Chronische Schmerzen: Diese Medikamente helfen
Mindestens jeder fünfte Europäer lebt mit chronischen Schmerzen, das heißt, diese halten länger als drei Monate an. Doch chronische Schmerzen müssen das Leben nicht bestimmen.

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1. Medizinische Behandlungen
Äußerliche Anwendung
Bei Schmerzen an der Hautoberfläche – etwa einem arthritischen Zehengelenk oder einer Nervenverletzung an der Fingerspitze – können medizinische Salben oder Gele helfen. Normalerweise enthalten sie ein lokales Anästhetikum oder ein nichtsteroidales Antirheumatikum (NSAR). Gegen tiefer liegende Schmerzen im Bewegungsapparat sind Wärme- oder Kältepackungen hilfreich. Vermeiden Sie jedoch den direkten Hautkontakt, warnt Dr. Bart Morlion, Leiter des Zentrums für Algologie und Schmerzmanagement am Universitätsklinikum UZ Leuven in Belgien. „Wickeln Sie die Wärme- oder Kältepackung in ein Handtuch. Eine zu lange Anwendung von Wärme oder Kälte kann Gewebeschäden verursachen. Deshalb empfehle ich dreimal täglich 15 Minuten.“
Rezeptfreie Medikamente
Aspirin, auch als Acetylsalicylsäure bekannt, entwickelte sich zum beliebtesten Schmerzmittel der Welt. Paracetamol ist heute das am häufigsten eingesetzte Medikament. Aspirin und Paracetamol verändern die Botschaft der chemischen Stoffe, die an der Wirbelsäule nach oben wandern und dem Gehirn mitteilen, dass wir Schmerzen haben.
Da beide Medikamente die wenigsten schädlichen Nebenwirkungen haben und gegen viele Arten von Schmerzen wirken, sollten sie das Mittel der Wahl sein, ehe man zu Stärkerem greift. Ausnahme: Ihr Arzt rät Ihnen wegen anderer Beschwerden wie einer Lebererkrankung davon ab.
Ibuprofen, das zu den NSAR gehört, ist chemisch ähnlich zusammengesetzt wie Aspirin, birgt aber größere Risiken, darunter Nierenschäden und Magen-Darm-Blutungen. Nehmen Sie das Mittel nur nach Rücksprache mit Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt ein – insbesondere, wenn Sie über 65 sind oder an Diabetes oder Bluthochdruck leiden. Seien Sie vorsichtig bei der Einnahme von Kombinationspräparaten. Je mehr Inhaltsstoffe ein Medikament enthält, desto größer ist die Gefahr von Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln. „Wenn Sie andere Medikamente nehmen, sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Apotheker darüber“, rät Dr. Morlion.
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Verschreibungspflichtige Medikamente
Bei stärkeren Schmerzen sind NSAR in höher dosierten verschreibungspflichtigen Varianten verfügbar (zum Beispiel gegen Arthrose, an der mehr als 40 Millionen Europäer leiden). Für chronische Schmerzen gibt es natürlich auch streng überwachte verschreibungspflichtige Medikamente wie Opioide. Je nach Schmerzart sind unterschiedliche Präparate nötig. Antiepileptika wie Gabapentin und Pregabalin beispielsweise werden häufig bei Schmerzen eingesetzt, die durch Schäden am Nervensystem entstehen, etwa bei einem durchtrennten Nerv oder bei Gürtelrose.
Rücken- und Gelenkinjektionen
Bei einigen Arten von Rückenschmerzen kann eine Blockade der Spinalnerven helfen. Dafür wird ein Langzeitanästhetikum in die Wirbelgelenke injiziert. Doch wie bei anderen Behandlungsarten hängt die Wirkung davon ab, was die Schmerzen verursacht. Bei Bandscheibenschmerzen eignet sich diese Methode nicht, aber bei Schmerzen in den Facettengelenken zwischen den Rückenwirbeln. Dr. Morlion setzt Injektionen zur Nervenblockade bei den Patienten mit chronischen Kopfschmerzen ein, die auf andere Behandlungen nicht angesprochen haben. Eine weitere Möglichkeit ist Botulinumtoxin, bekannt als Botox. Es kann Migräne verhindern, indem es die Weiterleitung von Schmerzsignalen blockiert. Gegen Arthritisschmerzen helfen gelegentliche Steroidinjektionen in die entzündeten Gelenke. All diese Methoden sorgen bei den meisten Menschen jedoch nur für eine vorübergehende Schmerzlinderung, die von einigen Wochen bis zu Monaten anhalten kann, ehe sie wiederholt werden müssen.
Nervenstimulation
Durch eine Rückenmarksstimulation (spinal cord stimulation, SCS) – ein Verfahren, das weltweit immer mehr Zuspruch findet – werden Schmerzsignale gehemmt. Über chirurgisch implantierte Elektroden werden elektrische Impulse an das Rückenmark gesandt. Die Methode kann bei manchen Beschwerden im Rücken oder den Gliedmaßen helfen, indem es Schmerzen durch ein Kribbeln ersetzt. SCS ist allerdings mit Risiken verbunden. So könnte eine implantierte Batterie auslaufen oder eine Infektion auftreten, da die Elektroden nicht ewig halten. Daneben gibt es auch eine neue, gezieltere Art der Stimulation, die Spinalganglienstimulation (dorsal root ganglion). Hier werden die Spinalganglien, eine Ansammlung von Nervenzellen im mittleren Bereich der Wirbelsäule, direkt stimuliert.
