Räuber mit Charme: Die Kegelrobbe
Niedlich und mächtig zugleich: Die Kegelrobbe ist Deutschlands größtes freilebendes Raubtier.

©
Den Handschuh, an dem ein Finger fehlt, hat Michael Janßen gut sichtbar an die Wand gehängt – als Mahnmal dafür, was passieren kann, wenn man einer Kegelrobbe zu nahe kommt. „Das war vor vielen Jahren, ich wollte die Robbe schnell von einem Stück Fischernetz befreien, hatte aber kein Fangnetz
dabei“, erzählt Janßen. Zum Glück musste nur der Handschuh dran glauben, nicht sein Finger. Aber ohne einen guten Plan und die richtige Ausrüstung können einem die Tiere gefährlich werden, selbst wenn man ihnen nur helfen möchte. Sie sehen zwar putzig, schwerfällig und manchmal geradezu träge aus, doch die mächtigen Raubtiere reagieren mitunter blitzschnell. Angesichts ihrer scharfen Zähne und eines Körpergewichts von bis zu 300 Kilogramm sollte man ihnen mit Vorsicht und Respekt begegnen.
Dafür, dass die Besucher der Nordseeinsel Helgoland genau dies beherzigen, setzt Michael Janßen sich unermüdlich ein. Er ist beim Tourismus-Service als Betriebsleiter für Helgolands Nebeninsel Düne zuständig. Die 70 Hektar kleine, flache Sandinsel in der Nordsee wird von Touristen wegen ihrer schönen Strände und von den Kegelrobben als Lebensraum geschätzt. Derart zahlreich sieht man sie sonst nur in Schottland oder Kanada. Der unbedingt notwendige Mindestabstand von 30 Metern zwischen Mensch und Tier ist hier schwierig einzuhalten. Inzwischen dürfen sich Besucher der Düne während der Wurf- und Paarungszeit im Winter deshalb nicht mehr unter die bis zu 1500 Robben mischen. Und es wird wissenschaftlich erforscht, wie man die Tiere etwa mit unangenehmen Frequenzen aus den Badebereichen fernhalten kann. „Grundsätzlich müssen wir aber lernen, der Kegelrobbe als besonders geschützter Art den Platz zuzugestehen, den sie braucht. Vor allem, weil der Winter hier immer mehr touristisch genutzt wird“, sagt Michael Janßen, der auch das Ehrenamt des Seehundjägers auf Helgoland bekleidet. In dieser Funktion hat er ein besonderes Auge auf die Tiere und darf einschreiten, wenn kranke, verletzte oder zu früh geborene Robben Hilfe brauchen – oder erlöst werden müssen.
Zwischen November und Januar steht die Freude über die vielen Neugeborenen im Mittelpunkt. Im vergangenen Winter erblickten 670 Kegelrobben-
babys auf der Düne das Licht der Welt – ein Rekord, dem weitere folgen könnten. Erst seit etwas mehr als 30 Jahren gibt es überhaupt wieder Kegelrobben auf Helgoland. Davor waren die Tiere jahrzehntelang wegen intensiver Bejagung in deutschen Gewässern fast ausgerottet. Dank strenger Schutzmaßnahmen erobern sie sich nun von Nordenglands Küsten aus ihre Reviere zurück. Das flache, sandige Land der Helgoländer Düne wird nie komplett überspült und eignet sich für die Tiere vorzüglich zum Ausruhen, Sonnenbaden, Paaren und dazu, den Nachwuchs zur Welt zu bringen.
Kugelrund: Die Wonneproppen sind früh auf sich allein gestellt
Den Neugeborenen macht die Winterkälte nichts aus: Ihr besonderes Fell, Lanugo genannt, hält sie warm. Die Muttertiere animieren ihre Kleinen außerdem unentwegt zum Trinken der nahrhaften Milch. So legen diese sich in kürzester Zeit eine dicke Fettschicht zu. „Man kann ihnen beim Wachsen wirklich zuschauen, sie nehmen täglich etwa ein Kilogramm zu“, berichtet Michael Janßen. „Am ersten Tag sehen sie noch ganz faltig aus, aber schon nach drei, vier Tagen sind sie kugelrund.“ Das müssen sie auch sein, denn die Mütter säugen die Jungtiere nur knapp drei Wochen lang. Rund zehn weitere Tage dauert es, bis die Wonneproppen ihr flauschiges, weißes Lanugofell verlieren und im Meer nach Fischen tauchen können. Bis dahin leben sie von ihren Reserven, schlafen die meiste Zeit und wirken auf den unkundigen Betrachter etwas einsam. Menschliches Eingreifen ist jedoch nicht nötig.Tumult: In der Hochphase geraten die Tiere aneinander
Im Gegenteil: Wer einer jungen Kegelrobbe auf den Pelz rückt, wenn die Mutter in der Nähe ist, lernt deren Beschützerinstinkt kennen. Den bekommen übrigens nicht nur Zweibeiner zu spüren, sondern auch Artgenossen. „Schon kurz nachdem die Jungen geboren sind, beginnt wieder die Paarungszeit“, erklärt Michael Janßen. „Da wird hier auf der Düne schon mal gehörig gezetert und geschimpft, wenn ein Bulle sich an anderen Tieren vorbei- drängen will.“ Kegelrobben seien im Gegensatz zu ihren engen Verwandten, den deutlich kleineren Seehunden mit runderen Köpfen, durchaus laut und grob zueinander. Bei Revierkämpfen fließt nicht selten Blut. Manchmal kommt es sogar vor, dass erwachsene Kegelrobben Jungtiere der eigenen Art sowie Seehunde fressen.Als größtes Raubtier in deutschen Meeren hat die Kegelrobbe kaum natürliche Feinde. Doch die Umweltverschmutzung macht ihr, die am Ende der Nahrungskette steht und so Schadstoffe in angereicherter Form aufnimmt, zu schaffen. Gefährlich sind auch Reste von Fischernetzen, in denen sich die Tiere verfangen – ein Dutzend Kegelrobben hat Michael Janßen mal in einer Saison davon befreit. Bei Jungtieren, die noch wachsen, schneiden die Netze in die Haut ein, verletzen Blutgefäße und bedeuten oft den Tod. „Wenn sie schlau sind“, sagt Michael Janßen, „bleiben sie schön in deutschen Gewässern.“ Hier sind Kegelrobben nämlich besonders streng geschützt.