Was für ein Theater im Schloss Residenz München!
Das Cuvilliés-Theater in der Münchner Residenz ist ein pompöses bayerisches Rokoko-Prunkstück.

©
Stefan Hageneier sitzt in der Kurfürstenloge und weiß nicht so recht, was er sagen soll. Ob er es mag, das Cuvilliés-Theater, für das er Bühnenbilder und Kostüme entwirft? Dieses Rokoko-Schmuckkästchen, pompös und festlich dekoriert wie ein Christbaum? Der 44-Jährige lässt den Blick über die Logen wandern. Über die samtroten Vorhänge, die von den Balkons hängen, über die blattvergoldeten Löwenköpfe und die geschnitzten Ornamente, die sich, von Engeln gestützt, bis unter die himmelblaue Theaterdecke schnörkeln. „Ja, ich mag’s“, sagt Hageneier schließlich. „Es ist nur so schwierig für mich.“ Er hat als Bühnenbildner an Dutzenden Theatern und Opernhäusern zwischen Wien und Berlin gearbeitet. Aber nirgendwo sei die Aufgabe so anspruchsvoll wie im Cuvilliés-Theater, das sein Auftraggeber, das Bayerische Staatsschauspiel, regelmäßig anmietet. „Ich muss immer etwas erfinden, was diesen ganzen Pomp vergessen lässt.“ Im Jahr 1750, als das Haus vom Baumeister François de Cuvilliés dem Älteren entworfen wurde, sei Theater etwas ganz anderes gewesen als heute: Das Geschehen auf der Bühne war nur ein Teil des Ereignisses, es gab nicht diese Fokussierung auf die Inszenierung des Stücks. „Das Licht blieb damals an“, sagt Hageneier.
Hier ging es um viel mehr als nur um Schauspiel: um Architektur, Musik, das Festliche, das Gesellschaftliche. Und vor allem ging es um den Fürsten. Das Cuvilliés-Theater gehörte damals wie heute zur Münchner Residenz, dem größten Innenstadt-Schloss Deutschlands. Von 1508 bis 1918 lebten und regierten dort die bayerischen Herzöge, Kurfürsten und Könige. Jede Vorstellung war zugleich eine Präsentation der absolutistischen Herrschaft des Schlossherren. „Aus den Logen hatte man einen besseren Blick auf den Fürsten als auf die Bühne“, sagt Stefan Hageneier.
Um das ganze Ausmaß der fürstlichen Selbst-Darstellung zu zeigen, steigt er die Stufen hinunter zum Parkett. Hageneier läuft Richtung Bühne und bleibt vor dem Theatergraben mit den verwaisten Musik-Instrumenten stehen. Dann dreht er sich um, und sein Blick zielt zur Kurfürstenloge, in der er eben noch gesessen hat. Nennt man die Zuschauerlogen, die das Parkett auf vier Etagen wie ein Hufeisen umschließen, prunkvoll, fehlen einem jetzt die Worte: Die kurfürstliche Loge ist ein golden umschlungener Balkon, von einer Opulenz, die das Auge überfordert. Man braucht eine Weile, um in dem überbordenden Gesamtbild die Details zu erkennen: die Ranken und Rosen, die Stützen in Form tragender Atlanten (muskulöse Männerfiguren), den posaunenden Engel und, obenauf, die rotgoldene Krone. Die Kurfürstenloge, eingerichtet mit samtroten Sesseln, hohen Spiegeln und kristallenen Lüstern, erstreckt sich über die beiden mittleren Etagen. Man sitzt dort direkt gegenüber der Bühne, ganz zentral. „Das ist eigentlich der einzige Platz, von dem man eine richtig gute Sicht hat“, sagt Hageneier. Die ganze Architektur des Theaters sei auf diese Loge ausgerichtet. Bescheidenheit war nie die Stärke der bayerischen Herrscher
Repräsentative Architektur zu Ehren der Fürsten
Das hat sich schon beim Rundgang durch die Residenz gezeigt. Allein die Größe! Ein Komplex aus mehreren ineinander gewachsenen Bauten mit zehn Innenhöfen und einem Hofgarten, in dem Polizisten zu Pferd patrouillieren. Über 120 Schauräume gibt es zu besichtigen, und damit sich der Besucher auf dem Weg nicht verirrt, ist der Pfad mit Kordeln abgesteckt und mit Pfeilen versehen. Da ist das Antiquarium, der älteste Bau der Münchner Residenz, ein 69 Meter langer Renaissancesaal, den Herzog Albrecht V. 1568 – 1571 errichten ließ, um seine antiken Skulpturen und Bücher unterzubringen. Da ist die Ahnengalerie mit mehr als 100 Porträts des Wittelsbacher Adelsgeschlechts, dessen Mitglieder fast ein Jahrtausend lang über Bayern herrschten und dessen Stammbaum angeblich bis zum antiken Halbgott Herkules zurückgeht. Da ist die Schatzkammer im Keller, eine der kostbarsten Sammlungen der Welt, mit Kruzifixen aus Elfenbein, diamantbesetzten Ketten und den Kroninsignien des bayerischen Königs. Da ist, neben dem Parade-Schlafzimmer, das golden gerahmte Spiegelkabinett, entworfen vom Hofarchitekten Cuvilliés: Reichtum, Macht und Selbstsucht reflektieren hier bis ins Unendliche.
