Reise

Autor: David Krenz

Zwischen zwei Meeren: Radeln über den Wikinger-Friesen-Weg

Leuchttürme, Moore, Salzwiesen und Marsch – der Wikinger-Friesen-Weg vereint die Höhepunkte des Nordens.

© iStockfoto.com / kzenon

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Die Themenradroute folgt der Fährte der frühen Völker von Schleswig-Holsteins Nordsee- zur Ostseeküste. Die Tour wartet mit dem Besten auf, was Deutschlands hoher Norden zu bieten hat: Leuchttürme, Kutter, fangfrischen Fisch, Salzwiesen, wilde Moore und sattes, fruchtbares Marschland. Am Anfang und am Ende warten zwei Meere, eines rau und ungestüm, das andere sanft und in sich ruhend. Dazwischen liegen knapp 200 Kilometer Fahrt.

Tief einatmen, heißt es zum Start in St. Peter-Ording, einer schroffen Schönheit an der Nordseeküste. Der windschiefe Stadtwald und der Flattertanz der Promenadenflaggen lassen schon vermuten: Der Ort ist ein Paradies für jene, die es stürmisch lieben. Kitesurfer nennen sich die modernen Drachenbändiger, die auf ihren Brettern tollkühne Wellensprünge vollführen. Auch Wattwanderer kommen auf ihre Kosten, der Strand des Seebads ist zwölf Kilometer lang. Kreuz und quer verlaufen die Spuren im Sand: Vogelkrallen, Hundetatzen, Sandalensohlen. Die Wellen wischen sie bald weg, um drei Meter klettert der Pegel zur Flut. Das erklärt, warum die Strandlokale auf Stelzen stehen. Noch höher ragt der berühmte Westerhever Leuchtturm, der nur zu Fuß zu erreichen ist. Eine Dreiviertelstunde stapft man durch den Sand.

Die Radroute folgt der Küstenlinie nach Osten und führt auf den asphaltierten Seedeich, der die abgerungenen Marschen vor den Nordseefluten schützt. Möwen begleiten die Fahrt, Böen sausen durch die Speichen. So lässt sich die vorbeiziehende Landschaft genießen. Der samtig-gelbe Strandhafer, der wogend die Dünen bedeckt, dahinter das Wattenmeer, die Mittagssonne spiegelt sich gleißend in den Prielen. Austernfischer tapsen im Watt, stochern mit ihren langen signalroten Schnäbeln nach Würmern. Ihre Brutstätten liegen in den angrenzenden Salzwiesen, dunkelgrün, weich wie Teppiche und regelmäßig vom Meer überspült.

 

Auf der anderen Deichseite wächst ein Wäldchen aus Kiefern und Sandweiden. Über ihre Wipfel ragen hin und wieder Kirchturmspitzen. Sie gehören zu beschaulichen Deichdörfchen, deren Gassen mit Backstein gepflastert sind. Dorfkrüge, die „Kiek in“ oder „Friesenstube“ heißen, locken zur Rast, mit plattdeutschem Krabbenbrot und süß-saurem Matjesfilet, das butterzart auf der Zunge zergeht. Sie sind in typischen Frieslandhäusern untergebracht, weiß getünchten Schmuckkästchen mit Reetdach und Türen zum Kopfeinziehen.

Boßeln auf Eiderstedt

Hier auf der Halbinsel Eiderstedt siedelten die Friesen ab dem 7. Jahrhundert. Ihre Bräuche leben fort. Da kann es auf der Radtour passieren, dass mitten ins meditative Meeresrauschen ein kehliger Jubelschrei fällt. Er entstammt einem Pulk junger Männer, abwechselnd schleudern sie eine schwere Bleikugel durch die Lüfte. Boßeln heißt die urfriesische Disziplin. „Boßeln ist bei uns kein Sport, sondern ein Heimatspiel“, sagt ein Zuschauer.

