Glanz und Glamour im Berliner Friedrichstadt-Palast

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Bereits eine Stunde vor Showbeginn stehen Menschen vor dem Bau Schlange. Sie ersehnen den Einlass in eine Welt, die Glanz und Glamour verheißt. Unter den Kronleuchtern im Foyer streifen die Besucher dann ihre Mäntel ab. Zum Vorschein kommen feine Blusen und Seidenschals, Abendkleider und Westen über gebügelten Hemden. Der Friedrichstadt-Palast ist der wohl schillerndste Vertreter der deutschen Revuetheater. Sie erlebten ihre Blütezeit in den Goldenen Zwanzigern des vorigen Jahrhunderts. Die Art-déco-Fassadenelemente des Palasts sind eine Hommage an jene Ära. Auch in anderen deutschen Städten lebt die Tradition der bunten Schaubuden fort. Was diese dem Publikum bieten? „Von allem zu viel und das gleichzeitig“, fasste eine Zeitung einmal die Philosophie hinter Revue und Varieté zusammen und meinte das durchaus wertschätzend. Bescheidenheit mag eine Tugend sein, aber manchmal braucht es einfach ein Stück Torte mit Sahne.
Im Saal: gedimmtes Licht, gespannte Stille
Dann beginnt die Show. Laser und rotierende Scheinwerfer rücken einen Sänger im Frack ins Licht: „Wir leben den Moment, willkommen bei Arise!“, singt er. Arise, englisch für „aufstehen“, so heißt die Show, die noch bis zum Sommer 2023 läuft. Die Hauptfigur, ein Fotograf, bereist mit seiner Muse die Welt. Als das gemeinsame Glück zerbricht, geht er durch Täler der Trauer, auf der Bühne von Tänzerinnen in pechschwarzen Roben symbolisiert. Doch durch so manchen Riss im Leben dringt mit der Zeit Licht. Es wird verkörpert von einer Sängerin mit strahlend schöner Stimme, golden gewandet wie eine Inka-Gottheit. Sie lehrt, das Vergangene zu umarmen und neue Kraft zu schöpfen.
32 Tänzerinnen schleudern ihre Beine in die Luft
Diese Handlung bildet den Rahmen für die vielfältigen Szenen, Songs und Showeinlagen. Bilder des Fotografen erwachen tanzend zum Leben. Da posiert sein Fotomodel im blutroten Kleid – das plötzlich wächst wie ein Heißluftballon. Muskulöse Maskierte vollführen Salti zwischen schwingenden Schiffsschaukeln. Ebenso artistisch die legendäre „Girlsreihe“ des Palasts: Synchron schleudern 32 Tänzerinnen ihre Beine bis auf Stirnhöhe in die Luft.Dazwischen wabert Nebel, schießt Feuer empor. Einmal hebt sich die Büh- ne und kippt zur Seite. Selbst die Kulissen scheinen mitzutanzen, wenn die 16-köpfige Showband ihre schmissigen Nummern spielt. Ob Pop oder Hip-Hop, ob Ballade oder Soulnummer: alles live von der Band – nicht vom Band. Was andere Bühnen jeweils separat darbieten – Konzert, Musical, Ballett, Zaubershow, Zirkusrevue –, schnürt der Palast zu einem Gesamtkunstwerk. Auf der Bühne singen, tanzen, spielen rund 100 Menschen. Noch mal so viele tragen hinter den Kulissen zum gelungenen Showabend bei.
Wie das Stück steckt auch die Geschichte des Palasts voller Wendungen. Sie reicht zurück ins Jahr 1919, als unweit des heutigen Baus nach Vorbild des New Yorker Broadways das „Große Schauspielhaus“ öffnete, das ab 1947 Friedrichstadt-Palast hieß. Zu DDR-Zeiten wurde dem Revuetheater schließlich das jetzige Haus gebaut. Eingeweiht wurde es 1984, fünf Jahre vor dem Mauerfall.
Die derzeitige Show macht sich die stolze Höhe des Baus zunutze. In einer Art Rhönrad kreist eine Künstlerin direkt über den Köpfen der Gäste, während auf der Bühne ein Netz gespannt wird. Es ist die Lebensversicherung für die Luftakrobatentruppe. Einer der Männer fängt, kopfüber am Trapez hängend, einen heranschwingenden Kollegen an dessen Waden. Er schubst ihn wieder los – da kommt schon der nächste angeflogen, den es zu greifen gilt. Das Publikum staunt erst atemlos, dann raunt, johlt und jubelt es.
Kurz nach der Show steigt im Foyer eine Besucherin aus ihren Stilettos und schlüpft in bequemere Turnschuhe. Draußen, hinter den Türen des Palasts, wartet die Rückkehr ins normale Leben. Doch, wie hieß es in einem der Songs, der noch in den Ohren klingt: „Die Erinnerung bleibt für die Ewigkeit.“
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