Reise

Autor: Dorothee Fauth

Mit der Dreiseenbahn durch den Schwarzwald

Wie Sie den Schwarzwald ganz gemütlich mit der Bahn erkunden können.

© istockfoto.com / kmn-network

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Kuckucksuhr, Bollenhut, Kirschtorte, Schnaps und Schinken – auch der Schwarzwald hat seine „Big Five. Keine andere Region Deutschlands wird derart über ihre Markenzeichen definiert wie das waldreiche Mittelgebirge im Südwesten, das ständig die Balance sucht zwischen lebendigem Brauchtum und Klischee, Erwartung und Wirklichkeit. Das ist die eine Seite. Die andere ist seine Natur. Ausgedehnte Wälder, sonnige Wiesen, wilde Schluchten, klare Wasser, raue Höhenzüge. Eine Landschaft aus Waldeinsamkeit, ländlicher Idylle, alten Höfen und 24.000 Kilometern Wanderwegen. Ein Sehnsuchtsort. Im Süden gibt es ein magisches Dreieck, das all diese Elemente vereint, und wollte man einem Fremden zeigen, was den besonderen Reiz des Schwarzwalds ausmacht, hier hätte man damit wenig Mühe.

Feldberg, Titisee und Schluchsee bilden die Eckpunkte, und mitten hindurch führt eine Bahnlinie, die Dreiseenbahn. Der Name ist Programm: Titisee, Windgfällweiher und Schluchsee liegen an ihrer Strecke durch den Hochschwarzwald. Ewigkeitslinie wurde sie im Volksmund genannt. Diesen Spott verdankt sie ihrer langen Planungs- und Bauzeit zwischen 1908 und 1926. Ursprünglich sollte die Strecke bis Waldshut führen, doch nicht einmal das Minimalziel, Sankt Blasien endlich ans Eisenbahnnetz anzuschließen, wurde erreicht. Die Welt-Wirtschaftskrise kappte das Projekt. Seit dieser Zeit besitzt Sankt Blasien ein Bahnhofsgebäude, das noch nie einen Zug gesehen hat. Den Reisenden heute muss der Spottname nicht schrecken. Bis zur Endstation Seebrugg ist er von Titisee aus gerade einmal eine knappe halbe Stunde unterwegs. Titisee am Ufer des weltbekannten Titisees bietet alles, was die Marke Schwarzwald verspricht. Wer den kleinen Ort im Sommer nicht mit Asiaten auf der Jagd nach „cuckoo clocks“, also Kuckucksuhren, teilen möchte, nicht im Gedränge der Ausflügler an der sogenannten Goldküste, der Souvenirmeile, feststecken will, der sollte früh aufstehen. und dem noch stillen, von viel Tannengrün umarmten Natursee beim Erwachen zuschauen. Ihn auf dem so idyllischen wie aussichtsreichen Seeweg umrunden. Oder in den Zug steigen. In einem weiten Bogen verlässt die Dreiseenbahn Titisee. Und sogleich macht sie sich an den Aufstieg zum Bahnhof Feldberg-Bärental, dem auf 967 Metern höchstgelegene Normalspurbahnhof Deutschlands. Am Himmel schiebt sich eine Glatze ins Blickfeld. Daran ist er leicht zu erkennen, der Feldberg, kahl rasiert von den Mönchen, Köhlern und Bergleuten der Silberminen, die dem undurchdringlichen Urwald aus Buchen und Eichen, der der Schwarzwald einmal war, ordentlich zusetzten.

 

