Reise

Autor: Andreas Steidel

Unterwegs auf der Burgenstraße

Im schwäbischen Abschnitt der Deutschen Burgenstraße reiht sich am Neckartal eine gut erhaltene Burg an die andere.

© istockfoto.com / Borisb17

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In einem kleinen verwunschenen Wäldchen taucht eine Kapelle auf. Auf ihrer weißen Außenfassade prangt eine graue Reliefplatte mit betenden Rittern, ein Holztürmchen sitzt auf dem mit Moos bedeckten Dach. Große alte Buchen überschatten die kleine Kirche, hinter ihr ruhen die Freiherren von Gemmingen in ihren von Efeu und Farnen umrankten Gräbern. Der Fußweg vom schwäbischen Neckartal auf die Burg Guttenberg ist ein romantisches Erlebnis. Eine stille Begegnung mit der Geschichte, bevor sich weiter oben die lebendige alte Ritterburg erhebt. Ein bunter Blumengarten wächst am Eingang, liebevoll gepflegt von der Mutter des Burgherrn, der dort wie vor Jahrhunderten mit seiner Familie lebt. Die meisten, die Burg Guttenberg besuchen, streben zu einer Aussichtstribüne an der hohen Burgmauer: Hier öffnet sich der Blick ins weite Neckartal, auf die grünen Wiesen und den blauen Fluss, der gemächlich seine Schleifen zieht. In der Ferne versteckt sich die Ruine der Burg Hornberg, auf der gegenüberliegenden Talseite leuchtet die gelbe Fassade von Schloss Horneck in Gundelsheim. Plötzlich schießt ein Adler durch die Lüfte. Gleitet mit seinen riesigen Schwingen von der Burg hinaus ins Neckartal. Fliegt artistische Bögen, verschwindet unter den Wolken und taucht knapp über den Köpfen der Besucher wieder auf. Sie sind wie gebannt, rufen nur „Ah“ und „Oh“ und beobachten fasziniert, wie der große Vogel punktgenau auf dem Handschuh des Falkners landet. Die Flugschau der Greifvögel ist der Höhepunkt des Besuchs auf Burg Guttenberg. Die Burg selbst, unzerstört seit der Stauferzeit, gehört zu den vielen Attraktionen entlang der Burgenstraße.

1954 wurde die Deutsche Burgenstraße gegründet

Ursprünglich führte sie von Mannheim bis Nürnberg, 1994 verlängerte man sie bis in die tschechische Hauptstadt Prag. 1000 Kilometer mit rund 90 Burgen und Schlössern und vielen Wegen zu ihnen. Einer der schönsten ist der Neckarsteig zwischen Heidelberg und Bad Wimpfen. Er windet sich in einem ständigen Auf und Ab durch den dichten Odenwald. Alle paar Kilometer lugt eine andere Burg durch die Lichtung, allein im Städtchen Neckarsteinach sind es vier an der Zahl. Kurz nach Burg Guttenberg in Haßmersheim verlässt die Burgenstraße den Neckar. Macht einen kleinen Ausflug in den malerischen Kraichgau, wo auf einem grünen Hügel über Sinsheim-Weiler thront. „Kompass des Kraichgaus“ wird sie auch genannt, weil ihr 30 Meter hoher Bergfried das gesamte Umland überragt. Der Edelweißweg führt direkt auf ihn zu. Er ist gesäumt von Weinreben. Einem Vorgarten gleich umgeben sie die Burg, gehen weiter oben in einen Hain aus Kastanien, Eschen und schrundigen Robinien über. Dahinter ruhen die meterdicken Mauern der alten Stauferburg. „Wenn die erzählen könnten“, meint ein Wanderer, der am Ziel seiner Tour angekommen ist. Eine steile schmale Holzstiege führt hinauf auf die Spitze des Bergfrieds. Es ist ein mühevoller Aufstieg, doch die Mühe lohnt sich. Von oben hat man den gesamten Kraichgau im Blick: das Fachwerkdorf Weiler, die welligen Hügel und Weinberge, die Felder, Wälder und Wiesen, auf denen vereinzelte Bäume stehen.

