Gesundheit

Autor: Patricia Pearson

Beweglich bleiben trotz Arthrose

Zum ersten Mal spüren Sie es vielleicht im Yogakurs: Zieht es beim herabschauenden Hund in Ihren Handgelenken? Oder schmerzen Ihre Knie beim wöchentlichen Tennistraining bei jeder Drehung? Das könnte Arthrose sein.

Ein Arzt untersucht das Knie einer Frau, die unter Arthrose leidet.

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©istockfoto.com / ljubaphoto

Die Gelenkerkrankung tritt meist zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf. Arthrose entsteht meist nach jahrzehntelanger körperlicher Aktivität, die den Knorpel zwischen den Gelenken abnutzt. Der Knorpel ist ein gummiartiges Gewebe, das die Reibung zwischen den Knochen verhindert und wie ein Stoßdämpfer wirkt. Nach jahrelangem Verschleiß, nach einem Bruch oder einer Verrenkung, kann dieses Polster wie ein altes Gummiband hart und rissig werden. Das Gelenk entzündet sich und schmerzt. Daraus kann Arthritis entstehen. Der Begriff stammt aus dem Griechischen: arthron (Gelenk) und itis (Entzündung). Bei zwei Drittel der Menschen mit Gelenkschmerzen wird Arthrose, auch Osteoarthrose genannt, diagnostiziert. In Deutschland und Österreich leiden rund 6,4 Millionen Menschen an Arthrose, rund 780 000 an einer rheumatoiden Arthritis, einer Autoimmun­erkrankung. Aus bislang ungeklärten Gründen sind Frauen häufiger betroffen als Männer. Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation zufolge leiden weltweit 528 Millionen Menschen an Arthrose. Die Zahl wird in den kommenden Jahrzehnten weiter ansteigen, da die Bevölkerung immer älter wird.

Am häufigsten trifft es Knie, Finger, Daumen, Lendenwirbelsäule und Hüfte. Die Gelenke schwellen an oder knirschen. Manche Betroffene können nachts vor Schmerzen nicht schlafen. Vor allem morgens sind die Gelenke steif, das Bücken oder Öffnen eines Marmeladenglases fällt schwer. Aber zum Glück hat die Forschung, vor allem in den letzten Jahren, große Fortschritte gemacht.  

Schmerzen lindern

Ein gesundes Körpergewicht belastet die Gelenke weniger stark. Übergewicht zu vermeiden heißt, Sie reduzieren das Risiko, an Arthrose zu erkranken. Ärzte empfehlen oft als Erstes mehr Bewegung. Wenn Sie nicht bereits Sport treiben, sind schonende Aktivitäten wie Walking, Fahrradfahren oder Schwimmen ein idealer Einstieg. Bewegung beugt Steifheit vor und hält die Muskeln rund um die Gelenke geschmeidig. Auch Yoga kann Arthrose mildern, so die US-amerikanische Stiftung Arthritis Foundation. Deren Experten raten zudem zu Physiotherapie. Mit den Übungen, die Sie lernen, werden Sie beweglicher und stärken Ihre Muskeln, um die betroffenen Gelenke zu entlasten. Allerdings helfen Übungen nur bei leichten bis mittelschweren Symptomen. Die meisten Menschen werden die Schmerzen dadurch nicht los.

Rezeptfreie Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Naproxen lindern zwar den Schmerz und verringern die Steifheit kurzfristig, langfristig belasten die Medikamente aber den Magen. Auch Kortikoide in Tablettenform wie Prednison sollten wegen der starken Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Stimmungsschwankungen und Bluthochdruck nicht über einen längeren Zeitraum eingenommen werden. Manchen Patienten verschaffen Kortikoidinjektionen vorübergehend Linderung. Zwei neuere Studien der University of California, San Francisco, USA, und der Rosalind Franklin University of Medicine and Science, Chicago, USA, haben jedoch gezeigt, dass solche Injektionen das Fortschreiten der Arthrose möglicherweise beschleunigen.
Andere Ärzte empfehlen Hyaluronsäureinjektionen. Das Hyaluron schmiert den Knorpel wie Öl den Verbrennungsmotor. Laut einer Studie aus dem Jahr 2022 verlangsamen diese Injektionen das Fortschreiten der Krankheit aber nur kurzfristig. Die meisten Patienten profitieren von dieser Behandlung langfristig kaum bis gar nicht.

