"Stricken ist wie Meditation"
Die gleichmäßige, rhythmische Tätigkeit beruhigt und entspannt viele Menschen.

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Schon in den 1940er-Jahren griffen junge männliche Piloten der Royal Air Force zu Stricknadeln, während sie auf den nächsten Einsatz warteten. Handarbeiten wie Stricken oder Sticken halfen ihnen, die Geschicklichkeit verletzter Gliedmaßen wiederherzustellen und gleichzeitig verwundete Seelen zu heilen. Dies war der Grundstein der Beschäftigungstherapie. Millionen Menschen auf der ganzen Welt handarbeiten heute wieder. „Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Handarbeit und unserer psychischen Gesundheit“, sagt Janine Smith. Zusammen mit Deb McDonald betreibt sie einen Wollladen in Sydney, Australien. „Stricken ist wie Meditation.“
Die Forschung unterstützt Smiths Aussage. Die Physiotherapeutin Betsan Corkhill und die Ergotherapeutin Jill Riley waren Teil eines Teams der Cardiff University, Großbritannien, das vor zehn Jahren mehr als 3500 Strickerinnen und Stricker befragte und feststellte, dass die Menschen sich umso ruhiger und glücklicher fühlten, je häufiger sie strickten. Oder, wie McDonald es ausdrückt: „Dieser Rhythmus, Masche für Masche, ist wie tiefes Atmen. Es ist ein Fluss, in den man leicht reinfindet, weil der Rhythmus schon da ist.“
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„Flow“ ist ein Konzept, das der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi erstmals benannt hat. In seinem Buch Flow: Das Geheimnis des Glücks schreibt er: „Die besten Momente in unserem Leben sind nicht die passiven und entspannten. Die besten Momente treten für gewöhnlich dann auf, wenn der Körper oder Geist bis an seine Grenzen belastet wird, um freiwillig etwas Schwieriges und Lohnenswertes zu erreichen.“ Shauna Richardson weiß, wie wahr das ist. Sie häkelte 18 Monate lang drei sieben Meter lange Löwen für die britische Kulturolympiade 2012. Um die Aufgabe, für die fast 60 Kilometer Wolle benötigt wurden, zu bewältigen, musste sie „alles ausblenden und einen Geisteszustand aufrechterhalten, der von Rhythmus und Arbeitsablauf bestimmt ist“, berichtet sie. Doch natürlich können Sie auch mit kleineren Projekten dieses Ziel erreichen. Selbst ein einfaches Strick- oder Häkelmuster erfordert Aufmerksamkeit, um sicherzustellen, dass jede Masche richtig ausgeführt wird. Genügt Ihnen das nicht, können Sie mit Farbwechseln oder komplizierten Mustern arbeiten.
Studie: Handarbeitende Personen fühlten sich zufriedener
Csikszentmihalyi beschreibt auch das Gegenteil von Flow. Er weist darauf hin, dass die Menschen heute zwar gesünder sind und älter werden als früher, dass sie aber oft das Gefühl haben, „ihre Jahre in Angst und Langeweile verbracht zu haben“, und dass sie sich von einer befriedigenden Arbeit abgeschnitten fühlen.
Die meisten in der Cardiff-Studie befragten Personen waren berufstätig. Trotzdem fühlten sich drei Viertel derjenigen, die mindestens dreimal pro Woche strickten, deutlich besser in der Lage, ihre Gedanken zu ordnen und ihre Probleme zu vergessen. Viele gaben an, sich nach dem Stricken ruhiger und besser gelaunt zu fühlen. Und die Mehrheit der Befragten, die unter Depressionen litten, fanden, dass das Stricken sie glücklicher machte. Von denen, die unter chronischen Schmerzen litten, gaben fast neun von zehn an, dass Stricken ein Mittel zur Bewältigung ihrer Schmerzen sei. Mehr als die Hälfte der Befragten fühlte sich durch das Stricken angespornt, andere Fähigkeiten zu erlernen, etwa Möbel zu bauen. Da Stricken einfach ist, hilft es, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten aufzubauen.