Faszinierend und wichtig: Faszien
Das Gewebe, das unseren Körper zusammenhält, spielt eine große Rolle für unsere Gesundheit.

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Faszien sind wohl das am häufigsten vorkommende Gewebe im Körper. Die exakte Menge wurde noch nicht gemessen, doch es liegt überall, stützt unsere Haut und umhüllt Muskeln, Nerven sowie Organe. Dennoch galt diese weiße, faserige Substanz bis vor Kurzem noch als so bedeutungslos für die Gesundheit, dass man ihr in der Anatomie keinerlei Beachtung schenkte.
„In zehn bis 15 Jahren wird uns dieser Ansatz so absurd erscheinen, als wenn man bei einer Untersuchung des Körpers einfach die Leber auslassen würde“, vermutet Carla Stecco von der Universität Padua, Italien. Die Professorin gilt als eine der weltweit führenden Expertinnen in der Faszienforschung. „Faszien durchziehen unseren gesamten Körper, da wäre es verrückt, dieses Gewebe und seine Rolle bei der Funktion unserer Muskeln, Organe und Haut oder auch bei der Entstehung von Krankheiten zu ignorieren“, betont Stecco.
Dank der Arbeit von Stecco und weiteren Forschern auf diesem Gebiet wissen wir mittlerweile, dass es sich bei Faszien nicht um ein unbewegliches Gerüst aus Kollagenfasern handelt, sondern vielmehr um eine komplexe Struktur, deren Aufgaben wir gerade erst entschlüsseln.
Fest steht, dass es nicht nur eine Art von Faszien gibt, sondern vier verschiedene, und dass jede unterschiedliche Eigenschaften sowie Rollen hat. Wir wissen, dass manche ein Nervensystem besitzen und andere wiederum Immunzellen. Sie können sich aus eigenem Antrieb zusammenziehen – etwa 30 Prozent der Muskelkraftübertragung wird von Faszien gesteuert und nicht von Muskeln –, und sie spielen eine Rolle bei der Wahrnehmung von Schmerzen sowie bei der Verortung unseres Körpers im Raum.
„Es gibt keinen Teil des Körpers, der nicht mit Faszien in Berührung kommt – und der nicht von ihnen beeinflusst wird“, weiß Alison Slater, Physiotherapeutin aus Sydney, Australien, die sich auf Faszien spezialisiert hat. „Sie sagen den Muskeln, was zu tun ist, wie schnell und mit welcher Intensität. In den Muskeln liegt die Kraft des Körpers – aber die Faszien sind das Gehirn.“
Steife Faszien könnten Schmerzen erklären
Unsere Faszien entwickeln sich nach der Geburt weiter, sobald wir anfangen zu krabbeln, aufstehen und schließlich laufen. „Sie verdichten sich mit den zunehmenden Anforderungen, die wir als Zweibeiner an sie stellen“, erklärt Slater. Bliebe das Gewebe für den Rest unseres Lebens gesund, würden wir es wohl nicht einmal bemerken. Wenn wir uns körperlich betätigen, gleiten die Faszienschichten geschmeidig übereinander – wir bewegen uns leicht und anmutig. Werden die Faszien jedoch geschädigt, verklebt deren Schmierung aus Hyaluronsäure zwischen den Schichten oder die Fasern selbst verhärten und verkleben: Die Bewegungen und wir selbst werden steifer.
Eine Funktionsstörung der Faszien erklärt möglicherweise auch Leiden, die Ärzte seit Jahren vor ein Rätsel stellen. Viel deutet heute darauf hin, dass in den Faszien die Ursache für unspezifische Rückenschmerzen liegt: Beschwerden, die nicht durch offensichtliche Verletzungen, Muskelverspannungen oder Bandscheibenprobleme hervorgerufen werden. Forscher der US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) entdeckten, dass die Faszien bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen in einem bestimmten Bereich um 20 Prozent steifer waren als bei schmerzfreien Probanden.