Im Winter Skigebiet, im Sommer Wander-Hotspot

Im Winter ist der höchste Berg Baden-Württembergs (1493 Meter) Skigebiet, im Sommer kann man hier knackig wandern – und in malerisch gelegenen Vesperstuben einkehren. Etwa im Raimartihof am Feldsee, einem 300 Jahre altes typisches Schwarzwaldhaus, wo man selbstverständlich ein Schwarzwälder Schinkenvesper und Kirschtorte essen kann. An Tagen mit guter Fernsicht sitzt man auf dem Feldberggipfel wie auf einem Logenplatz mit Blick auf ein atemberaubendes Alpen-Panorama, das man so nicht oft geboten bekommt. Der Zug schaukelt wieder hinein in den Wald, in dem die Bahnhöfe wie Lichtungen auftauchen.
Durch einen grünen Vorhang blinzelt ein kleiner Waldsee. Der unter Naturschutz stehende Windgfällweiher mit seinem nostalgischen 1970er-Jahre-Strandbad ist von Besucherströmen wenig berührt. Als die Ansage im Zug den Bahnhof Aha ausruft, mit langem A am Anfang, hat man bereits den Schluchsee erreicht. Der bis 61 Meter tiefe, langgestreckte Stausee auf über 900 Metern Höhe ist das Wassersportzentrum im Schwarzwald: Segler, Surfer, Kanufahrer und Ruderboote teilen sich das Revier. Und wer das selbst an heißen Tagen kühle Gewässer nicht scheut, findet fast am gesamten Seeufer gut zugängliche Badeplätze. Als im Hauptort Schluchsee am 3. November 1985 die Sparkasse überfallen wurde, verfolgten 27,4 Millionen Zuschauer diese Episode der „Schwarzwaldklinik“, die dabei war, sich zu einer der erfolgreichsten deutschen TV-Serien aufzuschwingen. Damals saß auch der Münchner Teenager Marena Avila gebannt vor dem Fernseher und wünschte sich nichts sehnlichster, als fortan ein Schwarzwald-Mädel zu sein.
Seit 2013 lebt die 43-Jährige nun im Hüsli in Grafenhausen, sieben Kilometer von Schluchsee, vis à vis der Badischen Staatsbrauerei Rothaus. Sie verwaltet das Heimatmuseum, das als Wohnhaus von Professor Brinkmann berühmt wurde. „Noch immer kommen 90 Prozent der Besucher wegen der Schwarzwaldklinik hierher“, sagt Avila. Und die ganz Witzigen behaupten stets, einen Termin beim Chefarzt zu haben. Das entzückende Hüsli mit seinem entzückenden Garten am Waldrand ist die Idee eines Schwarzwaldhauses, in dem alles original, aber nichts echt ist. Erbauen ließ es sich 1911 die Berliner Konzertsängerin Helene Siegfried als Rückzugsraum und Lebenstraum. In nur einem Sommer trug sie dafür alle Bauteile, Möbel, Kachelöfen, Alltags- und Kunstgegenstände von alten Bauernhäusern der Umgebung zusammen und bastelte sich ihre Version eines Schwarzwaldhauses. Jeder Balken hier ist uralt, und doch waren im Hüsli Fortschritt und Luxus zu Hause. Die Sängerin hatte elektrisches Licht und fließendes Wasser, für das sie eine Leitung der Rothaus-Brauerei anzapfte.„Nichts geschieht zufällig im Leben“, ist sich Marena Avila sicher, die im Hüsli nun da angekommen ist, wo sie immer schon hinwollte. Als Musikproduzentin hält sie zudem den Geist der Kunst wach, der stets in diesem Haus zu Gast war. „Nach Feierabend gehört das Hüsli mir“, sagt sie glücklich, „und manchmal setze ich mich nachts ans Klavier, es stört ja niemanden.“ Dann klappt sie den Siegfriedschen Steinway-Flügel auf und spielt einfach drauflos.

Bei Anglern ist der Schluchsee sehr beliebt

Die Regionalbahn mit Doppelstockwagen hat mittlerweile Seebrugg an der Staumauer des Schluchsees erreicht. Endstation – und nirgends ein Ort. Zwischen dem Schlösschen am See (Hotel) und einer Jugendherberge befinden sich eine Pizzeria, eine Tauchbasis, das Strandbad – und ausgedehnte Gleisanlagen. Viele Jahre war Gras darüber gewachsen, und als sie 2008 abgerissen werden sollten, formierte sich die IG Dreiseenbahn, um das Gelände aus den 1950er-Jahren zu retten. Nach und nach wird hier ein Museumsbahnhof entstehen mit restaurierten Waggons und Vorführungen. Schon heute macht der Verein dem Hochschwarzwald Dampf: Zwischen Mai und August sowie im Dezember fauchen Dampfloks auf der Dreiseenlinie, Donnerbüchsen im Schlepptau, bei denen sich – wie großartig! – noch die Fenster öffnen lassen.
Wenn die Sonne sich langsam über die Bergrücken senkt und der See spiegelglatt daliegt, trifft man Felix Klaiber am oder besser gesagt weit draußen auf dem Schluchsee. „Könnte ich, wie ich wollte“, sagt der junge Forstwirt und leidenschaftliche Angler, „wäre ich von Mai bis Oktober in den frühen Morgen- und späten Abendstunden auf dem Wasser.“ In dieser Zeit liegt eine kostbare Ruhe und ganz besondere Licht-Stimmung über dem See. Dann sind, hoffentlich, die Fische aktiv. Am liebsten angelt er Raubfische wie Hecht oder Zander.

Als Hechtgewässer ist der Schluchsee eine Legende

„Raubfischangeln ist Action und geht nur vom Boot aus“, erklärt Klaiber, „und genau das gefällt mir.“ Immer wieder den Gummiköder weit auswerfen, dann rudern, rudern und hoffen, dass einer anbeißt. Sein größter Hecht war 1,26 Meter lang und 22 Pfund schwer. Als Gewässerwart seines Fischereivereins hat der gebürtige Schluchseer die Verantwortung für Tier und Umwelt. „Weil der Wasserspiegel im Rahmen der Energiegewinnung stark schwanken kann, bauen wir Laichhilfen für den Hecht“, erzählt Klaiber. Dazu werden nach Dreikönig alle Christbäume in der Umgebung eingesammelt und gebündelt im See ausgebracht. „Diese schwimmenden Nester verhindern, dass der Laich plötzlich auf dem Trockenen liegen.“

Lieblingsplatz unterhalb des Unterkrummenhofs

Am liebsten hält sich Felix Klaiber in der Kaiserbucht unterhalb des urigen Unterkrummenhofs auf, einer reinen Anglerbucht, in die er sich vom Trubel am See zurückziehen kann. „Gern auch mit einem Bier und einer Zigarre“, sagt er und grinst. Wenn dann noch ein Kollege an der Fischerhütte am Ufer den Grill anwirft für den Fang des Tages, ist das Glück perfekt. Die Dreiseenbahn, die den Reisenden in diese vielseitige Landschaft bringt, lässt ihm eine halbe Ewigkeit Zeit, bis er um 20.21 Uhr den letzten Zug nehmen muss zurück nach Titisee oder Freiburg. Erfüllt von einem Tag am See, der Stille des Waldes und Vogelgezwitscher. Auch ohne Kuckucksuhr.