Reise

Autor: Dorothee Fauth

Feuer und Eis: Die Partnachklamm

Bei Garmisch-Partenkirchen liegt die Partnach-Klamm, eine begehbare, extrem enge und malerische Schlucht.

© istockfoto.com / 0meer

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Die Eiskönigin schickt ihren kalten Atem nach draußen. Fauchend und funkensprühend lodern die Fackeln im eisigen Luftzug. Eben noch haben sie wie von Zauberhand einen Hirsch aus der Dunkelheit geschält – eine Wurzel, die den König des Waldes vollendet nachahmt. Jetzt scheint es, als wollten die Flammen am liebsten davonjagen. Doch die Besucher lassen sich davon nicht abschrecken, ziehen die Mützen tiefer in die Stirn und schreiten furchtlos durch das Tor in eine Finsternis aus Fels, Eis und schäumenden Wassern.

Am Ortsrand von Garmisch-Partenkirchen, unweit der Stelle, wo die Skiadler von der Olympia-Sprungschanze in die Tiefe segeln, gurgelt ein Fluss vorbei, der sich vom Zugspitzmassiv aus talwärts stürzt. Seit Jahrmillionen gräbt sich die Partnach hartnäckig ins Gestein mit einer Kraft, der kein Gebirge etwas entgegenzusetzen hat. Drei Klammen schuf sie auf ihren kurzen 16,5 Kilometern, extrem enge Schluchten mit überhängenden Felswänden, deren Talgrund vollständig vom Wasser beherrscht ist. Die letzte ist begehbar gemacht und zu jeder Jahreszeit ein Erlebnis. Besonders im Winter. Auch bei Nacht. Eine kurzweilige Kutschfahrt vom Olympiahaus am Skistadion zum Eingang der Schlucht ist der Auftakt zu einer stimmungsvollen Fackelwanderung durch die winterliche Partnachklamm – auf schmalen, aus dem Fels gesprengten Wegen und durch niedrige Stollen. „Seien Sie vorsichtig, und halten Sie Abstand“, warnt Tourenanbieter Josef Karner von Geo-Trip die Teilnehmer beim Entzünden der Feuer.

Verzauberte Welt aus Eis

Kaum hat man das Kassenhäuschen hinter sich gelassen, betritt man eine verzauberte, wie in einem Atemzug erstarrte Welt: den Palast der Eiskönigin – die Einzige, die die wilden, unzähmbaren Wasser zumindest teilweise bannen kann. An frostigen Tagen frieren die Rinnsale, die sich beständig über Felswände ergießen, zu baumdicken Zapfen, wachsen lange Bärte und mächtige Orgeln am Fels unter Hauben von unberührtem Schnee, erheben sich ganze Kathedralen aus Eis, und fast gefriert einem das Blut in den Adern, wenn man eine Gruppe von geisterhaften Mönchen erblickt – reglos, im Gebet erstarrt … Frösteln von innen und von außen. „Selbst im Sommer“, sagt Josef Karner, „ist man in der kühlen Klamm mit einem Anorak gut beraten.“

 

Wo in der warmen Jahreszeit die Wasseramsel nach Fliegenlarven jagt und Fledermäuse entlanghuschen, tanzen nun unruhige Schatten, bricht sich der Fackelschein vielfach in Eisvorhängen mit Troddeln so spitz wie Dolche. Sie wachsen von den überhängenden Felsen herab, sodass die Besucher dahinter entlanggehen. Was sich jenseits davon befindet – die brüllenden Wasser sowie die mit jedem Schritt neuen Blickwinkel dieses Naturschauspiels mit bis zu 80 Meter hohen Wänden –, hört und ahnt man in der Finsternis nur. Die Fackeln fauchen unbeirrt und bilden einen romantischen Lichterzug. Nach 700 Metern und einigen Tunneln ist der obere Ausgang der Klamm erreicht, von wo aus man auf einem Naturerlebnispfad den Rückweg antreten kann, denn bei rund 200.000 Besuchern im Jahr wird es auf dem Felsenweg zuweilen ziemlich eng.
Beinahe wäre das anschließende Tal samt Schloss Elmau in den Fluten versunken und die Partnach zu einem Bächlein degradiert worden, erzählt Karner, denn 1949 sollte am oberen Ausgang eine 110 Meter hohe Staumauer errichtet werden – ein Projekt, das schließlich an massiven Widerständen scheiterte.

Licht bringt das Eis zum Leuchten

Meist brennen die Fackeln nur eine Strecke durch die zugige Klamm, dann schlägt die Stunde von Vera Karner. Im Schein ihrer Taschenlampe tritt die Gruppe den Rückweg an. Der Lichtkegel reicht, im Gegensatz zu den Fackeln, bis hinab zu den Wassern und zu den Wänden auf der gegenüberliegenden Seite und eröffnet ein faszinierendes Licht-Schatten-Spiel. In einer Art Felskapelle zeichnet er einen Lichtkreis um eine Madonnenfigur. Dann tastet sich der Strahl hinauf zu einem verkeilten Felsbrocken. „Als er in die Klamm stürzte, machte er vor Maria halt“, sagt Karner. Bizarre Eisgebilde, vom Talwind horizontal in Form gefönt, tauchen aus dem Dunkel auf, ein Spot macht den Vorhof zur Hölle aus schäumenden Wasserwirbeln zum Kunstwerk, wandert über Löcher im Fels knapp über den Fluss. „Dort steckten Eisennägel zur Befestigung von Holzbohlen. Denn Ende des 18. Jahrhunderts hatte man begonnen, geschlagenes Holz in die Partnach zu werfen, damit es talwärts triftete“, erklärt Karner. „Da es sich in der Klamm häufig verklemmte, mussten die Holzarbeiter es von den Bohlen aus wieder losschlagen. Das war lebensgefährlich.“ Immer wieder stellt sich Vera Karner hinter die Eisgebilde und zeigt, was nur die Taschenlampe vermag: Sie bringt das Eis zum Leuchten wie ganz wundersame Lampen. 1001 transparente Kristalllüster im Palast der Eiskönigin „Wir haben schon überlegt, farbiges Licht auszuprobieren“, sagt sie.

Erfüllt von der einmaligen Szenerie dieses Naturdenkmals und ein wenig durchgefroren kehren die Besucher nach einer guten Stunde wieder zum Ausgangspunkt unter dem nachtschwarzen Himmel zurück. Schmallippig hängt die Mondsichel am Firmament, wie mit feinem Strich in Goldfarbe hingepinselt. Und über Gipfel und Klammen spannt sich – wolkenlos – ein tausendfach funkelndes Sternenzelt.

Geo-Trip
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