Menschen

Autor: Bill Hangley Jr.

Der total verrückte Hotelbesuch

Nach einem langen Tag wollen die drei Freunde nur noch schlafen – doch es kommt ganz anders. Über Nacht werden sie in Nashville unfreiwillig zu Hotelangestellten. 

Illustration: verschiedene aufgeregte Menschen in einer Hotellobby. Ein Mann telefoniert.

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©Cat Sims

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Wären sie nicht ins Casino gegangen, wäre das alles nicht passiert. Wären die drei Freunde nach Schließung der Bars direkt zum Hotel gefahren, hätten sie den diensthabenden Rezeptionisten angetroffen. Sie hätten ihre Schlüssel erhalten, ihr schönes, anonymes Zimmer bezogen und wären in ihren schönen, anonymen Betten eingeschlafen.
Doch die Freunde suchten das Abenteuer. Es war der 28. Geburtstag von Aaron Howard. Gemeinsam mit Kenzie Brooks und Noorain Dobani, alle aus Atlanta, US-Bundesstaat Georgia, war er nach Nashville im US-Bundesstaat Tennessee gefahren, um dieses Ereignis zu feiern. Das Highlight ihrer Reise war ein Konzert von Howards Lieblingsband, den Arctic Monkeys, am Mittwochabend. Als sie am Dienstag ankamen, stürzten sie sich jedoch zunächst in das Nachtleben von Nashville und feierten bis zur Sperrstunde in den berühmten Bars. Auf dem Weg zum Hotel – Dobani saß am Steuer – fiel ihnen ein Schild für ein Casino ins Auge. Oh ja, nichts wie hin! Sie nahmen den Highway und fuhren in Richtung Norden. Im Casino verspielten die Freunde zwar ein paar Hundert Dollar, doch das tat der Stimmung keinen Abbruch. Und nun waren sie alle bereit fürs Bett.

Letzte Station des Abends: das Hotel La Quinta in der Nähe des Flughafens, ein völlig unscheinbarer, gelb gestrichener Kasten an der Autobahn, der sich an Touristen und Langzeitgäste richtet. Es war fünf Uhr morgens, als sie dort ankamen. Einen Parkservice oder einen uniformierten Portier erwarteten sie um diese Uhrzeit nicht. Aber dass sie irgendjemanden antreffen würden, das erwarteten sie schon.
„Niemand ...“, sagt Dobani. „Wir standen da und warteten, aber es kam niemand.“ Es war niemand an der Rezeption, niemand in der Lobby und auch niemand im Büro. 
Die Freunde sahen sich ein bisschen um, und begegneten bald einer Reinigungskraft, die genauso ratlos schien wie sie selbst. Sie hätten einfach ins Auto steigen und zu einem anderen Hotel fahren können. Schließlich konnten sie hier nirgendwo schlafen und hatten keine Möglichkeit, an ihre Zimmerschlüssel zu kommen. Doch dann hörten sie ... eine laute Frauenstimme. Aus dem Aufzug. Auf dem Weg zu ihnen. Brooks erzählt: „Sie kam schreiend auf uns zu: ‚Mein Geld wurde gestohlen, mein Geld wurde gestohlen!‘ Man konnte sie schon hören, bevor sie überhaupt in der Lobby war.“
Zunächst waren die Freunde völlig überrumpelt. Die Frau schimpfte über unzulässige Abbuchungen, die das Hotel von ihrer Karte vorgenommen hatte. Als sie bemerkte, dass die Lobby – abgesehen von den drei Freunden –  leer war, rief sie sofort die Geschäftsstelle von La Quinta an. 

Spätestens da wurde die Sache absurd. Als die Frau endlich jemanden in der Leitung hatte, konnten die Freunde das Gespräch mithören. „Sie sagten: ‚Kein Problem, Ma’am, wir verbinden Sie mit jemandem, der Ihnen weiterhelfen kann‘“, erinnert sich Dobani. „Und dann? Klingelte plötzlich das Telefon an der Rezeption.“ Genau, es war das Telefon an der unbesetzten Rezeption. Und die war der Grund, warum die Frau überhaupt erst die Zentrale angerufen hatte... Dobani tat, was ihm am logischsten erschien: Er ging ans Telefon. Als die Frau bemerkte, dass sie an einen anderen Gast weitergeleitet worden war, der nur wenige Zentimeter entfernt stand, wurde sie noch wütender. 

Bald darauf klingelte das nächste Telefon. 

