Unterwegs im Dahner Felsenland
Der Sagenweg im Dahner Felsenland führt zu bizarren Sandsteinmassiven, Burgen und schaurig-schönen Geschichten.

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Ein kleines Gespenst huscht durch den Wald. Mal ist es vor dem Wanderer, mal winkt es seitlich hinter einem Baum hervor. „Huhu“, scheint es zu rufen, „hier bin ich!“ Viel Ungeheuerliches hat sich in alten Zeiten im Dahner Felsenland zugetragen. So soll einst ein Händler von Wegelagerern an den Heidenfelsen bei Erlenbach genagelt worden sein, weil er die Zauberformel erlauschte, die in deren Höhle voller Geld führte. Doch die Räuberbande hat ihn erwischt, und so traf ihn „Des Mitwissers Schicksal“, wie die Sage heißt. Sie ist eine von 26 Sagen, Mythen und Legenden, die in der Region herumspuken – in Felsformationen, auf Burgen und in den Köpfen der Menschen. Auf dem rund 90 Kilometer langen Sagenweg begegnet man den Schauplätzen geheimnisumwitterter Ereignisse auf Schritt und Tritt. Der Wanderweg schleicht sich durchs Dahner Felsenland im Südwesten der Pfalz, jener Region im Bundesland Rheinland-Pfalz, die man zuerst mit Wein und Geselligkeit in Verbindung bringt. Zu einem Drittel ist sie aber auch von einem riesigen Waldgebiet bedeckt, dem Naturpark Pfälzerwald. Er erstreckt sich bis in die Nordvogesen Frankreichs. Auch der Sagenweg ist grenzenlos. Von Dahn führt er in mehreren Etappen auf die französische Seite zur Burg Fleckenstein und über den Grenzberg Maimont wieder zurück nach Fischbach und Bärenbach. Ständiger Begleiter und Wegzeichen: das kleine Gespenst.
Burgen- und Felsenland
Überragt wird der Ausgangspunkt Dahn von einem steilen Felsen, dem Jungfernsprung. Der Name lässt schon erahnen, was sich hier einst zugetragen haben soll, als sich die Köhlerstochter Rösel oben auf dem Plateau plötzlich dem finsteren Jägerburschen gegenübersah. Wer’s nicht glaubt, kann nachschauen: Rösels Fußabdruck hat sich beim Sprung sichtbar in den Fels eingegraben. Dazu muss man nicht die senkrechte Wand emporkraxeln, wie zahlreiche Kletterer es bevorzugen. Von der anderen Seite lässt sich der Felsrücken bequem besteigen. Und während man auf weichem sandigem Boden auf Augenhöhe mit den Baumkronen des Kiefernwalds spaziert, der in der Sonne so intensiv nach Mittelmeer duftet, blitzen die imposanten Steinsäulen der Lämmerfelsen durch das Geflecht der Äste. Erhebt sich in der Ferne die Silhouette von Altdahn, der größten Burgenanlage der Pfalz, unter deren Mauern der Sage nach unermessliche Schätze verborgen liegen.
Bergauf, bergab führen die verschlungenen Wege durchs Dahner Felsenland. Schon steht man auf dem Sängerfelsen, der dem Wanderer ebenfalls eindrucksvolles Landschaftskino bietet: im Vordergund der Jungfernsprung sowie der Schillerfelsen mit seinem Durchbruch in der Mitte. Dahinter ein Meer aus waldigen Hügeln. Sagenhaft schön ist dieses Felsenwunderland mit den 47 bizarren Naturdenkmalen und zahlreichen Burgen und so anders als die Niederungen östlich davon, wo sich entlang der Deutschen Weinstraße Winzerdörfer reihen wie die Perlen einer Kette.
Glutrote Felsen leuchten aus knallgrünem Laub
Die typischen Felsmassive, an deren Formvollendung die Erosion bis heute schmirgelt und schleift, sind vor rund 250 Millionen Jahren entstanden. Gewaltige Ströme schaufelten Sand und Geröll in das Gebiet. So wurde im Laufe der Zeit eine 500-Meter-Schicht abgelagert und durch Bewegungen in der Erdkruste zu Buntsandstein gepresst, dessen rote Farbe von Eisenoxid stammt. An einem sonnigen Frühlingstag leuchtet er glutrot und ockergelb aus dem knallgrünen, frisch belaubten Wald. Einige der Felsen werden regelmäßig freigeschnitten, andere bauen sich urplötzlich vor einem auf mit aus dem Stein gearbeiteten Löchern, Höhlen und wabenartigen Strukturen. Weiter führt der Weg zur Burgruine Neudahn mitten im Wald mit ihren beiden mächtigen Türmen. Von dort steigt man ab ins Naturschutzgebiet Moosbachtal, vorbei an Weihern und sumpfigen Teichen, in denen die Frösche an Frühsommerabenden lautstarke Konzerte geben. Bei Braut und Bräutigam, zwei steinernen Kolossen vis à vis des Wachtfelsens, steht man wieder vor den Toren von Dahn.
Gruselige Übernachtung in der Burg
Man kann den Sagenweg auch auf sieben Rundwanderungen erleben, in Tagesetappen, die zwischen zehn und 18 Kilometer lang sind. Je weiter man Richtung Frankreich geht, desto burgenreicher wird die Tour. Ein Höhepunkt im Dahner Felsenland ist die märchenhafte Burg Berwartstein. Auf dem Felsennest hauste einst der berüchtigte Raubritter Hans Trapp, heute ist Berwartstein eine der wenigen bewohnten Burgen der Pfalz und im Besitz der Familie Wadle. Von der Aussichtsplattform des Bergfrieds hat man einen unglaublichen Blick über den Pfälzerwald bis hinüber ins Elsass, wo diesseits und jenseits der Grenze die Burgen Wegelnburg, Hohenburg, Löwenstein und Fleckenstein die Gipfel krönen. Als Europas Grenzen noch nicht offen waren, liefen dort die Zöllner Patrouille. Zur Burg gehören ein romantischer Garten sowie ein Restaurant im historischen Rittersaal. Man kann dort sogar übernachten wie ein Burgherr. Doch sollte man darüber die dunklen Seiten von Berwartstein nicht vergessen: die Folterkammer, geheime unterirdische Gänge, die tief in die Felsen reichen, sowie die Sage von jener Burgherrin, die in der Not mit ihrem Neugeborenen von den Mauern sprang, als Berwartstein einmal in Feindeshand fiel und in Flammen aufging. Noch heute spukt ihr Geist durch die Gemäuer und stürzt sich verzweifelt in die Tiefe. Da kann einen schon ein Gruseln überkommen, findet nicht jeder einen ruhigen Schlaf. Schon vergessen? Das kleine Gespenst hat davor gewarnt.