Reise

Autor: David Krenz

Die Elbe: ein blaues Wunder von 1094 Kilometern Länge

Auf ihrer langen Reise vom tschechischen Riesengebirge zur Nordsee passiert die Elbe faszinierende Landschaften, Welterbestätten und fünf Bundesländer.

Elbe bei Bad Schandau im Elbsandsteingebirge

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©istockfoto.com / LightFieldStudios

So jung und schon voller Tatendrang: Kaum ist die Elbe den Mooren des Riesengebirges entsprungen, rauscht sie bereits durch ein gewundenes Tal zwischen böhmischen Bergen, strömt an der Felskulisse der Sächsischen Schweiz sowie an Schloss Pillnitz mit seinem Lustgarten vorbei – und erlebt in Dresden ihr „Blaues Wunder“. Diesen Namen trägt eine blau gestrichene, historische Stahlbrücke, die diesen Fluss wie eine Hängebrücke, also ohne stehende Pfeiler, überspannt.

Als blaues Wunder darf auch die Elbe selbst gelten. Auf ihren 1094 Kilometern bis zur Nordsee passiert sie Gebirgsdurchbrüche, Welterbestätten und fünf Bundesländer. Dabei verläuft der Fluss – anders als viele vergleichbare Ströme – in weiten Teilen unbegradigt, ungezähmt und an den Ufern unbebaut. So prägen sattgrüne Auen, weite Marschen und knorrige uralte Bäume den Charakter der Flusslandschaft. Entlang der Elbe eröffnen sich auch immer wieder spektakuläre Stadtansichten. Dresden zum Beispiel. Die Kuppel der Frauenkirche und weitere Türme der sächsischen Hauptstadt spiegeln sich im Flusswasser – ein malerisches Bild. Das dachte vor 275 Jahren auch der venezianische Künstler Bernardo Bellotto, Canaletto genannt, der Fluss und Altstadtsilhouette auf Leinwand bannte. Als Canaletto-Blick wurde diese Ansicht weltberühmt. Das Werk hängt in der renommierten Gemäldegalerie Alte Meister im Dresdner Zwinger – und in Roberto Preußers Wohnzimmer. Der 60-Jährige hat Canalettos Bild eins zu eins nachgemalt. „Die Leinwand habe ich mir nach Originalmaßen fertigen lassen“, erzählt er. Vier aufreibende Jahre hat der Berufsmaler, der normalerweise Fassaden und Zimmer streicht, in sein Bild gesteckt. Dem feinen Pinselstrich widmet er sich in seiner Freizeit. 

Canaletto mischte viele Farben in das Blau der Elbe

Als Kind nahm ihn sein Onkel oft mit in die Gemäldegalerie. „An Rubens und Rembrandt bin ich vorbeigelaufen, ich habe immer wieder den Canaletto gesucht“, sagt Roberto Preußer. Das Bild habe sich in ihn „reingefressen“. Er schwärme für die Epoche, den Barock, vor allem aber versammle das Gemälde alles, was Dresden für ihn ausmache. „Die Architektur, die Künste, der Fluss.“ Mit Mitte 50 fühlte er sich in seinem malerischen Können weit genug, um sich an den Canaletto zu wagen. Erst zeichnete er auf ein Foto des Originals ein Raster. Dann übertrug er jedes dieser Kästchen auf die Leinwand. Um alle Feinheiten zu erfassen, studierte er das Original weitere Male im Detail. „Dadurch habe ich noch mehr Ehrfurcht vor Canaletto gewonnen“, sagt er. „Die Elbe hat er nicht einfach blau gemalt, sondern hat Braun, Orange, Gelb, Ocker und das dunkle Umbra hineingemischt.“

Zuletzt tupfte Roberto Preußer den Faltenwurf des roten Gewands einer Frauenfigur im Vordergrund, dann war er fertig. „Ferdsch!“, wie er als Sachse sagt. Ihm liefen die Tränen, „eine Last war abgefallen“. Er wählte einen teuren Goldrahmen, schließlich symbolisiert das Bild seine Liebe zu Canaletto, zum barocken Glanz – und vor allem zu Dresden. „Ich bin sehr heimatverbunden“, sagt er, „mich würdest du hier nicht wegkriegen.“

