Reise

Autor: Anneke Fröhlich

Sylt, Insel der Kontraste

Sylt ist mehr als ein Schickimicki-Reiseziel. Auf der Insel kann man viel Natur erleben und in die nordfriesische Geschichte eintauchen.

rot-weißer Leuchtturm Liste-Ost auf der Insel Sylt

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©istockfoto.com / RelaxFoto.de

An diesem Anblick kann Diane Seidel sich nicht sattsehen. Regelmäßig zieht es sie in die Dünenlandschaft am Ortsausgang von List. Über eine Holztreppe erreicht sie die kleine Aussichtsplattform mit dem grandiosen Panorama, das sie oft ganz für sich allein hat, weil sich die meisten Sylt-Urlauber woanders tummeln. „Das ist doch einmalig schön hier, oder?“, schwärmt die Biologin und Ausstellungsleiterin des Erlebniszentrums Naturgewalten in List ganz im Norden von Sylt.

Die größte der drei Wanderdünen auf Deutschlands nördlichster Insel zeigt sich von hier aus in voller Pracht: mehr als zwei Kilometer lang, 500 Meter breit und bis zu 30 Meter hoch. Eingefasst von hellgrünem Strandhafer leuchtet der weiße Sandberg in der Sonne. Ihn umrahmt eine urwüchsige Landschaft aus Besen- und Glockenheide, die im Spätsommer ihr lilafarbenes Kleid anzieht. Im Hintergrund glitzert die blaue Nordsee. „Das Gebiet ist seit 100 Jahren streng geschützt, wir dürfen nur mit ein paar Gruppen pro Jahr bis zum Fuß der Düne gehen“, erzählt Diane Seidel. Mit einer Kamera wird Woche für Woche die Bewegung des Naturphänomens dokumentiert. In der Ausstellung des Erlebniszentrums lässt sich auf einem Monitor die Dynamik des feinen Sands, der aus dem Meer kommt, trocknet und verweht wird, verfolgen.

Im Schnitt bewegen sich die Wanderdünen drei bis vier Meter pro Jahr. Das Problem dabei: Die südlichste kommt der Straße nach List immer näher. „Vielleicht erreicht die Düne sie in 20 Jahren, vielleicht dauert es deutlich länger, das hängt vom Wind ab“, sagt die Biologin. Eine Lösung könnte die Bepflanzung mit Strandhafer sein, dessen meterlange Wurzeln den Sand festhalten. Oder ein gewölbter Tunnel, über den die Düne hinwegzieht. Die beiden anderen dürfen ungestört weiterwandern – sehr zur Freude von Artenschützern. Denn dieser besondere Lebensraum bietet echten Besonderheiten aus Flora und Fauna eine Heimat, darunter die bedrohte Kreuzkröte und der fleischfressende Sonnentau.

 

Sylt ist eine Schatzkiste für Vogelbeobachter 

Die 40 Kilometer lange und an einigen Stellen nur wenige 100 Meter breite Insel mitten im Weltnaturerbe Wattenmeer ist überhaupt ein kostbares Refugium für allerhand Leben zu Land, zu Wasser und in der Luft. Die „Small Five“ – Wattwurm, Herzmuschel, Strandkrabbe, Wattschnecke und Nordseegarnele – halten sich eher versteckt, während sich die Vogelwelt besonders zur Brut- und Rastzeit schon mal lautstark bemerkbar macht. Ob Nonnengans oder Alpenstrandläufer, Knutt oder Seeschwalbe: Sie alle fühlen sich im Schlick, in den Salzwiesen oder Schilfgebieten wohl.