 

Eine Landschaft wie gemalt, ein Hauch von Toskana im Norden Baden-Württembergs, in dessen mildem Klima im Sommer manch guter Wein wächst. Es sind vor allem die Rotweine, die im Umland von Heilbronn gedeihen. Am Aussichtspunkt Lemppruhe entfaltet das Heilbronner Land seine ganze Pracht. Hier hat man vor 100 Jahren eine Eiche gepflanzt und eine runde Sitzbank mit grünem Geländer um sie herumgebaut. In der Ferne erheben sich die Löwensteiner Berge, davor liegt die Stadt Weinsberg mit der berühmten Burgruine Weibertreu. Nur wenige Mauerreste haben sich erhalten, doch sie erzählen die Geschichte von mutigen Frauen, die nach der Kapitulation der belagerten Burg freien Abzug erhielten und statt der zugestandenen Habe ihre Männer aus der Burg trugen und damit vor dem Tod retteten.

Die Türmerin von Bad Wimpfen

Der einzige Mann, den Blanca Knodel auf den Arm nimmt, ist ihr feuerroter Kater Tomtom. Seit vielen Jahren wohnt die Türmerin von Bad Wimpfen alleine mit ihrer Katze in 25 Metern Höhe über der Stadt. 134 Stufen führen in ihr märchenhaftes Gemach auf dem Blauen Turm (Foto oben). Sie ist die einzige hauptberufliche Türmerin Deutschlands, die ganzjährig auch wirklich oben auf dem Turm lebt, 2016 seit 20 Jahren. „Grüß Gott, hier ist die Mautstelle, macht 1,50 Euro.“ Wer einmal zu der 64-Jährigen auf den Turm gestiegen ist, wird das so schnell nicht wieder vergessen. Die meisten kommen aus der Wohnung und aus dem Staunen so schnell nicht wieder heraus. Es ist eine große gemütliche Stube mit flacher hoher Decke und vielen kleinen Fenstern, an den Wänden hängen alte Familien-Fotos und Stadt-Ansichten. Das kuschelige Heim verfügt über ein kleines Bad und ein Baldachin-Bett. Oft verlässt Blanca Knodel den Turm nur einmal in der Woche. Die Einkäufe bringt ein Lasten-Aufzug nach oben, manchmal helfen auch Besucher beim Schleppen der Getränke-Kisten. Ganz besonders genießt es die Türmerin von Bad Wimpfen, wenn es blitzt und donnert. „Dann nehme ich ein Glas Rotwein und setze mich ans Fenster.“ Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass ein Blitz 1984 den halben Turmhelm zerstört hat. Aber das ist lange her und der Wetterschutz seither deutlich verbessert worden.

Der Blaue Turm ist das Wahrzeichen von Bad Wimpfen. Er ist das Schmuckstück einer der besterhaltenen Kaiserpfalzen nördlich der Alpen. Die Staufer errichteten sie um das Jahr 1200. Heinrich VI. und Friedrich II. hielten hier immer wieder Hof. Bis ins 20. Jahrhundert diente der Blaue Turm als Wachturm, seit über 600 Jahren ist die Türmer-Tradition ungebrochen. Wer heute dort Dienst tut und Besucher empfängt, bekommt die Miete er- und einen Teil der Einnahmen überlassen. Noch 23 Stufen sind es von der Türmer-Wohnung bis zum Aussichts-Plateau des Blauen Turms. Im Abendlicht leuchtet er majestätisch. Den dunklen Schieferplatten auf seinem Dach verdankt er seinen Namen.

Der Turm gibt den Blick frei auf eine der schönsten Mittelalterstädte an der Burgenstraße. Ihre Zinnen und Türme zieren die Kleinstadt am Neckar wie eine Krone. Manchmal, wenn die Besucher des Tages weg sind, geht Blanca Knodel alleine mit ihrem Kater nach oben. Blickt auf den Fluss, über dem glutrot die Sonne versinkt, und die Turmhähne der Stadtkirche, die golden im letzten Abendlicht glänzen. Der Wind weht sanft über ihr Haar und das Fell des kleinen Katers, der hier oben der unangefochtene Burgherr ist. Morgen werden wieder neue Gäste hinauf auf den Blauen Turm von Blanca Knodel kommen. Und ein paar Kilometer weiter wird ein anderer Adler zum nächsten Rundflug über die schönen Burgen des Neckartals ansetzen.