Menschen

Autor: Monika Goetsch

Rettung dank Defibrilator und Herzmassage

Ein Mann bricht zusammen, sein Atem steht still. Dass er überlebt, verdankt er Markus Adler und Walter Wilhelm.

Markus Adler (rechts) und Walter Wilhelm

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©© Maik Kern

An einem Montagvormittag im Juni letzten Jahres treffen sich Markus Adler, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr in Sonthofen, und Walter Wilhelm, Leiter des Ordnungsamtes der Kreisstadt im Allgäu, in der örtlichen Markthalle. Hier soll ein paar Wochen später die Jahreshauptversammlung der Feuerwehr stattfinden. Verschoben vom Januar auf den Sommer wegen der Corona-Pandemie. Mehr als 100 Leute werden erwartet, es soll eine Brotzeit geben und Getränke. Aber diesmal ist alles ein bisschen anders: Abstände müssen eingehalten werden, eine Corona-Teststation versperrt den Haupteingang. Wird der Gabelstapler mit den Sitzbänken trotzdem durchkommen? Die beiden Männer nehmen alles in Augenschein. Rund 20 Minuten dauert die Begehung. Anschließend machen sich die Männer auf den Weg zur Arbeit. Adler, hauptberuflich Bereichsleiter der Johanniter, strebt ins Feuerwehrhaus. Dort befindet sich seit Pandemiebeginn sein Büro. Das von Wilhelm ist im benachbarten Rathaus.

Markus Adler legt sein Ohr an den Mund des Gestürzten. Da ist kein Atem

Als sie sich gerade verabschieden, geht ein etwa 50-jähriger Mann in Jeans, Hemd und leichter Jacke an ihnen vorbei. Er ist nur wenige Schritte entfernt, da bemerkt Adler, dass der Passant plötzlich zu krampfen beginnt. Im nächsten Moment fällt er nach vorn. Ohne auch nur den Versuch zu machen, sich abzufangen, geht er zu Boden, landet mit dem Gesicht auf dem Asphalt. Dem erfahrenen Notfallsanitäter Adler ist sofort klar: Das war kein Stolpern. Mit wenigen Schritten ist er bei dem Gestürzten, dreht ihn auf den Rücken. „Hallo, hören Sie mich?“, spricht er ihn an. Keine Reaktion.

Der Mann blutet aus mehreren Wunden im Gesicht. Adler fasst seinen Kopf und überstreckt ihn leicht, damit die Zunge den Atemweg nicht blockiert, hält sein Ohr an den Mund des Patienten: Kein Atem. „Er ist bewusstlos, hol Notfallrucksack und Defibrillator!“, ruft Adler Wilhelm zu. Dann zückt der 42-Jährige sein Handy und setzt einen Notruf ab.

Wilhelm ist seit einem halben Jahr selbst Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr. Der 52-Jährige sprintet zum Feuerwehrhaus, eilt durch die Halle zu den Löschgruppenfahrzeugen. Er weiß: Rettungsrucksack und Defibrillator sind im ersten Wagen. Adler hat unterdessen begonnen, den Bewusstlosen wiederzubeleben. Laien wird empfohlen, bei einer Herzdruckmassage dem Bee-Gees-Song Stayin’ Alive zu folgen. Adler braucht die Bee Gees nicht. Hundertmal pro Minute, dieser Rhythmus ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Bei jedem Stoß sinkt der Brustkorb unter seinen Handballen fünf Zentimeter tief ein. Wieder und wieder. Adler sieht, dass die Fenster des Gesundheitsamts offen stehen, nur einen Steinwurf entfernt. Laut ruft er um Hilfe. „Wir brauchen einen Defibrillator!“ Er kennt die Standorte dieser Geräte in Sonthofen und weiß, dass im Amt einer hängt.

Der Defibrilator leitet Ersthelfer Schritt für Schritt an

Doch Wilhelm ist schneller wieder vor Ort als die Mitarbeiter des Gesundheitsamts reagieren konnten. Er reicht Adler den Defibrillator. Wie die meisten Geräte verfügt auch dieses Exemplar über eine Sprachfunktion. Einmal eingeschaltet, leitet eine automatisierte Stimme den Ersthelfer Schritt für Schritt an. So kann jedermann damit Leben retten. „Elektroden anschließen“, ertönt die Anweisung. Adler beherrscht die nötigen Griffe im Schlaf. Er weiß: Steht das Herz des Patienten bereits still, kann nur die Herzdruckmassage helfen. Zuckt es noch in einem sogenannten Kammerflimmern, können Stromstöße die Rettung sein. 
„Herzrhythmus wird ausgewertet“, sagt die Stimme des Defibrillators. „Patienten nicht berühren!“ Adler rückt ein paar Zentimeter ab. Dann kommt die Anweisung: „Schock auslösen!“ Kammerflimmern also. Adler drückt die Taste. Insgesamt drei­mal fordert das Gerät, die Schocktaste zu drücken. Zwischendurch setzt Adler die Herzdruckmassage fort.

Vier Helfer wechseln sich bei den Wiederbelebungsmaßnahmen ab

Mittlerweile sind drei Mitarbeiterinnen des Gesundheitsamtes an seiner Seite. Wiederbelebung ist auf Dauer Schwerstarbeit. Darum wechselt Adler sich mit den Frauen ab. In einer seiner Pausen legt er dem Bewusstlosen einen Zugang für eine Infusion. Wilhelm versorgt den Mann derweil mit dem Beatmungsbeutel aus dem Notfallrucksack mit Luft. Zehn, zwölf Minuten nach Beginn der Reanimation treffen Polizei, ein Rettungs- und ein Notarzteinsatzfahrzeug vor Ort ein. Der Notarzt übernimmt den Patienten, versorgt ihn und veranlasst, dass er ins Krankenhaus transportiert wird. Wilhelm und Adler machen sich wieder auf den Weg zu ihren Schreibtischen. Ganz so, als sei nichts Außergewöhnliches vorgefallen. Als hätten sie nicht gerade eben ein Menschenleben gerettet.

Ein paar Wochen später hören die beiden, dass der Patient ohne Folgeschäden aus der Klinik in die Reha entlassen werden konnte. „Zu wissen, dass man das Richtige getan und es zu einem guten Ende geführt hat, ist ein gutes Gefühl“, sagt Wilhelm. Adler ergänzt: „Jeder kann und sollte in solchen Fällen helfen. Um einen Defibrillator einzusetzen, benötigen Sie keine Ausbildung. Helfen ist einfach Bürgerpflicht.“