Reisende folgen indes dem Lauf der Elbe. Im Frühjahr am besten auf dem Elbradweg, wenn die Sonne den Nacken kitzelt. In den Elbauen sprießen dann bunte Blüten, darüber ragen die Weinterrassen der Elbhangwinzer auf. Eine Fahrradstunde hinter Dresden strebt ein mächtiger gotischer Dom himmelwärts. Er gehört zur Residenzstadt Meißen. Dort lohnt der Besuch der Manufaktur, die seit drei Jahrhunderten Teegeschirr, Teller und Figuren aus dem Weißem Gold fertigt. Die Marke „Meissener Porzellan“ hat Liebhaber in aller Welt. Mit der Industrialisierung siedelten sich am Elbufer große Fabriken an, für Papier, Chemie, Stahl. Die Abwässer strömten lange ungefiltert in die Elbe. Sie stank, galt zu DDR-Zeiten als schmutzigster Fluss Europas und als biologisch tot. Mit der Wende standen viele der Industriestätten plötzlich still, gleichzeitig wurden etliche Großklärwerke gebaut. Innerhalb weniger Jahre konnte sich der Fluss erholen. Sie ist eben ein blaues Wunder, die Elbe.

Das mittlere Elbtal hat den Biber gerettet

Der Fluss hat sogar den Biber gerettet. Einst galt er in Europa fast als ausgerottet. Der Nager hatte nur ein letztes Rückzugsgebiet an der mittleren Elbe, wo das Ökosystem weitgehend intakt geblieben war und man 1919 noch 200 Tiere zählte. Seit 1979 wird der gut 300 Kilometer lange Flussabschnitt als Biosphärenreservat Mittelelbe streng geschützt, die Biber konnten sich seither prächtig vermehren. Heute leben im Reservat 1200 Exemplare. Viele weitere konnten sich von der Elbe aus andere Flüsse erschließen oder wurden umgesiedelt. Näheres zur Rückkehr der fleißigen Baumeister verrät das Auenhaus. Das Infozentrum liegt in Sachsen-Anhalt zwischen den Welterbestätten Bauhaus Dessau und Gartenreich Dessau-Wörlitz. Eine begehbare Biberburg und Stationen zum Spielen und Staunen vermitteln die faszinierende Natur der mittleren Elbe. Neben Radfahrern kämen auch gerne Schulklassen, sagt Raphaela Groh, Mitarbeiterin im Auenhaus. „Alle wollen den Biber sehen und sind dann erstaunt, wie groß das Tier ist.“ Die bis zu 25 Kilogramm schweren Nager lassen sich in der Freianlage besichtigen, außerdem – mit etwas Glück und am besten zur Dämmerung – in den umliegenden Wasserwäldern.

In Hamburg empfängt die Elbe Schiffe aus aller Welt

Auch ohne Sichtung bleibt die Landschaft ein Erlebnis. Raphaela Groh schwärmt von den vielen natürlichen Flussschlingen, von seltenen Teichrosen, quakenden Moorfröschen und dem Eisvogel, „unserem Juwel“. Wann immer sie Zeit finde, spaziere sie am Elbufer. Die Mittdreißigerin sagt: „Ich habe mein Herz an die Biosphäre verloren.“ Weiter stromabwärts zeigt die Elbe abermals, weshalb man sie nicht nur für Naturschauspiele, sondern auch als Kulturlandschaft rühmt. Zwischen Sachsen-Anhalt und Brandenburg reihen sich historische Sehenswürdigkeiten aneinander. In Magdeburg lockt der Dom, über Schilf und Feuchtwiesen der Auen hinweg blitzen die markanten Doppeltürme der Klosterstadt Jerichow auf, und in Tangermünde trutzt über dem Elbufer eine 700 Jahre alte Stadtmauer.

100 Kilometer weiter nördlich liegt die sehenswerte Zitadelle Dömitz. Nahe der Wasserfestung lotst ein Naturlehrpfad durch Kiefernwald – und zu Europas größter Binnenwanderdüne. Schautafeln zeigen, wie schmelzende Gletscher der letzten Eiszeit das Urstromtal der Elbe schufen. Wanderer entdecken markante Schwarzpappeln und hinter dem Deich verstreute Bauernhäuser. Jeder Lärm scheint fern, nur der Wind säuselt leise. In der Schifferstadt Lauenburg hat der Fluss im Lauf der Jahrhunderte ein Steilufer gegraben. Und dann ist schon der Ostzipfel der Millionenmetropole Hamburg erreicht, Heimat des drittgrößten Hafens Europas. Fast 9000 Containerschiffe laufen dort jährlich ein.