Das Rantumbecken in der Inselmitte ist mit seiner Mischung aus Süß- und Salzwasserlebensräumen eine Schatzkiste für alle, die sich für seltene Vogelarten interessieren. Der neun Kilometer lange Rundweg über den Deich lohnt sich zu jeder Jahreszeit. „Die Ornithologen haben Mitte des 19. Jahrhunderts den Tourismus auf Sylt quasi ins Leben gerufen“, erzählt Alexander Römer, Leiter der Sylter Sölring Museen. „Bei der damaligen Art von Wissenschaftstourismus ging es allerdings oft ums Fangen der Vögel und Sammeln der Eier. So wurden einige Arten fast ausgerottet.“ Wenig später entwickelte sich der Bädertourismus, und spätestens seit 1927, mit der Eröffnung des Hindenburgdamms als Bahnverbindung zwischen dem Festland und der Insel, strömten die Besucher in großer Zahl nach Sylt. Fast eine Million Menschen reisen pro Jahr hierher, um am feinen Sandstrand den Nordseewellen zu lauschen, sich in einem der Top-Restaurants verwöhnen zu lassen, in noblen Boutiquen zu shoppen und das besondere Sylt-Flair zu erleben. Viele Gäste kommen immer wieder, und wer es sich leisten kann, erwirbt ein schickes Haus mit Reetdach und Kapitänsgiebel, mit Heckenrosen auf der Steinmauer und Garage für das PS-starke Auto. Ein bisschen Klischee muss sein.

Wie wenig dieser heutige Luxus auf Sylt mit der Lebenswelt der Menschen vor wenigen Generationen zu tun hat, zeigt das Altfriesische Haus in Keitum, das zu den Sölring Museen gehört. Seine Ursprünge reichen bis ins Jahr 1640 zurück. Die leicht erhöhte Lage direkt am Wattenmeer ist wunderschön, die Inneneinrichtung wirkt romantisch. Kein Wunder, dass der Pesel, die gute Stube, gern für standesamtliche Trauungen genutzt wird. Doch kunstvoll bemalte Delfter Fliesen an den Wänden und Traumblick aus dem Fenster hin oder her: Von Wohnkomfort nach unseren Maßstäben war man weit entfernt. So wie das Altfriesische Haus sich den Besuchern heute präsentiert, wurde es noch bis 1900 genutzt.

 

Einblicke in authentische Wohnkultur

„Wir zeigen ein sehr authentisches Haus, wie es auf der Insel kein zweites Mal mehr zu sehen ist“, betont Alexander Römer. „Es lebt davon, dass man eintaucht in die Privatsphäre – so, als wären die Eigentümer nur kurz draußen.“ Der Kaffeetisch ist gedeckt, die Standuhr tickt, das Klöppelkissen liegt bereit. „Die damaligen Herausforderungen an die Wohnkultur sind heute wieder hochaktuell: Wie bekomme ich möglichst effizient Licht und Wärme in die Räume?“, erklärt der Museumsleiter. Wald gab es nicht auf Sylt. Als Brennmaterial wurde getrockneter Schaf- und Kuhdung verwendet sowie Heidekraut. Der Bodenbelag besteht aus Schiffsbohlen gekenterter Boote – viel zu wertvoll, als dass man sie zu Feuerholz klein gesägt hätte.

Um es warm zu haben, wurden Fußwärmer aus Messing, sogenannte Feuerkieken, mit glühender Holzkohle gefüllt. In den Alkoven schliefen bis zu vier Kinder und wärmten sich gegenseitig, was beim Blick in die winzigen Bettkammern kaum vorstellbar ist. Sogar die Messinggriffe des Ofens konnte man abschrauben und als mobile Wärmespender verwenden. „Wenn wir hier von Wärme im Haus reden, reden wir immer noch von Eisblumen am Fenster“, sagt Alexander Römer. „Ich wollte nicht tauschen.“

 

Die Promidichte ist in Kampen am höchsten 

Keitum, einst die Hauptstadt Sylts, ist ein durch und durch malerisches Dorf mit verwinkelten Gassen an der ruhigen Wattseite der Insel. Viele der gepflegten und edel eingerichteten Häuser in der Nachbarschaft des Altfriesischen Hauses haben gut 300 Jahre auf dem Buckel. Damals war der Walfang ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Inselbewohner. Erfolgreiche Fischer konnten sich ein stattliches Anwesen leisten. Wer es trubeliger mag und sich nach Salz auf den Lippen von der mitunter rauen Nordsee sehnt, der schlendert durch Westerland, wo der Autozug ein- und ausfährt. Und wer darauf hofft, einem Promi zu begegnen, kommt am mondänen Kampen nicht vorbei. Kaum zu glauben, dass nur wenige Kilometer weiter nördlich nicht mehr die Markenhandtasche, sondern der Outdoor-Rucksack das wichtigste Accessoire ist. Dort, wo Diane Seidel vielleicht gerade wieder in aller Ruhe die Schönheit der Sylter Natur bestaunt.

