Reise

Autor: Julius Schophoff

Mittelfranken: Seen und versteinerte Vögel aus dem Urmeer

Zu den Attraktionen von Mittelfranken gehören das junge Seenland und die versteinerten Urvögel aus einem Steinbruch bei Solnhofen.

© istockfoto.com / aldorado10

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Marcus Wilken steht am Fenster seines Büros und blickt auf den See, wo sein Schiff, die MS Brombachsee, vertäut liegt. 46 Meter lang, 750 Plätze, drei Decks. „Wir sind seinerzeit mit dem Schiff hierhergekommen“, sagt der 45-Jährige. Wie bitte? „Auf der Straße. Wir im Auto, das Schiff auf dem Schwertransporter.“ Der Trimaran mit seinen drei Rümpfen wurde in Teilen von der Werft bei Bonn auf Lastwagen hierhergebracht, nach Ramsberg am Großen Brombachsee. Wilken und seine Frau kamen im Jahr 2000 als Pioniere nach Mittelfranken. Der Stausee war gerade erst vollgelaufen, das geflutete Tal mit den alten Wassermühlen lag nun am Grund des Gewässers. Die künstliche Wassersperre stoppt seither die Überschwemmungen im Süden der Region, leitet das Wasser in den trockenen Norden – und verwandelte die Gegend in ein attraktives Freizeitziel: das Fränkische Seenland, zu dem neben dem Brombach- auch der Altmühl- und der Rothsee gehören. Die Vogelinsel im Altmühlsee zieht heute seltene Arten wie Seeadler, Pfeifente und Großen Brachvogel an. Über den Brombachsee gleiten Hunderte Segelboote und Windsurfer – und natürlich die MS Brombachsee nennt. Wilken steigt über einen schmalen Steg an Bord, läuft über die breiten Sonnendecks und tritt ein. Im Herzen des Schiffs befindet sich eine große Galerie, die Tische und Stühle räumt Wilken regelmäßig beiseite. „Bei den Rock-Abenden und After-Work-Partys ist das unsere Tanzfläche.“


Die MS Brombachsee bricht zu vielen Sonderfahrten auf, doch das eigentliche Ereignis bleibt der Blick durch die breiten Fensterfronten: der silberne See, die Kiefernwälder, die malerischen Strände, die der sandige Boden bildete. „Sandstrände mitten in Bayern“, sagt Wilken, als könne er sein Glück nach 15 Jahren immer noch nicht fassen. Der gebürtige Emsländer und seine Frau wollen noch lange in Ramsberg bleiben. Man kann hier den ganzen Tag lang unterwegs sein, bis zum Altmühlsee und zurück, ohne ein einziges Auto zu sehen.

Unaufgeregte Mittelfranken

Der Mittelfranke, sagt Wilken, sei unaufgeregt, verlässlich und verbindlich – wenn man ihn erst mal versteht. Es habe ein wenig gedauert, bis er sich an die Mundart gewöhnt hat mit dem rollenden r. Den eigensinnigen Mittelfranken macht es wenig aus, nicht verstanden zu werden. Das Einzige, was jeder begreifen muss, ist, dass der Franke kein Bayer ist. Obwohl Napoleon Franken schon vor mehr als 200 Jahren dem Königreich Bayern zusprach, wehen keine weiß-blauen Fahnen in den Vorgärten, sondern rot-weiße. Niemand zwängt sich in Lederhose oder Dirndl, und statt Maß trinkt man Seidla – die fränkische Einheit für einen halben Liter Bier.
Bevor Marcus Wilken Kapitän und Schiffseigner wurde, war er Koch. Er mag den deftigen Geschmack der Franken: die Nürnberger Rostbratwurst, klein und kross, serviert mit Sauerkraut; die Schäufele, also Schweineschulter, mit Kartoffelklößen; die heimischen Biere aus den kleinen Brauereien; die trockenen Weine. 1,7 Millionen Menschen leben in Mittelfranken. Mehr als zwei Drittel von ihnen besiedeln das Ballungsgebiet Nürnberg-Fürth-Erlangen im Nordosten, der Rest wohnt in oft sehenswerten Dörfern, Klein- und Mittelstädten: in Rothenburg ob der Tauber zum Beispiel, mit seinen verwinkelten Gassen und Fachwerkhäusern der Inbegriff der deutschen Romantik. Oder in Weißenburg, wo schon die Römer siedelten und die alten Stadtmauern, Wehrtürme und Wassergräben so gut erhalten sind, dass man meinen könnte, der Ort sei noch immer eine mittelalterliche Festung.

