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Autor: Peter Hummel

Rettender Sprung in den kalten Lech

Drei Frauen drohen im eiskalten Lech in Augsburg zu ertrinken. Paul Blachut springt in den Fluss, um sie zu retten.

Paul Blachut

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©© Peter Hummel

Aus dem Zapfhahn läuft das Bier golden ins Glas, die Flasche mit Apfelschorle zischt beim Öffnen, und die Kaffeemaschine mahlt geräuschvoll die Bohnen für einen Milchkaffee. Paul Blachut hat hinter der Theke des Ausflugslokals Floßlände in Augsburg gut zu tun. Die Temperaturen sind an diesem Sonntag im Mai frühsommerlich, viele Radfahrer und Spaziergänger sind am späten Nachmittag hierher an den Lech gekommen.

Von seinem Arbeitsplatz aus hat der 24-jährige Kellner Sicht auf den Fluss. Zwischen Lokal und Ufer liegen etwa 20 Meter mit großen Steinstufen, auf denen die Gäste sitzen. In den Wochen zuvor hat es stark geregnet. Das Wasser strömt deshalb sehr schnell durch das Flussbett, das vor dem Gasthaus eine S-Kurve beschreibt. Rechts und links entlang der Ufer grillen Jugendliche, manche spielen Federball. Kinder werfen Steine ins Wasser und einige Erholungssuchende kühlen die Füße in Ufernähe, wo das Wasser langsam fließt. Das Schmelzwasser aus den Alpen, das der Lech um diese Jahreszeit führt, ist sehr kalt. „Bitte zwei alkoholfreie Weizenbiere“, gibt eine Frau ihre Bestellung auf, und Paul Blachut öffnet das Kühlfach unter der Theke, um die Flaschen herauszuholen.

Wie schnell der Lech fließt, sieht man ihm nicht unbedingt an

Auf einer Kiesbank, etwa 50 Meter südlich der Gaststätte, vergnügt sich unterdessen eine Familie. Die Mutter und die beiden Töchter im Teenageralter tragen lange Kleider. Sie tollen mit einem aufblasbaren Schwimmreifen herum. Das Wasser spielt um die Füße von Mutter und Töchtern, sie jauchzen und lassen sich abwechselnd im Reifen sitzend ein paar Meter treiben. Was sie wegen der Trübung des aufgewühlten Wassers nicht sehen können: Der Kiesstreifen, auf dem sie stehen, ist schmal. Nur wenig weiter in den Fluss hinein fällt sein Bett steil ab.

Die Mutter sitzt gerade im Reifen, als ihre Töchter einen Schritt zu weit gehen. Plötzlich haben sie keinen Boden mehr unter den Füßen, werden von der Strömung erfasst. Verzweifelt greifen sie nach dem Reifen und bringen ihn zum Kippen. Nun treiben alle drei Frauen in der Strömung. In Sekunden saugen sich ihre Kleider voll Wasser und ziehen sie nach unten.

Die Kleider der Frauen saugen sich voll, ziehen sie nach unten 

Welches Drama sich da abspielt, erfährt Paul Blachut von einem Gast, der die Stufen zum Lokal hinauf eilt und ruft: „Ich glaube, dass im Lech gerade drei Leute ertrinken.“ Der Kellner schaut zum Fluss. Ein Schwimmreifen dümpelt einsam in einer Bucht. Dann entdeckt er die drei Frauen in der Strömung. Sie fuchteln mit den Händen, schlagen ins Wasser – sie suchen Halt. „Lieber Himmel, warum hilft denen denn keiner? Warum kommt der Mann erst zu mir?“, schießt es dem 24-Jährigen durch den Kopf. Entsetzt sieht er, dass eine der Frauen immer wieder untergeht. Der 24-Jährige sprintet die Stufen zum Ufer hinunter, nimmt Handy, Geldbeutel und Schlüssel aus der Hosentasche, zieht das T-Shirt aus und springt kopfüber in den Lech. „Die Kälte war mir in diesem Moment egal“, sagt er, „ich wollte nur diese drei Frauen retten. Es war offensichtlich, dass sie nicht schwimmen und sich komplett bekleidet auch nicht selbst helfen konnten.“

Die Mutter treibt mit dem Kopf unter Wasser im Fluss

Er entscheidet sich, zuerst die Erwachsene zu retten. Ihr Kopf ist nun permanent unter Wasser. „Eigentlich holt man in einer solchen Situation zuerst die Kinder raus“, sagt Blachut, „aber mir war klar, dass die Mutter gerade am Ertrinken ist.“ Er erinnert sich an einen Film, in dem Rettungsschwimmer den Verunglückten die Arme auf den Bauch legen, diese von hinten greifen und dann auf dem Rücken schwimmend an Land ziehen. Genau das versucht er. Es gelingt ihm zunächst auch. Aber in den nassen Kleidern ist die Frau sehr schwer, Blachut wird selbst wieder und wieder unter Wasser gedrückt. „Ich musste notgedrungen meinen Plan ändern“, erzählt er. Er taucht unter die Ertrinkende, drückt sie mit Schwung nach oben und schleudert sie so Richtung Ufer. Ob es drei, vier oder fünf „Würfe“ waren, weiß der Retter nicht mehr. Aber irgendwann kommt ein anderer Mann ins Wasser, greift die Hand der Frau und zieht sie ganz an Land.

Jetzt rettet Paul Blachut um die bewusstlose Tochter

Blachut stürzt sich erneut in die Strömung, taucht stromabwärts und bekommt eine der Töchter zu fassen. Auch sie „wirft“ er Richtung Land. Aus den Augenwinkeln sieht er, dass sich eine Frau in einem grünen Kleid um den anderen Teenager kümmert. Zum Glück, denn die Jugendliche vor ihm ist bewusstlos. Sie atmet und hat einen Puls, aber reagiert nicht. „Man mag es kaum glauben, aber ich musste erst mal ein paar Gäste von unserer Terrasse vertreiben, um die Gerettete dort ablegen zu können“, erzählt der Kellner. Immerhin hat jemand den Notarzt gerufen, der nach wenigen Minuten eintrifft und sich um die bewusstlose junge Frau kümmert. Zum Glück ist sie bald darauf wieder auf den Beinen – wie ihre Schwester und ihre Mutter.

„Die ganze Rettungsaktion hat nur zwei oder drei Minuten gedauert“, sagt Blachut heute. Von den drei Frauen hat er nichts mehr gehört, aber das ist ihm auch nicht wichtig. Von seinem Chef bekam er ein dickes Lob: „Es ist toll, solche Mitarbeiter zu haben!“