Der rettende Griff gegen das Ersticken
Eine Frau verschluckt sich beim Essen im Restaurant. Besitzer Osman Avci handelt und rettet sie vor dem Ersticken.

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Osman Avci leidet unter Migräne. Trotzdem steht der Inhaber des Steakhauses El Cazador im rheinischen Wesseling am Empfang, wirft einen Blick auf die Reservierungen, begrüßt seine Gäste und sorgt dafür, dass sie zu den eingedeckten Tischen geführt werden. 80 Personen haben sich an diesem Sonntagabend im Februar angemeldet, die meisten sind bereits da. Das Steakhaus hat erst Anfang November 2021 eröffnet, und der 36-Jährige ist stolz, dass es so gut angenommen wird. Auf den Tischen brennen Kerzen, im Hintergrund läuft leise Musik. Die Atmosphäre ist entspannt. Nur Avci und seine sieben Angestellten in Restaurant und Küche haben alle Hände voll zu tun.
Bitte Hilfe, meine Oma erstickt!
Plötzlich steht eine junge Frau vor ihm, Avci schätzt sie auf Anfang, Mitte 20. Ihre Augen sind angstvoll aufgerissen, die Hand, mit der sie ihr Handy ans Ohr presst, zittert. „Bitte kommen Sie schnell. Beeilen Sie sich, meine Oma erstickt!“, hört er sie mit sich überschlagender Stimme ins Telefon rufen. Im nächsten Moment macht sie auf dem Absatz kehrt und läuft in Richtung des zweiten Speiseraums. Avci eilt ihr nach. Die drei Stufen, die in den Raum hinabführen, nimmt er im Sprung. Die Gäste haben Messer und Gabel niedergelegt, starren entsetzt auf das Geschehen, das sich an einem der Tische abspielt.
Dort steht eine ältere Dame. Vornübergebeugt presst sie beide Hände auf die Tischplatte. Den Kopf hat sie in den Nacken geworfen, den Mund aufgerissen. Ihre Augen quellen aus den Höhlen, das Gesicht ist blau verfärbt. Avci ist sofort klar: Die Frau droht zu ersticken! Ihre Familie, darunter die junge Frau mit dem Handy, steht daneben. Wild gestikulieren sie, reden hilflos durcheinander. Eine Dame vom Nachbartisch klopft der verzweifelt um Luft ringenden Seniorin zaghaft auf den Rücken.
Osman Avci wendet den Heimlich-Griff an. Beim dritten Versuch hat er Erfolg
In diesem Moment schießt Avci ein Gedanke durch den Kopf: Der Heimlich-Griff! Woher er ihn kennt? Daran kann er sich nicht erinnern. Vielleicht hat er ihn im Fernsehen gesehen? Aber er weiß genau, wie dieser Griff funktioniert. Und dass ihm nur noch Sekunden bleiben. Mit ein paar Schritten ist er bei der Frau, von hinten umfasst er sie mit beiden Armen. Die rechte Hand zur Faust geballt, die linke darübergelegt, platziert er seine Hände zwischen Nabel und Brustbein der nach Luft Ringenden. Die Rufe um sich herum hat er ausgeblendet, er konzentriert sich auf die Seniorin. Jetzt! Ruckartig presst er seine Hände fest in ihren verkrampften Körper, zieht dabei leicht aufwärts. Einmal, zweimal. Und noch einmal. Er blickt über die Schulter der Frau und sieht, dass etwas aus ihrem Mund fällt.
Aber die Seniorin ringt weiter um Luft. „Da muss noch etwas sein!“, ruft die junge Frau, die den Notruf gewählt hat. Avci wendet den Heimlich-Griff erneut an. Und noch einmal. Beim dritten Versuch hat er Erfolg. Wieder fällt etwas aus dem Mund der Dame, es sieht aus wie ein Fleischbröckchen. Sie muss sich beim Essen verschluckt haben. Endlich sind ihre Atemwege frei. Gierig saugt sie Luft in ihre Lungen. Langsam nimmt ihr Gesicht wieder seine natürliche Farbe an. Schließlich sinkt sie erschöpft und zitternd auf ihren Stuhl. Osman Avci tritt an ihre Seite. „Geht es wieder?“, fragt er.
Die Frau nickt. „Danke!“, sagt sie und noch einmal „Danke!“
Avci atmet selbst tief durch. Sein Blick schweift durch den Raum. Die Gäste setzen sich hin, greifen zu Messer und Gabel, nehmen ihre Gespräche wieder auf. Erst jetzt nimmt Avci wahr, dass auch seine Angestellten herbeigeeilt sind. „Los Jungs, wieder an die Arbeit“, ruft er und geht zurück an den Empfang. Wenige Minuten später treffen zwei Sanitäter und eine Notärztin ein. Avci führt sie zu zum Tisch der Seniorin. Die Ärztin untersucht diese kurz und schüttelt Avci dann die Hand. Er hat alles richtig gemacht. „Sie können jederzeit bei uns anfangen, wenn Ihr Restaurant mal nicht läuft“, sagt sie lächelnd.
Mehrere Angehörige der Geretteten drückten ihren Dank auf der Webseite des Restaurants aus
Am nächsten Tag bringt die Dame ihrem Retter einen Geschenkkorb. Sie bedankt sich noch einmal. „Ich bin so froh, dass Sie mich gerettet haben. Ich möchte doch noch so gern die Hochzeit meiner Enkelin erleben“, sagt sie. Osman Avci winkt ab. „Wenn man das Glück hat, einen Menschen retten zu können, dann ist das so, als hätte man die ganze Welt gerettet. Ich bin jedenfalls sehr froh, dass ich an diesem Abend da war und dass ich trotz meiner Kopfschmerzen noch so reaktionsfähig sein konnte“, erklärt er. Wenige Tage später schreibt ein Familienmitglied der Geretteten im Internet eine Restaurantkritik: „Leider kann ich nur fünf Sterne vergeben. Wenn ich könnte, würde ich Milliarden Sterne vergeben. Abgesehen von dem tollen Essen, hat der Besitzer meiner Oma das Leben gerettet.“