In Cuxhaven schließlich, wo die Elbe in die Nordsee fließt, wartet eine alte Liebe. Genauer, die „Alte Liebe“, ein ehemaliger Pier im Stadthafen. Sie dient heute als Aussichtsplattform. Ausflugsschiffe schippern zu Seehundbänken, zur Hochseeinsel Helgoland und durch die Schleusen des Nord-Ostsee-Kanals. Von der Mündung der Elbe lässt es sich problemlos zu vielen weiteren blauen Wundern aufbrechen.

 

Tipps Entlang der Elbe

Binnendüne

Die Binnendüne in der Elbtalaue bei Dömitz in Mecklenburg-Vorpommern ist zwei Kilometer lang und bis zu 40 Meter hoch. Das macht sie europaweit zur größten ihrer Art. Wanderer können sich das Gebiet über einen Dünenlehrpfad erschließen.

www.doemitz.de/tourismus-und-service/sehen/binnenduene/

 

Gartenreich

Das Gartenreich Dessau-Wörlitz erstreckt sich auf 142 Quadratkilometern entlang der Elbe und versammelt sehenswerte Schlösser, Türme und Parkanlagen, darunter den weltberühmten Landschaftsgarten Wörlitzer Park. Von Mai bis September bietet die Welterbestätte mit dem „Gartenreichsommer“ ein üppiges Programm mit Seekonzerten, Festwochen und Freilichttheater.

welterbe-gartenreich.de

 

Jahrtausendturm

Wer durch Magdeburg bummelt, sollte nach dem 60 Meter hohen Jahrtausendturm Ausschau halten, der als Museum von 6000 Jahren Technikgeschichte erzählt. Erfindungen wie die Fußbodenheizung der Römer und Isaac Newtons Spiegelteleskop lassen sich entdecken und ausprobieren. Der Turm steht im Magdeburger Elbauenpark, einem beliebten Ausflugsziel mit Schmetterlingshaus, Streichelgehege und Sommerrodelbahn.

elbauenpark.de

 

Kirnitzschtalbahn

In der Nähe des Elbe-Fähranlegers in Bad Schandau im Elbsandsteingebirge können Besucher eine quietschgelbe Straßenbahn besteigen: Die Kirnitzschtalbahn rattert bereits seit 1898 ganzjährig zwischen Felsen und an einem Bach entlang, führt zu Wasserfällen und Wanderwegen.

ovps.de

 

Stranderlebnis

Wer in Hamburg Erholung sucht, kann sich von der Hafenfähre der Linie 62 bis nach Övelgönne schippern lassen. Der dortige Elbestrand lädt zum Spazieren, Sonnenbaden und Picknicken ein. Hafenkräne sowie Kreuzfahrt- und Containerschiffe sorgen für ein einzigartiges Panorama. Kultstatus genießt das Ausflugslokal „Strandperle“ mit Kiosk und Sonnenterrasse.

strandperle-hamburg.de

 

Wrackmuseum

Haushohe Wellen, eisige Stürme, schäumende Gischt: Es gab eine Zeit, da war Hochseefischer der wohl gefährlichste Beruf der Welt. Von dieser Epoche, dramatischen Schiffbrüchen und den Extremen der Seefahrt erzählt anschaulich das Cuxhavener Wrackmuseum.

windstaerke10.net

 

Weisse Flotte

Die historischen Elbedampfer fahren von Dresden flussabwärts zu den Weinbergen Meißens und aufwärts zu den Felsen des Elbsandsteingebirges. Neben täglichen Linienfahrten gibt es Thementouren, zum Beispiel für Schlagerfans oder zur Schleuse bei der Burgruine Schreckenstein. An Bord werden kulinarische Hits wie Dresdner Eierschecke und Weißwein von Schloss Wackerbarth serviert.

saechsische-dampfschifffahrt.de