In nur einer Nacht zerstörte ein Luftangriff die Residenz
Jeder Herzog, Kurfürst und König, der hier residierte, gestaltete das Schloss nach dem Geist seiner Zeit. Jeder baute um, riss ab, baute an, sodass ein gewaltiger Stilmix aus Renaissance und Barock, Rokoko und Klassizismus entstand. Doch dann, in nur einer Nacht im März 1944, zerstörte ein schwerer Luftangriff das Werk von Jahrhunderten. Von 23.500 Quadratmetern Dachfläche blieben nur 50 unversehrt. Fünfzig! Das Interieur des Cuvilliés-Theaters hatte man rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Feinsäuberlich zersägt lagerten die mit Blattgold überzogenen Lindenholz-Schnitzereien in einem Pfarrhof in Obing und im Keller der Kelheimer Befreiungshalle. 1958, pünktlich zum 800. Geburtstag der Stadt, baute man das Theater wieder auf. Nun steht es 100 Meter von seinem alten Standort entfernt. 2008 schließlich, nach einer neuerlichen Restaurierung, wurde es zum bislang letzten Mal wiedereröffnet. Zur Feier des Tages spielte man Mozarts „Idomeneo“, jene Oper, die hier im Jahr 1781 uraufgeführt wurde. 227 Jahre später saß in der Fürstenloge nicht mehr Kurfürst Karl Theodor, sondern Ex-Landesvater Edmund Stoiber. Der habe sich, so will es ein anwesender Feuilleton-Redakteur der Tageszeitung „Die Welt“ beobachtet haben, während der Vorstellung ein Nickerchen gegönnt. Ist ihm etwa gar nicht aufgefallen, welch königliche Sicht er von da oben hatte? „Nur aus der Kurfürstenloge stellt sich dieser Effekt der unendlichen Tiefe ein“, sagt Stefan Hageneier, der nun auf einem Stuhl in der ersten Reihe Platz genommen hat.
Ende des 18. Jahrhunderts sei das Prinzip der Guckkasten-Bühne der letzte Schrei gewesen: mehrere, nach hinten kleiner werdende Rahmen ließen das Bühnenbild wie eine endlose Flucht erscheinen. „Illusionistisches Theater“, sagt Hageneier, „das ist, wie wenn man sich einen 3-D-Film im Kino ansieht.“ Vor ein paar Jahren hat er für das Musikstück „Kinderkriegen“ die perspektivischen Linien des Theaterbaus aufgegriffen und die Bühne in ein riesiges, sich nach hinten verjüngendes Rohr verwandelt. Ein Loch in einem schwarzen Vorhang, sonst nichts. „Ein krasser Gegenentwurf zu der Opulenz des Baus“, sagt Hageneier. So also lenkt er die Aufmerksamkeit von den überbordenden Dekorationen des Zuschauerraums auf die Bühne. Oft nehme er bei seinen Installationen Motive aus dem Theater auf, um sie dann mutwillig zu brechen. Schlichtheit gegen Pomp. Und unterm Strich sieht es doch so aus, als schätze er die Schwierigkeiten des Baus als eine große Herausforderung, die ihn zu einem besseren Bühnenbildner gemacht haben. „Ich mag diese Widerstände, durch die ich meine Lösungen erzwingen muss.“ Nur zum Licht fällt ihm wirklich nichts Positives ein. Eigentlich gehörten Scheinwerfer direkt über die Bühne, wo jetzt die Kristall-Kronleuchter vom goldenen Stuck hängen. Und am besten wäre, man würde noch einen großen Strahler zentral gegenüber der Bühne in der Kurfürstenloge platzieren. Doch das ist nicht nur für das Denkmalamt, sondern auch für viele Zuschauer ein ganz ungeheuerlicher Gedanke.
Münchner Residenz, Residenzstr. 1, 80333 München; Tel. 0 89/29 06 71