Dramatische Rettung aus dem Rhein
Ein Wohnmobil stürzt in den Rhein. Fährschiffer Andre Kimpel ist zur Stelle und rettet den Fahrer, bevor er in den Fluten versinkt.

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Gegen neun Uhr legt die Fähre in Kaub ab. Lediglich zwei Lieferwagen sind an Bord. Kimpels Blick schweift auf die andere Rheinseite. Dort rollt gerade ein Wohnmobil die schmale Rampe zum Anleger herunter. „Wie weit will der denn noch fahren?“, fragt sich der Fährschiffer verwundert. „Der bremst ja gar nicht!“ In dem Moment sieht er, wie das Wohnmobil ausbricht: Erst hält es auf die Kaimauer zu, dann schwenkt es wieder Richtung Fluss. Sekunden später stürzt es vor Kimpels Augen ins Wasser.
„Fahr sofort los. Da drüben ist jemand in Not!“, ruft er seinem Kollegen im Führerhaus der Fähre zu und reißt gleichzeitig sein Handy aus der Tasche. „Bei Rheinkilometer 546,3 ist ein Wohnmobil in den Fluss gefahren. Mindestens eine Person ist noch drin“, informiert er die Rettungsleitstelle in Montabaur. Dabei behält er den Wagen im Blick, der jetzt mit der Strömung flussabwärts treibt. Kimpel bleibt ruhig. Er weiß, dass das Wohnmobil nicht sofort sinken wird. Sein großer, luftgefüllter Innenraum verleiht ihm relativ guten Auftrieb.
Eile ist geboten. Das Wasser hat den Fahrer des Wohnmobils bereits erreicht
Etwa drei Minuten benötigt die 150 Tonnen schwere Fähre, um den Rhein zu queren. Das sollte schnell genug sein. Doch gerade als die Pfalzgrafenstein etwa in der Mitte des Flusses ist, taucht ein Tanker auf in der Fahrtrinne, die sie noch queren müssen – und der Tanker hat Vorfahrt! Kimpel atmet erleichtert aus, als er sieht, dass der Tanker die Rinne wechselt, um Platz zu machen. Die Leitstelle oder sein Kollege am Steuer der Fähre müssen den Kapitän alarmiert haben.
Kimpel schnappt sich eine Rettungsweste und greift einen Fliegerhaken. Mit diesem vier Meter langen Metallstab misst er normalerweise die Wassertiefe in Ufernähe. Noch nie erschienen Kimpel drei Minuten so lang. Aus den Augenwinkeln sieht er, dass die Fahrer der Lieferwagen neben ihm Aufstellung nehmen. Gut so, er wird also Helfer haben. Zu dritt stehen die Männer auf der Fährenrampe, knapp über der Wasseroberfläche.
Endlich sind sie auf Höhe des Wohnmobils. Kimpels Kollege steuert die Fähre so, dass sie den Wagen sanft Richtung Ufer drückt. Hinter dem Lenkrad des Wohnmobils sitzt ein älterer Mann. Das Kinn ist ihm auf die Brust gesunken. „Hallo, können Sie mich hören?“, ruft Kimpel.
Das Wohnmobil kippt
Der Kopf des Mannes zuckt hoch. Im nächsten Moment kippt das Wohnmobil durch das Gewicht des eindringenden Wassers und des Motors nach vorn. Jetzt ist Eile geboten. Der Verunglückte sitzt bereits bis zum Bauchnabel im eiskalten Wasser. Die obere Scheibe des Sonnendachs direkt über ihm ist aufgesprungen. Das ist Kimpels Chance. Mit dem Fliegerhaken zertrümmert er die zweite Scheibe aus Plexiglas. Seine beiden Helfer schlagen mit bloßen Händen die Reste heraus. Weit beugen sie sich dabei über die Schranke der Rampe. Der Mann im Wohnmobil streckt seine Arme durch die Öffnung. Immerhin hat er den Gurt schon gelöst. „Ganz ruhig. Gleich haben wir Sie“, ruft Kimpel ihm zu. Mit vereinten Kräften gelingt es den drei Männern, den Verunglückten aus dem Wohnmobil und an Bord der Fähre zu zerren.
„Ist da noch jemand drin?“, fragt Kimpel den Geretteten, der nun zitternd auf der Rampe liegt. „Nein“, antwortet dieser. Zur Sicherheit schreit Andre Kimpel noch einmal durch das zersplitterte Sonnendach. „Hallo? Ist da jemand?“ Niemand antwortet. Beruhigt ruft Kimpel seinem Kollegen im Führerhaus zu: „Fahr langsam zurück! Da ist keiner mehr drin.“ Die Fähre schwenkt Richtung Anleger.
Einer der beiden Lieferwagenfahrer holt eine Rolle Montagefilz aus dem Auto und deckt den durchnässten Mann auf der Rampe damit zu. Erst jetzt hat Kimpel Zeit, sich umzusehen. Auf der Straße oberhalb der Anlegestelle warten bereits Krankenwagen und Feuerwehrauto. Gerade landet ein Polizeihubschrauber, und auf dem Rhein nähern sich Boote der Feuerwehr und der Wasserschutzpolizei.
Die Fähre legt an, die Rettungskräfte übernehmen den Verunglückten. Taucher sichern das Wohnmobil. Später wird es mithilfe eines Krans aus dem Rhein geborgen. Für Andre Kimpel aber geht der Fähralltag ganz normal weiter. Am nächsten Morgen meldet sich die Frau des Verunglückten bei ihm, um sich zu bedanken.
„Kein Problem“, antwortet Andre Kimpel. „Kümmern Sie sich jetzt gut um Ihren Mann.“ Warum dieser die Kontrolle über sein Gefährt verloren hat, weiß Kimpel bis heute nicht.