Zur Behandlung von Sehnenrissen und Gelenkverletzungen gibt es seit den 1980er-Jahren auch plättchenreiches Plasma. Dazu wird dem Patienten Blut abgenommen, mit Blutplättchen angereichert und anschließend wieder injiziert. Der Erfolg ist laut der Fachzeitschrift American Journal of Sports Medicine allerdings nicht überzeugend. Hierzu bedarf es weiterer umfangreicher Forschung, um die Wirkungsweise zu verbessern. Die bislang einzige anhaltende Therapie ist ein neues Gelenk – in Finger, Knie oder Hüfte. Weltweit lassen sich jedes Jahr Millionen Menschen operieren. Doch künstliche Gelenke haben einen entscheidenden Nachteil: Ihre Haltbarkeit ist auf rund 15 bis 20 Jahre begrenzt, sodass viele Ärzte sie meistens erst ab 60 empfehlen. 

Ein neues Knie

Ben Bebenroth, der Koch eines Restaurants mit eigener Landwirtschaft in Cleveland, Ohio, USA, wurde erst mit einem künstlichen Kniegelenk schmerzfrei. Er litt seit seinem 15. Lebensjahr an Arthrose, nachdem er sich bei einem Snowboard-Unfall das linke Knie verletzt hatte. Über viele Jahre nahm er rezeptfreie Schmerzmittel, um seinen aktiven Lebensstil beizubehalten: „25 Jahre lang habe ich die Schmerzen so in Schach gehalten“, sagt der heute 45-jährige ehemalige Marineoffizier. Bebenroth machte spezielle Übungen, achtete auf sein Gewicht und probierte auch Hyaluron- und Steroid­injektionen. Er ließ sogar drei Arthro­skopien (Schlüsselloch-Operationen) durchführen. Diese werden häufig empfohlen, wenn Verletzungen die Ursache der Arthrose sind. Doch nichts half. Schließlich erhielt er mit 40 Jahren ein künstliches Kniegelenk.

Der passionierte Koch weiß, dass er auch im rechten Knie Arthrose bekommen wird. Das lässt sich nicht vermeiden, wenn das verletzte Gelenk lange geschont und das andere überbelastet wurde. Doch bis dahin geht er gern zum Wandern und Snowboardfahren. Er meidet Zucker und Alkohol, ergänzt seine Ernährung mit entzündungshemmenden Gewürzen wie Kurkuma und Ingwer von seinem Bio-Bauernhof. Eine entzündungshemmende Diät mit Zutaten aus der Mittelmeerküche – Fisch, Nüsse, Bohnen, mageres Fleisch und viel Blattgemüse – ist erwiesenermaßen auch gut für die Gelenke. „Die Ernährungsweise ist entscheidend“, sagt Bebenroth. „Je weniger entzündungsfördernde Nahrung ich esse, desto besser geht es mir. Auch Dehn- und Bewegungsübungen sowie Medi­tation helfen. Ich kann inzwischen besser mit meinen Schmerzen umgehen und muss mich nicht immer mit etwas Süßem trösten.“

 