 

 

 

Tipps für die Region Sylt

Braderuper Heide
50 Prozent der Heidelandschaften Schleswig-Holsteins befinden sich auf Sylt. Das größte zusammenhängende Gebiet ist die Braderuper Heide, die man am besten auf einer geführten Wanderung der Naturschutzgemeinschaft Sylt kennenlernt. Die Vielfalt besonderer Tier- und Pflanzenarten ist beeindruckend.

Tel. 0 46 51/4 44 21
https://naturschutz-sylt.de/braderuper-heide-info

 

Rotes Kliff
Die vier Kilometer lange Steilküste an Kampens Westseite verdankt ihren Namen dem eisenhaltigen Gestein, das in der Abendsonne besonders intensiv leuchtet. Hier ist Sylts romantischster Platz für einen Sundowner. Bei Ostwind im Herbst stehen die Chancen gut, die Rückenflossen von Schweinswalen vor der Küste auftauchen zu sehen. Von Sylts höchster Erhebung, der 52,5 Meter hohen Uwe-Düne hinter dem Roten Kliff, hat man bei klarem Wetter fast die ganze Insel und in weiter Ferne sogar das Festland im Blick.
kampen.de

 

Leuchttürme
Fünf Leuchtfeuer stehen auf Sylt und dienen noch immer als Orientierungshilfen in der Seefahrt. Die beiden Exemplare am Ellenbogen sind die nördlichsten Bauwerke Deutschlands und die ältesten Leuchttürme an Schleswig-Holsteins Westküste. Ganz im Süden von Sylt steht der Hörnumer Leuchtturm, der zu bestimmten Terminen im Rahmen einer Führung besichtigt werden kann.
hoernum.de

 

Fahrt zu den Seehunden
Von den Häfen List und Hörnum aus bietet die Reederei Adler-Schiffe Fahrten zu den Ruheplätzen der Seehunde im Wattenmeer an. Während der Fahrt holt ein Schleppnetz Muscheln, Krebse und Seesterne aus dem Wasser – spannend anzugucken und schön, den Fang anschließend wieder in die Freiheit zu entlassen.
adler-schiffe.de

 

Erlebniszentrum Naturgewalten
Exponate, Filme, Ausprobier- und Hörstationen stellen Tiere, Pflanzen, Klima und Naturgewalten der Insel vor. Besucher können virtuell ins All fliegen und selbst zu Klimaforschern werden. Neu ist der Syltdome. Das 360-Grad-Kino zeigt faszinierende Naturaufnahmen.
naturgewalten-sylt.de

 

Taatjem Deel
Aus einer urigen Hafenkneipe ist ein hippes Strandbistro geworden. Im Taatjem Deel am Ortsrand von Rantum gibt’s nicht nur eine kreative Bistro- und Abendkarte, sondern auch liebevolle Einrichtungsdetails, eine windgeschützte Terrasse, Musik vom DJ und sogar ein Sportprogramm von Yoga bis Boot Camp.
www.taatjemdeel.de

 

Sylter Schokolade
Familie Langmaack steht seit Generation für feine Konditorkunst im Café Wien in Westerland. Inzwischen stellt sie auch köstliche Kreationen aus Kakao in der eigenen Manufaktur in Tinnum her. Im Paradies für Naschkatzen kann man ausgiebig shoppen und einen Blick in die Produktion werfen.
www.cafe-wien-sylt.de

 

Kontakt:

Insel Sylt Tourismus-Service GmbH
Strandstr 35
25980 Westerland
Tel 0 46 51/99 80
www.insel-sylt.de