Auch das nahm Dobani ab. Und wer war am Apparat? Ein weiterer verärgerter Gast, der das gleiche Problem wie die Frau hatte. Es dauerte nicht lange, bis immer mehr empörte, besorgte, ratlose und irritierte Gäste in der Lobby auftauchten. Sie berichteten, dass auch sie wegen verdächtiger Abhebungen von ihren Debitkarten alarmiert worden waren. „Es waren nicht nur kleine Beträge. Wir reden hier von 100, 200 Dollar“, betont Brooks. „Irgendwann standen mindestens zehn Leute an der Rezeption, um sich zu beschweren. Wir riefen das La Quinta-Büro an und sagten: ‚Sie haben hier ein Problem – es könnte bald eskalieren.‘“ 

Eine ganze Lobby voller verärgerter Gäste

Lieber Leser, bitte versetzen Sie sich für einen Moment in die Lage unseres Trios: Sie sind müde. Sie sind erschöpft. Sie haben alles richtig gemacht: Sie haben ihre Reise geplant, ein Hotelzimmer gebucht, die ganze Nacht ausgelassen gefeiert und wollen jetzt endlich schlafen. Aber statt eines Zimmerschlüssels haben Sie gar nichts in der Hand. Sie stehen in einer Lobby voller verärgerter Gäste, die offensichtlich davon ausgehen, dass Sie hier arbeiten. Sie sind irgendwo in der Nähe des Flughafens. Draußen gibt es nichts außer einem Parkplatz und einem Taco Bell. Sie haben keine Ahnung, wo Sie jetzt hinsollen. Was würden Sie tun?
Manch einer hätte wohl mitten in der Nacht die Flucht ergriffen und die anderen Gäste im La Quinta allein gelassen. Doch die drei Freunde beschlossen zu bleiben. Schließlich hatten sie bereits Erfahrungen mit verärgerten Kunden gemacht. Dobani, Brooks und Howard hatten jahrelang im Dienstleistungsbereich gearbeitet: Sie hatten Schuhe verkauft, Getränke ausgeschenkt, Personal gemanagt. Sie hatten nicht nur zusammen in einem Trampolinpark und in einer Minigolfanlage gearbeitet, sondern sich auch mit schreienden Kindern und deren Eltern bei Geburtstagsfeiern sowie mit Betrunkenen bei so mancher Happy Hour herumgeschlagen. Vor einem Problem wegzulaufen, war nicht ihr Ding. Als die Frau schimpfte und die anderen lautstark wissen wollten, wo ihr Geld geblieben war oder wie sie ihren Mietwagen zurückgeben konnten, machte es Klick: Jetzt waren die Freunde gefragt. 

„Daran sind wir gewöhnt“, sagt Dobani. „Wenn man sieht, dass etwas erledigt werden muss, erledigt man es einfach.“ Dank seiner Erfahrung im Kundendienst kannte Howard die Probleme, die oft bei Online-Buchungssystemen auftreten. Die Lösung für die Gäste war nicht, bei La Quinta anzurufen, sondern bei ihren Banken, um die Zahlungen rückgängig machen zu lassen. Also forderte Howard die Gäste auf, ihre jeweiligen Banken zu kontaktieren. Dobani und Brooks, die immer noch hinter der Rezeption standen und telefonierten, folgten seinem Beispiel. 
„Wenn Leute wütend sind, wollen sie meistens nur hören, dass alles gut wird und dass sich jemand um das Problem kümmert“, gibt Brooks zu bedenken. „Sie wollen einfach nur gehört werden.“ Aber nicht alle ließen sich beruhigen. Die erste Frau, die schreiend aus dem Aufzug gerannt war, war so aufgebracht, dass sie schließlich die Polizei rief. 
„Als der Polizist hereinkam, dachte ich, jetzt wird es ungemütlich“, erinnert sich Brooks. „Die Dame schreit. Und ich stehe da in Netzstrümpfen, Shorts und einem T-Shirt hinter der Rezeption“, fügt sie hinzu. Doch anstatt die Freunde zu verhaften, weil sie sich als Hotelangestellte ausgegeben hatten, beobachtete der Beamte die chaotische Szene und entschied dann, sich nicht in die Sache einzumischen. Stattdessen, so berichtet das Trio, sagte er nur: „Ich gehe jetzt. Ihr tut, was ihr tun müsst.“