Neue Hoffnung

Forscher der Duke University in Durham, US-Bundesstaat North Carolina, haben womöglich einen Heilungsansatz gegen Arthrose gefunden. Noch in diesem Jahr soll eine klinische Studie mit einem Knie-Knorpelersatz auf Gelbasis starten, einem Material aus wasser­absorbierenden Polymeren. Körpereigene Stammzellen zeigen ebenfalls vielversprechende Erfolge: 2018 gelang es Forschern der Stanford University School of Medicine in Kalifornien, USA, Stammzellen aus dem Knochenmark von Erwachsenen zu isolieren – ein wichtiger Schritt hin zur Regeneration von Knorpelgewebe. „Wir vermuteten schon länger, dass es Knochenmark-Stammzellen gibt, aber wir waren uns nicht sicher“, berichtet Charles Chan, Assistenzprofessor für Chirurgie in Stanford. „Tatsächlich konnten wir unterschiedliche Zelltypen anhand ihres Oberflächenproteins differenzieren. Wir erhielten ungefähr 100 verschiedene Zelltypen.“ Um herauszufinden, wie sie sich entwickeln würden, implantierte man diese in Mäuse. Einige wurden zu Knochengewebe. Chan und seine Kollegen fanden heraus, dass sie das Wachstum von neuem Knorpel mit diesen Zellen beeinflussen konnten, indem sie diesen neue Informationen injizierten. In ihren Experimenten erzeugten sie eine Mikrofraktur, indem sie ein winziges Loch in das Knochengewebe bohrten: „Dies veranlasste die Stammzellen des Skeletts, Blutgerinnsel zu bilden“, erklärt Chan. „Normalerweise würde sich dieses Gewebe in Faserknorpel verwandeln, der wie ein Pflaster wirkt. Aber dieser ist nicht so elastisch und gleitfähig wie regenerierter Knorpel.“

Daraufhin fragte sich das Team um Prof. Chan, ob sich die chemischen Sig­nale zur Steuerung der Zellen ver­ändern ließen. „Unsere Idee war es, die Entwicklung der Zellen im Knorpel­stadium zu stoppen, bevor sie sich zu Knochen entwickeln“, erklärt Chan. Mit einem für für verschiedene Krebsarten zugelassen Mittel – Bevacizumab – starteten sie das Experiment. Und es funktionierte. Ihr Versuch an Labormäusen, und später an mensch­lichem Gelenkgewebe, das den Mäusen eingesetzt wurde, „ergab haltbares Knorpelgewebe“, sagt Chan. „Probanden, die dieses Gewebe erhielten,

hatten deutlich weniger Schmerzen, außerdem verbesserte sich ihre Beweglichkeit.“ Nun sammelt das Team Geld für klinische Studien am Menschen. Beginnen wollen sie mit der Arthrose in den Fingern. Läuft alles nach Plan, könnte es in absehbarer Zukunft ein injizier­bares Medikament geben, das nicht nur die Symptome der Arthrose lindert, sondern die Erkrankung heilt. 

Neue Therapien

Mittlerweile hat das Melbourne Stem Cell Research Centre in Australien eine Reihe von Versuchen mit Fett-Stammzellen zur Arthrose-Behandlung durchgeführt. Ähnliche Studien gibt es auch in Italien und Irland. Ziel ist es, das Knorpel- und Knochengewebe mit mesenchymalen Stammzellen (MSZ) zu erneuern. MSZ scheinen vielfältige positive Wirkungen zu haben: Sie lindern Entzündungen, die durch die Immunantwort des Körpers hervorgerufen werden, und lindern Nervenschmerzen. „Patienten unterziehen sich einer Mini-Liposuktion“, erklärt Studienleiter Julien Freitag, Facharzt für Muskel- und Skelett-Erkrankungen in Melbourne. In einem Labor wird aus den Fettzellen MSZ gewonnen, die anschließend in das Gelenk des Patienten injiziert werden. Sechs Monate später folgt eine zweite Injektion.

Obwohl man immer noch nicht genau weiß, wie diese Stammzellen ihre wundersame Wirkung entfalten, „zeigt unsere klinische Forschung der letzten neun Jahre unglaublich vielversprechende Ergebnisse“, sagt Freitag. Diese Arbeiten, die eine randomisierte kon­trollierte Studie und Daten aus aktuellen Fallgeschichten umfassen, zeigen einen Rückgang der Schmerzen und eine verbesserte Mobilität. „Wir sehen erhebliche Verbesserungen bei Patienten, egal, ob sie eine leichte, mittlere oder schwere Arthrose haben.“ Da auch andere Forschungszentren an Behandlungen arbeiten, ist es vorstellbar, dass innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre eine Therapie zugelassen wird. Dann werden Millionen Menschen, die unter Schmerzen gelitten haben, wieder schmerzfrei leben können.