehemaligen Wilderern bewacht, die jetzt zu den Guten gehören. Hier sind nur drei der vielen geretteten Tiere Dickhäuter. Einer von ihnen ist Kaavan, der als „einsamster Elefant der Welt“ bekannt wurde. Er war in einem Zoo in Pakistan angekettet. 2016 erregte ein Massenprotest auf Twitter die Aufmerksamkeit der amerikanischen Sängerin Cher, die den Song Walls über sein Leiden schrieb und eine Aktion für seine Freilassung anführte. Und ich? Ich wollte in Chiang Mai eine Wohnung suchen und Tempel besichtigen. Doch dann hat mich der Elephant Nature Park gelockt, weil auch mir Elefanten am Herzen liegen. Und nun sitze ich im Flieger nach Kambodscha, um Kaavan zu füttern. Wenn ich nach Europa zurückgekehrt bin, werde ich jedem, der es hören will, ausführlich von meinen Erfahrungen berichten. Und wie fast alle, die Lek Chailert und ihren Kreuzzug erlebt haben, werde auch ich mich dafür einsetzen, ihrem Lebenswerk „mehr Gehör zu verschaffen“.