Hinter dem 200 Meter langen Eidersperrwerk verlässt der Weg die Halbinsel und führt ins Land der Flüsse Eider, Treene und Sorge; ein artenreiches Feuchtgebiet mit Sumpfwiesen, ausgedehnten Mooren und bemoosten Bäumen. Abseits der Naturschutzzonen lassen sich die Holländerhäuser und Grachten von Friedrichstadt entdecken. Auch dieser Streckenteil ist ländlich geprägt, führt an Schafherden und Koppelweiden vorbei, im Slalomstil gilt es, Kuhfladen und Pferdeäpfeln auszuweichen. Ein Bauer, der in Gummistiefeln zu seinem Rapsfeld radelt, bildet den Gegenverkehr, ein breites „Moin!“ zum Gruß. Am Wegrand liegen Höfe, wo Hühner scharren und Gänse schnattern.

Im Weidegras stehen die Hütten eines Wikingerdorfs

Man kreuzt den Ochsenweg, einen mittelalterlichen Viehtreiberpfad, und fährt hinauf zu den Ruinen des Danewerks, einem mächtigen Abwehrwall des dänischen Königreichs. Halb verborgen von einer Herde Rinder steht ein Wikingerdorf im Weidegras. Die rekonstruierten Strohhütten gehören zum Museum in Haithabu. Es zeigt spektakuläre Funde wie das Wrack eines Schiffes, das fast 1000 Jahre in einem nahen Haff versunken lag. Die Geschichte Haithabus begann im 9. Jahrhundert, als die Nordmänner von Raubzügen auf Besiedlungen umstiegen. Dank seiner günstigen Lage zwischen den Meeren stieg Haithabu zur Handelsmetropole auf. Im Jahr 1050 brannten feindliche Truppen aus Norwegen das Wirtschaftswunder nieder.

Ganz in der Nähe spross eine neue Stadt: Schleswig.

Schleisiedlung heißt Schleswig übersetzt. Die Schlei ist kein Fluss, kein See, sondern ein Meeresarm der Ostsee, der 42 Kilometer ins Landesinnere reicht. Im Brackwasser tummeln sich Heringe, Aale und sogar Lachse, was Angler lockt. Auch Berufsfischer trifft man noch: In Holm, einem alten Fischerdörfchen, kehrt Jörn Ross vom Fischzug zurück. Der 51-Jährige zählt zu den letzten zehn Männern der Holmer Fischerzunft – wie auch seine beiden Söhne. „Wir sind Fischer, seit dem 17. Jahrhundert schon.“ Die Passage entlang des Schleiufers führt ins Östliche Hügelland, ein Werk der Weichseleiszeit vor 120.000 bis 10.000 Jahren. Hier lernt der Radler, dass der Norden durchaus schweißtreibende Steigungen bietet. Als Lohn der Mühen winkt eine Natur, die sich leicht mit Norwegens Wildnis verwechseln lässt. Steilküsten, kleine Buchten und bewaldete Landnasen säumen die silbrig schimmernde Schlei. An den Auen brüten seltene Vögel wie der Schilfrohrsänger.

Weiter nach Kappeln, wo die Schlei schmal wie ein Fluss verläuft. Der Ort schwenkt stündlich seine Brücke, damit Segler passieren können. Hinter dem Kappelner Heringszaun, einem trichterförmigen Flechtwerk, das seit 600 Jahren den Fischfang erleichtert, weitet sich die Schlei wieder – und mit ihr der Horizont. Das Meer! Hier, wo die Schlei in die Ostsee übergeht, stachen die Wikinger von Haithabu in See. Mit dem Polarstern als Kompass segelten sie auf ihren Handelsschiffen bis ins Schwarze Meer und zur Seidenstraße. Radfahrer haben jetzt ihr Ziel erreicht: Am nahe gelegenen Ostseestrand können sie ihre müde gestrampelte Waden kühlen.