Reise

Autor: Simon Heptinstall

Sieben magische Pilgerrouten und wo sie verlaufen

Wanderabenteuer auf geschichtsträchtigen Pilgerrouten machen Spaß und erweitern den Horizont. Ganz gleich, ob Sie auf der Suche nach spiritueller Erlösung sind oder einfach nur den Alltagsstress hinter sich lassen und ein paar Tage in der freien Natur verbringen möchten.
Basilika San Gregorio Ostiense in Solarda, Spanien

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©istockfoto.com / Michael Warren
In allen Weltreligionen spielt das Pilgern eine wichtige Rolle, und schon seit Tausenden von Jahren be­suchen Reisende Kirchen, Tempel, Schreine und andere heilige Stätten.Auch heute noch sind Pilgerreisen bei Touristen und Wanderern beliebt: In vielen Ländern werden alte Pilgerwege wiederentdeckt, etwa in Japan, England und Italien. Tourismusbehörden werben so auch um weltliche Besucher. Mit Erfolg: Im Jahr 1985 wanderten etwa 1200 Menschen auf dem berühmten Jakobsweg im Nordwesten Spaniens. Bis 2022 stieg die Zahl auf fast 439 000 jährlich.
Für moderne Wanderer, die bedeutende religiöse Wahrzeichen besuchen möchten oder einfach nur gern durch schöne Dörfer, Wälder und Täler wandern, gibt es bequeme Unterkünfte, eine übersichtliche Beschilderung und praktische Apps. Die Wege ermög­li­chen eintägige Wanderungen ebenso wie monatelange Trekkingtouren. Wir stellen Ihnen einige der besten Pilgerrouten der Welt vor.



Jakobsweg
Spanien (Hauptweg)

Der Jakobsweg ist der bekannteste europäische Pilgerweg, jedes Jahr zieht er Hunderttausende Wanderer an. Es handelt sich dabei nicht um eine einzelne Route, sondern um ein weitverzweigtes Wegnetz, das sich unter anderem über Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland erstreckt.
Einige dieser Wege führen durch die französischen Pyrenäen oder entlang der Alpen. Alle haben jedoch dasselbe Ziel: die Kathedrale von Santiago de Compostela. Die bezaubernde mittelalterliche Stadt liegt in Galicien im äußersten Westen Spaniens, der von Wäldern und grünen Tälern geprägt ist.
In der Kathedrale befindet sich das Grab des Apostels Jakobus, das seit dem Mittelalter Besucher aus aller Welt anzieht. In der Zwischenzeit ist die spanische Hauptroute des Jakobswegs so beliebt, dass man vor der Kathedrale mitunter Schlange stehen muss. Auch kann es zu Engpässen in den Pilger-
unterkünften kommen, weshalb es ratsam ist, im Voraus zu buchen.


Olavsweg
Norwegen

Seit Hunderten von Jahren pilgern Menschen aus ganz Europa zum Schrein des Heiligen Olav im Nidarosdom in Trondheim. Die Stadt liegt an der norwegischen Westküste, etwa 350 Kilometer südlich des Polarkreises. Durch die Reformation im 16. Jahrhundert kam das Pilgern im protestantischen Norwegen zum Erliegen, weshalb der Olavsweg in Vergessenheit geriet. Rund 500 Jahre später hat die weltweite Popularität der spirituellen Wanderreisen die norwegischen Behörden jedoch dazu veranlasst, den Olavsweg mit der für Norwegen typischen Effizienz zu erneuern.
Der Hauptweg erstreckt sich über 640 Kilometer von Oslo nach Trondheim und ist gut beschildert. Er führt durch idyllische Dörfer und über einsame Hochebenen mit spektakulärer Aussicht. Entlang des Weges finden sich immer wieder große Steinhaufen, auf die Wanderer im Vorbeigehen kleine Steine legen – der symbolische Akt, eine Last abzuwerfen. Wanderkarten, Verpflegung und Übernachtungsmöglichkeiten gibt es in zahlreichen Pilgerzentren. In Herbergen erhalten Pilger einfache, gute Mahlzeiten, die häufig von Wirtsleuten in traditionellen Trachten serviert werden.


Via Francigena
England, Frankreich, Schweiz, Italien

Im europäischen Mittelalter war die ultimative christliche Pilgerreise eine Wanderung zur Grabstätte der Apostel Petrus und Paulus in Rom. Ausgehend von Canterbury im Südosten Englands machten sich Gläubige, die Geld und Zeit hatten, auf den Weg namens Via Francigena („der Weg, der von Frankreich kommt“). Damals war dies ein gewaltiges Unterfangen, bei dem es galt, zahlreichen Gefahren zu trotzen, darunter Räuber, Krankheiten, unwegsame Pfade und schlechtes Wetter. Auch heute noch ist die 3200 Kilometer lange Strecke, die über Bergpfade und Nebenstraßen führt, eine große Herausforderung.
Manche Pilger entscheiden sich für den leichteren Abschnitt der Via Francigena, der von der schweizerisch-italienischen Grenze nach Rom führt. Die Wanderung beginnt dann am Großen St. Bernhard-Pass in den Alpen und kann auch heute noch 50 Tage in Anspruch nehmen.
Manche Pilger entscheiden sich für noch kürzere Touren innerhalb dieses Abschnitts, die über alte Gebirgspfade und enge Landstraßen führen. Zu den Höhepunkten entlang des Weges gehören mittelalterliche Städte, das herrliche Apennin-Gebirge und die hügelige Landschaft der Toskana.
Im Laufe der Jahrhunderte nahm die Popularität der Via Francigena ab. Der Erfolg des Jakobsweges hat jedoch das Interesse an dem einst wichtigsten Pilgerweg Europas wiederbelebt: Im Jahr 2022 wanderten etwa 50 000 Menschen auf der Via Francigena.


