Menschen

Autor: Annette Lübbers

Plötzlich kippt der Busfahrer ohnmächtig auf das Lenkrad

Ein Busfahrer bricht am Steuer zusammebn. Robin Schlömer rettet ihn – und die Fahrgäste

Plötzlich kippt der Busfahrer ohnmächtig auf das Lenkrad

©

©© Frank van Groen

Es war ein schöner Abend. Mit seiner Freundin hat Robin Schlömer an diesem Samstag im Dezember eine Poetry-Slam-Veranstaltung in der Aachener Innenstadt besucht, dann die junge Frau nach Hause gebracht. Gegen elf kommt der Veranstaltungstechniker am Busbahnhof an, ein Ort, der keinen guten Ruf genießt. In Zeitungsberichten ist immer wieder von Drogenhandel und Messerstechereien in dieser Gegend die Rede. Auch deswegen freut sich der 23-Jährige, dass sein Bus schon an der Haltestelle steht und er gleich einsteigen kann. Nur knapp 20 Minuten wird die Fahrt dauern.
Etwa 20 weitere Nachtschwärmer haben in dem großen Gelenkbus bereits Platz genommen. Schlömer setzt sich entgegen der Fahrtrichtung in die erste Vierer-Sitzgruppe. Hinter sich hört er einen Mann mit dem Fahrer diskutieren. Auf den Inhalt des Gesprächs achtet er nicht. Wenige Sekunden später stürmt der Mann den Gang entlang an ihm vorbei. „Kommen Sie sofort zurück!“, ruft der Busfahrer dem Mann hinterher. Dieser macht kehrt. Schlömer dreht sich um. Fahrer und Fahrgast streiten jetzt lautstark. „Dich nehme ich nicht mit!“, schreit der Fahrer.

Plötzlich steht ein weiterer Angestellter des Busunternehmens in der Tür. Zunächst versucht er zu schlichten, dann macht er klare Ansagen: „Du da, raus mit dir!“, weist er den Fahrgast aus dem Bus. Tatsächlich steigt der Mann ohne Widerrede aus. „Und du, du fährst jetzt einfach los!“, lautet die ebenso strikte Anweisung an den Fahrer. Gleich darauf schließen sich die Türen, das Fahrzeug rollt an. Schlömer ist froh, er will endlich nach Hause.

Der Busfahrer ist ohnmächtig geworden 

Etwa 500 Meter weiter, am Hansemannplatz, hört er eine Frau aufschreien. „Mist“, denkt Schlömer. „Noch mehr Randale.“ Er schaut sich erneut um und sieht eine Szene wie aus einem Katastrophenfilm. Der Busfahrer ist vornübergekippt, sein Kopf liegt auf dem Lenkrad. Eine Frau steht schräg neben ihm, beugt sich, so weit sie kann, über die hüft­hohe Schranke, die den Sitz des Fahrers vom Gang trennt. Mit beiden Händen hält sie das große Lenkrad gepackt, versucht krampfhaft, den schweren Bus in der Spur zu halten.

Denn der fährt einfach weiter geradeaus – der bewusstlose Fahrer hat offensichtlich den Fuß noch auf dem Gaspedal. Schlömer springt auf. Mit zwei Schritten ist er neben der Hel­ferin. Er weiß, Busse im öffentlichen Nahverkehr haben Automatikgetriebe. Wo auf dem Armaturenbrett ist der Knopf für N wie Neutral, also Leerlauf? Da! Der junge Mann findet eine Lücke zwischen Helferin und Fahrer, drückt den roten Knopf. Jetzt ist die Verbindung zwischen Gaspedal und Antrieb unterbrochen. Aber noch rollt der Bus, halb auf der Gegenfahrbahn. Schlömer schaut nach vorn. Die Straße liegt im Dunkel, ihnen kommt kein Fahrzeug entgegen.

Endlich steht der Bus 

Endlich wird der Bus langsamer, bleibt schließlich stehen. Schlömer atmet durch. Er hört, wie sich eine der hinteren Türen öffnet. Jemand muss die Notentriegelung betätigt haben. Einige Fahrgäste steigen aus. Andere kommen nach vorn. Einer zückt sein Handy, wählt die 112. „Stell auf Lautsprecher“, fordert Schlömer den Mann auf. Als aus­gebildeter Rettungshelfer weiß er, welche Informationen die Leitstelle benötigt. „Der Bus steht. Der Fahrer ist bewusstlos, hat Schaum vor dem Mund und Schnappatmung“, sagt er laut. „Reanimieren. Sofort“, kommt die Antwort.
Mit der Frau, die eben noch den Bus gesteuert hat, und zwei weiteren Helfern zerrt Schlömer den Fahrer vom Sitz. Sie legen ihn im Gang auf den Rücken. Schlömer platziert seine verschränkten Hände auf dem Brustkorb des Leblosen. Pressen. Loslassen. Pressen. Loslassen. Eine junge Frau kommt hinzu. „Ich bin Medizinstudentin“, sagt sie und beginnt mit der Mund-zu-Mund-Beatmung. Nach ein paar Minuten tauschen Schlömer und die Studentin die Plätze.

Endlich ist das Martinshorn zu hören, dann stehen zwei Sanitäter neben Schlömer. Der 23-Jährige will Platz machen, da drückt ihm einer der beiden einen Beatmungsbeutel gegen die Brust. Schlömer weiß, was zu tun ist: Er legt die Maske über Nase und Mund des Ohnmächtigen und drückt Luft aus dem Beutel in dessen Atemwege. Als der Patient im Rettungswagen liegt, darf Schlömer heimgehen. Um halb zwei Uhr ist er schließlich zu Hause.

Einige Wochen später erfährt der Retter zufällig, dass der Mann alles gut überstanden hat. Was den Zusammenbruch des Fahrers ausgelöst hat, ob der Streit im Vorfeld eine Rolle gespielt hat, weiß Schlömer nicht. Er ist einfach nur froh, dass er einem anderen Menschen in Not helfen konnte. Das will er in Zukunft auch beruflich machen. Als Schlömer im Herbst 2020 die Rettungsmedaille des Landes Nordrhein-Westfalen überreicht bekommt, steht für ihn fest: Er wird jetzt Feuerwehrmann!