Die drei Freunde werden spontan zu Hoteliers

Inzwischen war klar, dass die drei Freunde so etwas wie Personal in diesem Hotel waren – und dass die Gäste Hilfe brauchten. Es ging nicht mehr nur um die verärgerten Kunden. Als die Sonne aufging, erschienen nach und nach die Frühaufsteher. Sie wollten auschecken. Sie wollten einen Shuttleservice zum Flughafen. Sie wollten in die Stadt fahren.
Brooks durchsuchte das leere Büro nach einer Liste mit Kontakten für Shuttlebusse und Taxis. („In jedem Büro gibt es irgendwo einen Spickzettel“, bemerkt sie.) Schließlich fand sie, was sie suchte, und reichte die Liste an Dobani, der mit einem breiten Lächeln an der Rezeption stand.
Um 6.30 Uhr kamen ein paar Bauarbeiter die Treppe herunter und setzten sich in den Frühstücksraum, wo sie geduldig auf Kaffee, Bagels, Waffeln und Eier warteten. Um sie nicht zu enttäuschen, machten sich Brooks und Howard an die Arbeit. Während Brooks im Büro nach der Liste gesucht hatte, hatte sie auch die Schlüssel zu den Vorratsschränken gefunden, in denen die Lebensmittel aufbewahrt wurden.
Hier kam ihnen ihre Erfahrung wieder zugute: Da Brooks und Howard auf dem Minigolfplatz, auf dem sie zusammen gearbeitet hatten, auch Essen serviert hatten, waren beide in kommerzieller Lebensmittelsicherheit geschult worden. Sie wussten, dass sie weder Rührei noch Speck so zubereiten konnten, dass sie den staatlichen Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit entsprachen. Aber Müsli, Kekse und einzelne Joghurtbecher auslegen? Das konnte jeder. 
Zurück am Schalter organisierte Dobani Shuttlebusse und half den Gästen beim Auschecken. „Ich erklärte den Leuten: ‚Lassen Sie Ihre Schlüssel einfach hier am Tresen liegen‘“, erzählt er. Und die Gäste spielten mit. Sie stürzten sich fröhlich auf das Frühstücksbuffet, ohne sich daran zu stören, dass sie von einem Mann im knallroten Baseball-Trikot und einer Frau in Netzstrümpfen bedient wurden. Die Freunde verhielten sich wie Hotelangestellte, und die Gäste behandelten sie auch so. 

Endlich taucht ein echter Hotelangetellter auf

Sie servierten noch immer das Frühstück, als um acht Uhr morgens endlich der Rezeptionist zur Frühschicht auftauchte. Er schaute die drei verwundert an und fragte: „Was kann ich für euch tun?“ 
Brooks lächelte und antwortete: „Weißt du, was wir gerade für dich getan haben?“ 
Zu diesem Zeitpunkt waren die Freunde bereits seit 24 Stunden auf den Beinen. Was als Spaß begonnen hatte, war schnell zu einem Job geworden, der genauso anstrengend war wie jeder andere. Als sie den echten Mitarbeiter sahen, dachten sie, das Abenteuer sei nun endlich vorbei. 
„Wir waren völlig erschöpft“, berichtet Brooks.
Doch das La Quinta hatte noch eine weitere Überraschung parat. Nachdem der neu eingetroffene Angestellte ihnen ihre Schlüsselkarten überreicht hatte, machten sich die drei freudig auf den Weg zu ihren lang ersehnten Betten. Doch als sie die Tür öffneten, stießen sie auf eine splitternackte Frau, die gerade aus der Dusche trat – und alles andere als erfreut über den ungebetenen Besuch war. 

Warum eigentlich hatte das Buchungssystem des Hotel verrückt gespielt?

Brooks, Howard und Dobani fanden nie heraus, was mit dem Buchungssystem schiefgelaufen war, aber sie erhielten immerhin eine vage Erklärung, warum die Rezeption unbesetzt war: Ein Angestellter sei „vorzeitig gegangen, ohne das Management zu benachrichtigen“, und arbeite nun „nicht mehr im Hotel“, hieß es in einer Stellungnahme.
Das Unternehmen, zu dem La Quinta gehört, zeigte sich dankbar und versorgte die drei mit Treuepunkten und Geschenkboxen, die flauschige Bademäntel enthielten. Und für Brooks war noch eine kostenlose Mahlzeit herausgesprungen. Als sie sich mit dem Hotelchef trafen, sagte Brooks: „Ich muss gestehen, dass ich ein paar Ravioli aus der Vorratskammer gegessen habe.“ Er erwiderte: „Du hättest alles nehmen können – es wäre in Ordnung gewesen.“