Cuthbertsweg
Schottland, England

Die Überquerung des schmalen Gezeitendamms zum Kloster Lindisfarne auf der gleichnamigen Insel hat etwas Magisches. Die frühchristliche Kloster­anlage, die in England, etwa 90 Kilo­meter südöstlich der schottischen Hauptstadt Edinburgh, liegt, ist der krönende Abschluss einer spektakulären 100 Kilometer langen Wanderung durch die Region Scottish Borders.
Der Pilgerweg erinnert an den Heiligen Cuthbert, ein angelsächsischer Mönch, Bischof und Einsiedler aus dem 7. Jahrhundert. Er starb in einer abgelegenen Einsiedelei auf den unbewohnten Farne-Inseln, sein Leichnam wurde jedoch in Lindisfarne beigesetzt. Nach einem verheerenden Wikingerangriff im Jahr 793 wurden die Überreste des Bischofs ins Landesinnere gebracht. Cuthbert wurde zu einer mittelalterlichen Kultfigur für Pilger aus ganz Großbritannien, darunter auch für Alfred den Großen, König der Angelsachsen (848–899). Dieser behauptete, während seiner Kämpfe gegen die Wikinger durch eine Vision des Heiligen Cuthbert geleitet worden zu sein.
Heute beginnt der Cuthbertsweg bei einer Abtei aus dem 12. Jahrhundert im schottischen Melrose, wo Cuthbert aufwuchs. Die Pilger folgen Schildern mit dem Kreuz des Heiligen, die sie zu wundervollen Aussichtspunkten im hügeligen Grenzland bis zur eng­lischen Küste von Northumberland führen.


Weg zum Kloster Mont-Saint-Michel
Frankreich

Eine Wanderung durch die Normandie zum Kloster Mont-Saint-Michel ist ein wunderbares Erlebnis. Es gibt zwei traditionelle Hauptrouten zu der Klosterinsel im Westen Frankreichs: Die eine startet in Rouen und ist 360 Kilometer lang, die andere beginnt in Caen und umfasst 190 Kilometer.
Die mittelalterliche Benediktiner­abtei liegt umgeben von Sandbänken in einer weiten Bucht, in der, einer normannischen Redensart zufolge, die Flut „wie ein Pferd im Galopp“ auf die Küste trifft. Vor 1000 Jahren hatten die Pilger keine Gezeitentabellen zur Hand und vertrauten darauf, dass Gott sie auf ihrem Weg über das Watt beschützen würde. Nicht immer wurden ihre Gebete erhört, und so mancher Pilger wurde von der Flut erfasst. Auch heute noch wagen manche Wanderer bei Ebbe den Weg durch die Bucht. Sicherer ist es jedoch, sich dem beeindruckenden Klosterberg über die 760 Meter lange Betonbrücke zu nähern.


Via Coloniensis
Deutschland

Im mittelalterlichen Deutschland gab es zahlreiche Pilgerwege. Einer der interessantesten wurde für den modernen Wanderurlaub wiederentdeckt: Die Via Coloniensis führt über 240 Kilometer durch die sanften bewaldeten Hügel Westdeutschlands und macht gegen Ende einen kurzen Abstecher nach Luxemburg. Sie ist Teil des Jakobswegs und wird von Pilgern auf ihrem Weg nach Santiago de Compostela genutzt.
Die Route beginnt am Kölner Dom, eine der größten gotischen Kathedralen der Welt. Auf gut ausgeschilderten Wegen führt sie durch die Eifel und zahlreiche historische Städtchen wie Blankenheim oder Kronenburg. Sie endet am Dom St. Peter in Trier. Der Trierer Dom wurde im 4. Jahrhundert erbaut, nachdem der römische Kaiser Konstantin den Christen die Religionsfreiheit gewährt hatte – damit ist er die älteste erhaltene Kirche Deutschlands.


Shikoku-Pilgerweg
Japan

Shikoku, die kleinste der japanischen Hauptinseln, bietet eine Vielzahl an kulinarischen, kulturellen und landschaftlichen Erlebnissen, darunter den Shikoku Henro: eine Pilgerreise zu 88 Tempeln. Der buddhistische Mönch Kukai (774–835), posthum als Kobo Daishi bekannt geworden, wurde auf Shikoku geboren und soll viele der Tempel gegründet haben.
Die gesamte Strecke ist etwa 1200 Kilometer lang. Früher dauerte es einen bis zwei Monate, die Strecke zu Fuß zurückzulegen, wobei die Pilger in Shukubo genannten Tempelunterkünften entlang des Weges übernachteten. Heutzutage können Pilger einzelne Etappen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad zurücklegen. Es ist auch möglich, kürzere Streckenabschnitte mit weniger Tempeln zurückzulegen. Wenn die Gäste an einem Tempel ankommen, werden sie gebeten, die richtige Etikette zu befolgen, wie etwa ihre Hände und ihr Gesicht zu waschen und Räucherwerk anzuzünden.
Ein weiterer beliebter Wanderweg in Japan ist die 68 Kilometer lange Nakahechi-Route. Sie verbindet als Teil des jahrhundertealten Kumano-Kodo-Pilgerwegs auf der Hauptinsel Honshu zahlreiche buddhistische und shintoistische Schreine.