Reise

Autor: Dorothee Fauth

Kleines Bodensee-Paradies

Auf der idyllischen Halbinsel Höri im westlichen Bodensee teilen sich Mensch und Tier die Natur.

Kleines Bodensee-Paradies

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©istockfoto.com / Sjo

Am Ende seiner Schöpfung soll Gott – so erzählt der Volksmund – im breitesten Alemannisch gesagt haben: „Jetzt hör i uff.“ Sein letzter Akt war eine kleine Halbinsel, die er in die Arme eines fast mediterranen Klimas legte. Eine nette Geschichte für die Höri, die sich in den westlichen Bodensee hineinschiebt. Der heißt hier Untersee. Sein Südufer stößt an die Schweiz, und im Westen entlässt er den Rhein, der den Bodensee durchfließt, in die weite Welt.

Die Höri reicht von Radolfzell bis Öhningen. Schon die Anfahrt ist ein vielversprechender Auftakt. Sie führt über eine Allee aus Schwarzpappeln durchs Radolfzeller Aachried. Störche staksen über Wiesen. Mensch und Natur teilen sich die Halbinsel, wobei der größte Teil unter Naturschutz steht. An den Ufern wechseln sich Strandbäder, kleine Häfen und Dörfer mit ausgedehnten, unzugänglichen Schilfgürteln ab. Im Frühjahr brüten dort Haubentaucher, Blässhühner und Schnatterenten. Vor allem aber dienen die Naturräume Zugvögeln als Rast- und Überwinterungsplätze.

Am Bodenseeradweg informieren Tafeln über dieses Zusammenspiel. Im Sommer ist das Fahrrad das beste Fortbewegungsmittel auf der Höri, und wer mit dem E-Bike unterwegs ist, kommt damit auch locker über den Schienerberg. Zwischen diesem bewaldeten Höhenzug und dem Wasser erstrecken sich die Obstgärten, Felder und feuchten Mähwiesen der Halbinsel.

Im Herbst und Winter hat die Höri-Bülle ihren Auftritt 

Ab April blühen die Obstbäume an den Hängen. Ein Meer an strubbeligen Flockenblumen färbt die Uferwiesen im Sommer lila, während auf den Feldern Erdbeeren reifen und von Artischocken bis Zucchini fast alles gedeiht, was es an Gemüse gibt – als würde der Schöpfer persönlich mitgärtnern.

Die Höri ist die kleine Schwester der Gemüseinsel Reichenau, die in Sichtweite im Untersee liegt. Allerdings wird die Höri-Ernte überwiegend direkt vermarktet. So stößt man auf Schritt und Tritt auf Hofläden, Hofcafés und Straßenstände. Zwischen September und März hat eine Zwiebel ihren großen Auftritt: die Höri-Bülle. Zwiebeln werden schon seit 1200 Jahren auf der Halbinsel angebaut. Doch diese spezielle rote Sorte zeichnet sich durch ein besonders feines, mildes Aroma aus. Dank ihrer flachen Form eignet sie sich zum Flechten von dekorativen Zöpfen, die man dann in den Läden, auf Märkten und dem Bülle-Fest in Moos am ersten Sonntag im Oktober erwerben kann.

Zwiebeln wuchsen auch im Blumen- und Selbstversorgergarten von Hermann Hesse. Er war einer der ersten von zahlreichen Künstlern, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf der Höri Zuflucht suchten – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Von 1904 bis 1912 lebte der Dichter in Gaienhofen. In der Idylle am See suchte er Ruhe, Einsamkeit und Inspiration und versuchte, ein bürgerliches Leben zu führen. Sein üppiger Garten am Mia-und-Hermann-Hesse-Haus voller duftender Blumen und Farben gehört heute zu den Sehnsuchtsorten auf der Höri. Und davon gibt es nicht wenige. Ein Stück weiter, in Hemmenhofen, steht ein Haus am Hang. Man kann sich einfach auf seine Terrasse setzen oder im kleinen Café einen Kuchen bestellen und den unbezahlbaren Ausblick genießen. Im hellen Licht des Nachmittags blinzelt funkelnd blau der See herauf. Der Wind hat ihm Schaumkronen aufgesetzt. Surfer mit bunten Segeln flitzen übers Wasser, am anderen Ufer erheben sich die sanften Hügel des Schweizer Seerückens. Hier möchte man am liebsten sofort Wurzeln schlagen.