Klettern, Wandern, Wassersport

Auf der Hersbrucker Alb, im Nordosten Mittelfrankens, erklimmen Kletterer aus aller Welt steile Kalkfelsen, die bleich wie Zähne aus den Mischwäldern ragen. Darunter führen kilometerlange Tropfsteinhöhlen in die Tiefen der Berge. Im Frühling blühen weiße Farbtupfer in der grün gewellten Landschaft auf: Äpfel, Birnen und Kirschen auf den alten Streuobstwiesen. Die Aorta der Besucherströme verläuft von Nordwesten nach Südosten: die bei Urlaubern überaus beliebte Altmühl. Kaum ein Fluss in Deutschland hat so ein niedriges Gefälle. Gemächlich plätschert sie dahin, trägt Paddler und Ruderer, wird in Naturschwimmbädern von Badenden durchkrault und am Ufer von Radlern und Wanderern begleitet. Ihr Weg führt durch Wacholderheiden und Felsenland, vorbei an Burgen und Schlössern. Drei Viertel des Altmühltals gehören zu Mittelfranken, vom Quellgebiet in den Bergwäldern der Frankenhöhe über das Fränkische Seenland bis zur weltbekannten Kleinstadt Solnhofen mit ihren nur 1700 Einwohnern.

Versteinerte Fossilien im Solnhofer Plattenkalk

Hobby-Paläontologe Klaus Satzinger läuft einen kleinen Wall neben der Landstraße hinauf. Dahinter reißt die Erde ihr Maul auf: ein Krater aus Kalkstein, der Steinbruch Langenaltheimer Haardt. Aus den provisorischen Hütten hallen Hammerschläge. Satzinger hebt eine Steinplatte auf, kaum größer als ein Taschenbuch, aber fünf Mal so schwer. „Solnhofener Plattenkalk“, erklärt der 53-Jährige, „der dichteste Kalkstein der Welt.“ Schon die Römer pflasterten damit ihre Bäder, bis heute werden die geschmeidigen, glatten Platten als Natursteinfliesen in Bädern, Küchen und Fluren verlegt. Als junger Mann hat Satzinger selbst mit Hammer und Meißel Platten aus dem Fels geschlagen, um sich etwas dazuzuverdienen. Doch bald ging es ihm nicht mehr ums Geld, sondern um Versteinerungen von Fischen, Krebsen, Schnecken, die hier vor 150 Millionen Jahren lebten. „Damals begann südlich von Solnhofen das offene Meer“, erzählt Satzinger, „und Mittelfranken befand sich in der Nähe des Äquators.“ Wo der Steinbruch staubt, lag damals eine subtropische Lagunenlandschaft. Das flache Wasser war so salzig und sauerstoffarm, dass die verendeten Lebewesen kaum verwest waren, als der abgelagerte Kalk sie einschloss. Auch Landbewohner, die nach dem Ableben auf den Grund sanken, versteinerten: Käfer, Libellen, Schildkröten, Krokodile – über 700 Arten hat man in und um Solnhofen entdeckt.

Funde des Ur-Vogels Archaeopteryx

In seiner Freizeit legt Satzinger als Präparator auch die Funde anderer frei, für wenig Geld und mit viel Leidenschaft. Und er veranstaltet Erlebnistage im Steinbruch, an denen er den Besuchern die Welt aus Stein erklärt und sie selbst Platten spalten lässt. Einmal hat er einen Krebs gefunden, der so besonders war, dass das Bayerische Fernsehen ihm dafür einen Preis verliehen hat. Seinen größten Moment als Fossiliensammler aber erlebte er 1992, als seine Kollegen im Steinbruch ihn herbeiriefen, weil sie das siebte Exemplar des Archaeopteryx entdeckt hatten – das berühmteste Fossil der Welt. Der Urvogel, halb Reptil, halb Vogel, galt nach seinem ersten Fund im Jahre 1861 als Beweis dafür, dass Vögel von Raubsauriern abstammen. Er wurde zum Kronzeugen von Darwins Evolutionstheorie. Elf Exemplare hat man gefunden, drei liegen in den Vitrinen des Bürgermeister-Müller-Museums in Solnhofen.

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