Voller Durchblick dank Gleitsicht
Mit den Jahren benötigen viele Menschen zum Lesen eine Brille. Die stört aber beim Blick in die Ferne und auf mittlere Distanz. Hilfe versprechen Gleitsichtgläser.

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Sind ihre Arme nicht lang genug, um das Buch so weit wegzuhalten, dass Sie die Schrift noch erkennen? Wenn Sie früher gut gesehen haben und der 40. Geburtstag hinter Ihnen liegt, ist der wahrscheinlichste Grund für die Last mit dem Lesen die normale Alterung des Auges. „Wenn ein 20-Jähriger aus dem Fenster blickt, wird seine Linse flach, wenn er auf sein Smartphone schaut, wölbt sie sich“, erklärt Christian Theinert vom Berufsverband der Augenärzte Deutschlands. „Im Laufe des Lebens wird die Linse steifer, die Fähigkeit zur Anpassung an verschiedene Distanzen geht verloren.“
Eine Brille für alles
Viele Betroffene behelfen sich zunächst mit einer Lesebrille. Nicht jeder möchte aber vielmals am Tag die Brille auf- und absetzen. Eine Gleitsichtbrille löst dieses Dilemma. „Deren Gläser korrigieren – wenn nötig – im oberen Bereich die Fernsicht, bieten in der unteren Hälfte einen großzügigen Bereich für die Nahsicht“, sagt Experte Theinert, der als Augenarzt in Leipzig praktiziert. „Dazwischen gibt es eine kleine Zone für mittlere Distanzen wie etwa die zu einer in der Nähe sitzenden Person oder zu einem Bildschirm.“ Die früher weit verbreiteten sogenannten Bi- oder Trifokalbrillen funktionieren ähnlich. Der Unterschied: Die verschiedenen Sichtzonen der Gleitsichtgläser gehen ineinander über, in den anderen Ausfertigungen sind sie durch sichtbare Kanten voneinander getrennt.
Gewöhnung muss sein
Auch Harald Belyus, Augenoptikermeister aus Wien ist von den Vorteilen der Gleitsichtbrille überzeugt. „Sie ist einfach am vielseitigsten. Je nachdem, durch welchen Teil des Glases Sie schauen, finden Sie immer ein scharfes Bild.“ Nicht nur beim Autofahren ist es hilfreich, wenn der Blick zwischen Straße und Horizont frei hin und her schweifen kann. Dazu kommt: „Gläser ohne sichtbare Zonenkanten empfinden viele Kunden als ästhetischer“, sagt Belyus. Allerdings: Diese Art des Sehens ist gewöhnungsbedürftig. Steigen Sie beispielsweise mit Ihrer neuen Brille die Treppe hinab, kann es gut sein, dass Sie die Stufen nicht scharf sehen. Dies liegt daran, dass Sie bislang gewohnt waren, nur den Blick zu senken, nicht aber den Kopf. Jetzt aber ist der untere Teil Ihrer Brille für die Nahsicht eingerichtet. Reine Augenbewegungen nach links oder rechts führen den Blick in die Unschärfebereiche an den Rändern des Gleitsichtglases.
„Sie müssen also lernen, je nach Bedarf durch die richtigen Sichtzonen zu blicken“, sagt Optiker Belyus. „Um wie gewohnt zu sehen, muss Ihr Kopf der Blickbewegung folgen.“ Die meisten Menschen brauchen nicht länger als ein bis zwei Wochen, um Kopfhaltung und Blickbewegungen an die neue Brille anzupassen. Worauf sich Kunden auf jeden Fall einstellen müssen: Aufgrund des aufwendigeren Herstellungsverfahrens sind Gleitsichtbrillen wesentlich teurer als Einstärken- und Bi- oder Trifokalgläser.
Darauf sollten Sie achten
Wie alle Sehhilfen, sollte auch eine Gleitsichtbrille entspiegelt sein. Nicht entspiegelte Gläser reflektieren einfallendes Licht, was Ihre Sehqualität mindert. Gerade im nächtlichen Straßenverkehr kann dies gefährlich sein. Optiker Belyus empfiehlt zudem sogenannte Blaulichtfilter. Sie reduzieren den Blaulichtanteil von Sonnenlicht sowie von Bildschirmen aller Art. „Bisherige Studien legen nahe, dass ein erhöhter Blaulichtanteil in unserer Umgebung, besonders in den Abendstunden, die Qualität des Nachtschlafs stören kann“, sagt Augenarzt Theinert. Überzieht der Optiker Ihre Gläser mit einer zusätzlichen Hartschicht, macht sie dies widerstandsfähiger, was beim Sport oder Handwerken von Vorteil sein kann. Praktisch, aber kein Muss, ist eine speziell geglättete Oberfläche, die dafür sorgt, dass die Gläser sich leichter putzen lassen. Die sind übrigens heute fast alle aus Kunststoff. „Glas verwenden wir wegen der Bruchgefahr so gut wie gar nicht mehr“, berichtet Optiker Belyus.
Er hält noch eine wichtige Empfehlung parat. Ihr Optiker sollte sich genügend Zeit für Sie nehmen. Schließlich muss er nicht nur Sehschärfe, Pupillenabstand und die richtige Lage der Sichtzonen bestimmen. „Er oder sie muss auch erfassen, wie stark sich die von Ihnen gewählte Brillenfassung nach vorn neigt, wie weit die Gläser vom Auge entfernt sind, und wie Sie Kopf und Körper halten, denn auch davon hängt ab, wie die Sichtfelder ausgearbeitet werden müssen.“ Schließlich möchten Sie ja den vollen Durchblick – und das nahtlos.