Eher unfreiwillig tat das der Maler Otto Dix, der von 1936 bis zu seinem Tod in diesem Haus lebte. Die Idylle am Bodensee bezeichnete er als „ein Paradies, zum Kotzen schön. Ich stehe vor der Landschaft wie eine Kuh“. Der Professor an der Kunstakademie Dresden war von den Nazis entlassen worden, seine Werke wurden, wie die zahlreicher anderer Künstler, als entartet gebrandmarkt. Viele ließen sich wie Dix auf der Höri nieder, um gegebenenfalls schnell in die Schweiz fliehen zu können. Dass dem Maler in der Provinz seine gesellschaftskritischen Großstadtthemen abgingen, damit kam er nur schlecht zurecht. Doch es lohnt, sich von der Terrasse loszureißen und auf den Spuren der Künstlerfamilie durch das Dix-Haus zu streifen.

 

Es lohnt sich aber auch, die kleine, von außen unscheinbare Petruskirche am Ortsrand von Kattenhorn zu besuchen. Wer Glück hat, wie gerade ein Paar aus Ottobeuren, trifft Pfarrer Roland Klaus an und bekommt spontan eine Führung. „Wow, ist das beeindruckend“, staunen die Eheleute angesichts der beiden großen Kirchenfenster. Diese sind von Otto Dix gestaltet. „Neun Höri-Maler wurden damals aufgefordert, Entwürfe für die Fenster einzureichen. Dann hat die Gemeinde anonym abgestimmt“, erzählt der Pfarrer. Zu sehen ist unter anderem ein übergroßer Hahn, Symbol der Verleugnung, der den hinter eine Mauer geduckten Petrus niederkräht. Und Jesus, wie er diesen wieder aufrichtet. „In den Fenstern steckt mehr Dix als Bibel“, erklärt Pfarrer Roland Klaus. „Für die einstige Koryphäre war die Höri ja ein schmerzhafter Abstieg.“ Und der Pfarrer weiß noch mehr: Viele Bilder, die Dix auf der Höri malte, tauschte er gegen Nahrungsmittel für seine Familie. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass noch so einige Originale auf den Dachböden der Bauernhäuser liegen.“ Roland Klaus bespielt mit seinen evangelischen Gottesdiensten die halbe Höri, und er hat, wovon andere Pfarrer nur träumen: volle Kirchen.

Die Bude voll – das trifft auch auf den „Grünen Baum“ in Moos zu. Die Höri bietet eine ungewöhnliche Dichte an ausgezeichneten Gasthäusern. Der „Grüne Baum“ ist eins davon. „Ganze Fische frisch vom Fang: Hecht, Wels, Felchen, Schleie“, steht auf einer Tafel am Eingang. Hubert Neidhart ist hier aufgewachsen und hat das Landgasthaus mit Fischgerichten überregional bekannt gemacht. Seine Lehr- und Wanderjahre führten ihn unter anderem in die Bretagne. Dort hat er gelernt, wie man eine Bouillabaisse zubereitet. Diese Fischsuppe müsste doch auch mit Bodenseefischen funktionieren, dachte er sich. Man lachte ihn aus. Doch längst ist seine Suppe legendär und „gehört wie Hesse zur Höri“, sagt er und grinst.