Weniger invasiv ist die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), bei der ein schwacher Stromreiz über die Haut verabreicht wird. Einigen Studien zufolge kann TENS das Schmerzempfinden bei einer Schultersehnenentzündung und bei Rückenschmerzen verringern, indem es die Nervensignale unterbricht. Lassen Sie sich jedoch vorher immer ärztlich beraten, ob TENS Ihnen helfen kann, insbesondere wenn Sie einen Herzschrittmacher tragen oder an Epilepsie oder tiefer Venenthrombose leiden.
2. Schmerzen bekämpfen
Kognitive Verhaltenstherapie
Da Schmerzen höchst unangenehm sind, können die Auswirkungen auf emotionaler Ebene ebenso bedrückend sein wie auf körperlicher. Strategien, die auf die Kontrolle dieser Reaktion abzielen – allen voran die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) –, können dafür sorgen, dass wir uns besser fühlen, so die britische klinische Psychologin Sue Webb. „Wenn man die emotionale Reaktion auf den Schmerz reduziert, ist es, als ob man dessen Lautstärke verringert“, erklärt sie. „KVT hilft Menschen zu verstehen, was ihnen widerfährt und wie sie gegensteuern können.“
Stress und Ängste verschlimmern körperliche Schmerzen. Statt sich selbst Vorwürfe zu machen, versuchen Sie, mitfühlender mit sich selbst zu sein und zu akzeptieren, dass Sie Ihr Bestes gegeben haben. Ein KVT-Therapeut kann Ihnen helfen, Ihre Denkmuster zu ändern, indem er Ihnen zeigt, wie Sie die Situation neu bewerten können.
Die Auswertung von 60 Studien der University of Utah, USA, hat ergeben, dass KVT und andere Psychotherapien, die körperorientiert sind, die Schmerzstärke bei Menschen, die Opioide einnahmen, verringern können. In den meisten Studien konnten die Teilnehmer außerdem die Opioidmenge reduzieren.
Meditation und Entspannung
Die Auswertung der Studien ergab außerdem, dass Achtsamkeitsmeditation zu den wirkungsvollsten Therapien der Schmerzlinderung gehört. Entspannungspraktiken können die Anspannung im Körper reduzieren, das sympathische Nervensystem beruhigen und das Gefühl von Kontrolle vermitteln. Aber es braucht Zeit, um eine der Techniken zu erlernen, wie man beispielsweise nach und nach bestimmte Muskeln entspannt oder sich einen friedlichen Ort vorstellt. Lassen Sie sich nicht entmutigen, wenn es nicht beim ersten Mal klappt. Auf manche Menschen wirken Musik, tiefes Atmen oder ätherische Öle entspannend. Finden Sie heraus, was bei Ihnen funktioniert.
Massage
Therapeutische Massagen können Schmerzen lindern, indem sie die Durchblutung verbessern und den Körper entspannen. Möglicherweise lindern sie auch Ängste, die Schmerzen zusätzlich verschlimmern. Einigen Untersuchungen zufolge eignen sie sich gut bei Verletzungen von Weichteilgewebe, Rücken-, Kopf- sowie Fibromyalgie-Schmerzen.
Akupunktur
Akupunktur beruht auf einem 2500 Jahre alten chinesischen Verfahren. Dabei werden dünne Nadeln in die Haut gestochen, um die Schmerzsignale der Nerven zu unterbrechen. Die Wirkung von Akupunktur ist wissenschaftlich nicht ausreichend belegt. Bis heute ist unklar, ob und wie genau Akupunktur auf den Körper wirkt. Denkbar ist, dass die Wirkung rein auf dem Placebo-Effekt beruht. Meistens sind mehrere Sitzungen nötig, ehe sich Resultate zeigen.
Cannabis
Medizinalcannabis rückt als potenzielles Schmerzmittel zunehmend in den Fokus, obwohl es bislang nur wenige Forschungsergebnisse gibt. Zudem wird es nicht als Mittel der ersten Wahl empfohlen. Das Imperial College London hat eine Forschungsgruppe (Cannabis als Medizin) ins Leben gerufen, um neue Therapien mit Cannabinoiden (CBD) gegen Schmerzen, Entzündungen und Krebs zu bewerten und zu entwickeln. In der Zwischenzeit experimentieren viele Menschen auf eigene Faust. Laut öffentlicher Gesundheitsdaten konsumierten mehr ältere als jüngere Europäer Cannabis. Eine dänische Umfrage von 2021 unter Personen, die statt verschreibungspflichtiger Medikamente Cannabis nahmen, ergab, dass sie dies hauptsächlich zur Schmerzlinderung taten.
3. Schmerzen vorbeugen
Regelmäßige körperliche Aktivität kann Schmerzen verhindern oder lindern. So steigert Bewegung das emotionale Wohlbefinden, setzt Endorphine frei und erhöht den Blutfluss und damit die Versorgung von Gelenken und Gewebe mit Nährstoffen. „Sport stärkt auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten“, erklärt Harriët Wittink, eine auf chronische Schmerzen spezialisierte Physiotherapeutin an der HU University of Applied Sciences Utrecht, Niederlanden.
Haben Sie Angst, dass Bewegung Ihre Schmerzen verschlimmert? Dann versuchen Sie schonendes Gehen oder wenig belastende Sportarten wie Tai Chi oder Aquagymnastik. Wenn Sie sich verletzt haben oder operiert wurden, kann Ihnen ein Physiotherapeut Übungen für zu Hause empfehlen, die Ihre Heilung unterstützen und Ihre Mobilität verbessern.