Die Küche der Höri ist ein Spiegelbild der Landschaft

Stolz präsentiert Hubert Neidhart seinen Gästen den Fang des Tages. 32 Fischarten gibt es im Bodensee, erklärt er. Hechte bis 13, Welse bis 60 Kilogramm schwer. In der Schutzgemeinschaft Bodenseefisch setzt er sich für nachhaltige Fangmethoden und Artenschutz ein. „Für einen Koch gibt es doch nichts Schöneres, als dort zu arbeiten, wo die Zutaten wachsen“, sagt er. „Wir leben hier in einem Schlaraffenland. Unsere Küche ist ein Spiegelbild dieser Landschaft, und das schmeckt man.“

Das bestätigt die Bodensee-Bouillabaisse – Löffel für Löffel. Nach französischer Art wird geröstetes Brot mit Sauce Rouille (rote Knoblauchpaste) bestrichen, darauf kommt geriebener Parmesan, und dann ab in die sämige Suppe damit. Abgerundet wird der Hochgenuss durch einen Salat mit Bülle-Vinaigrette. Da ist sie wieder, die Bülle, die in Essig und Öl zur Bestform aufläuft. „Roh schmeckt sie definitiv besser als gekocht“, sagt Hubert Neidhart.

Währenddessen legt sich die Dämmerung über die Höri. Der See liegt still und spiegelglatt da. Die Wasservögel haben sich wie Perlen auf einer Schnur zum Schlafen aufgereiht, und die untergehende Sonne knipst das Schweizer Ufer für ein paar Minuten an wie einen Lampion. Es ist ein kleines Paradies.

Tipps für die Höri

Genussradtour

„Rettich, Bülle und Salat“ heißt eine Radtour, bei der man die Höri mit allen Sinnen erlebt. Auf den 19 Kilometern wird ein Vier-Gänge-Menü aus regionalen Produkten in drei verschiedenen Restaurants serviert. Fahrrad-Verleihstationen gibt es in Moos, Gaienhofen und Öhningen.
www.gaienhofen.de/de/tourismus/aktiv-erleben/radfahren

 

Bodenseepfad

Neun Schautafeln informieren Spaziergänger auf dem 3,5 Kilometer langen Weg von Moos nach Iznang über Lebensräume am Bodenseeufer und die Vielfalt der Natur. In Moos befindet sich zudem eine Aussichtsplattform mit Blick über den Schilfgürtel und den See. Im Juli und August werden naturkundliche Solarbootexkursionen angeboten.
www.moos.de

 

Garten-Rendezvous

Am westlichen Bodensee öffnen im Frühjahr öffentliche und private Gärten ihre Pforten. Auch auf der Höri gehören von Radolfzell bis Stein am Rhein einige dazu, darunter Hermann Hesses prachtvoller Künstlergarten. Eine Radtour führt zu den schönsten Blumenparadiesen.
www.bodenseegaerten.eu/Gaerten/Garten-Rendezvous-Untersee

 

 

Kleinod am Rhein

Von Öhningen ist es nur ein Katzensprung in die Schweiz, etwa nach Stein am Rhein, wo der Rhein den Bodensee verlässt. Das Städtchen ist bekannt für seine wunderschöne Altstadt mit gut erhaltenen mittelalterlichen Fachwerkhäusern und bemalten Häuserfassaden. Hervorragend essen kann man auch.
tourismus.steinamrhein.ch/de

 

 

Lieblingsplatz

Es gibt viele Lieblingsplätze auf der Höri. Dazu gehört auch „s’Plätzle am See“. Das Café und Bistro mit Terrasse am Wasser liegt in Hemmenhofen und strahlt eine so mediterrane Atmosphäre aus, dass man sich das Mittelmeer fast sparen kann.
www.splaetzleamsee.de

 

Kunst in der Kirche

Die evangelische Petruskirche in Kattenhorn mit den von Otto Dix gestalteten Fenstern ist in den Sommermonaten tagsüber geöffnet, von November bis März an Wochenenden  und Festtagen. Führungen werden von April bis September angeboten.
www.evkirche-hoeri.de

 

Wärme im Winter

Die Bora-Saunalandschaft in Radolfzell ist die größte am Bodensee. Dort kann man in acht verschiedenen Saunen schwitzen und entspannen. Unerschrockene Gäste tauchen zur Abkühlung in den Bodensee ein – mit Blick auf die Höri.
www.bora-hotsparesort.de/active-relax/bora-sauna

www.halbinsel-hoeri.de