Anderen Schätzungen zufolge treten myofasziale Schmerzen bei etwa 30 Prozent der Menschen auf, die unter Muskel-Skelett-Schmerzen in Rücken, Nacken, Schulter, Hüfte und Becken oder unter häufigen Kopfschmerzen leiden. „Ich vermute, dass sich in den kommenden Jahren vieles, was wir heute noch auf Gelenke und Muskeln zurückführen, als Funktionsstörungen der Faszien herausstellen wird“, sagt Slater. Es gibt ferner die Vermutung, dass eine Entzündung des Fasziengewebes mit einer Reihe anderer Krankheiten zusammenhängt, deren Ursache heute noch nicht erforscht ist, wie Fibromyalgie, Reizdarmsyndrom oder Endometriose.
Auch eine Verbindung mit Krebs wird nicht ausgeschlossen. Nicht in Bezug auf eine Tumorbildung, sondern darauf, ob das umliegende Gewebe die Ausbreitung begünstigt oder auf die Behandlung anspricht. „Onkologen schauen sich mittlerweile die Faszien um einen Tumor an, um festzustellen, wie aggressiv ein Krebs sein könnte“, sagt Professorin Stecco. „Es ist auch möglich, dass Faszien bei der Zellkommunikation und der Bildung von Metastasen involviert sind.“
Mit den Jahren versteifen unsere Faszien, insbesondere im Rücken. Daher sollten wir vor allem mit zunehmendem Alter die Pflege unserer Faszien in unsere tägliche Routine aufnehmen – wie das Zähneputzen oder die regelmäßige Bewegung für ein gesundes Herz. Bei Frauen ist zudem der sinkende Östrogenspiegel nach der Menopause ein Faktor. „Vererbung kann ebenfalls eine Rolle spielen“, so Stecco. „Wir haben Fälle, bei denen ein Elternteil versteifte Faszien hat und die Kinder auch unter solchen Versteifungen leiden.“
Faszienpflege für die gesamte Gesundheit
Starkes Übergewicht, das die Hyaluronsäure in den Faszien verändert, ist ein weiterer Risikofaktor für vermehrte Steifheit und Schmerzen, ebenso wie emotionale Belastungen, die oft zu Muskelverspannungen führen und sich damit auch auf die Faszien auswirken. Der erste Schritt zur Selbsthilfe für gesunde Faszien sind Dehnübungen. Beim Dehnen wie in einer Yogaposition, die einige Minuten lang gehalten wird, verändern sich die Faszienzellen. Studien der NIH-Forscherin Helene Langevin zufolge führte ein zweistündiges Dehnen des Gewebes in Laborversuchen dazu, dass sich die Größe der Zellen verdoppelte. Die sogenannten Fibroblasten wurden zudem länger, flacher und entspannter. Allein schon bei einem fünfminütigen Dehnen gingen Entzündungen in den Faszien zurück, wie andere Untersuchungen zeigten.
Auch mit Faszienrollen lassen sich Verspannungen lösen. Langfristig scheinen sie zwar nicht dieselbe Wirkung zu haben wie statische Dehnübungen, sie beugen aber Verhärtungen vor, besonders nach dem Sport. „Dabei ist es wichtig, die Rolle richtig einzusetzen, nicht mit Gewalt, sondern so, dass ein sanfter, konstanter Druck entsteht – wie wenn man vorsichtig einen Kuchenteig ausrollt“, empfiehlt Slater.
Bewegen Sie sich regelmäßig. „Viele absolvieren morgens ihr Lauf- oder Trainingsprogramm, sitzen dann aber den Rest des Tages – das hilft den Faszien nicht“, meint Slater. Wechseln Sie also immer wieder die Position, stehen Sie auf und machen kurze Spaziergänge, um beweglich zu bleiben.
Und natürlich sollten Sie Ihre Faszien ernähren. Mit einer ausreichenden Flüssigkeits-zufuhr sorgen Sie für den Erhalt der Hyaluronsäure, die die Faszien schmiert. Laut Professorin Stecco hilft ihren Schmerzpatienten auch eine entzündungshemmende Ernährung: viel fetthaltiger Fisch, Obst, Gemüse, Vollkornprodukte und weniger Zucker, Fett, Alkohol und verarbeitete Lebensmittel.
„Wir sind gerade dabei zu lernen, dass eine Aufgabe der Faszien darin besteht, unsere Gesundheit zu erhalten. Damit das aber funktioniert, müssen wir uns um die Faszien selbst kümmern“, so Stecco. „Mit gesunden Faszien steigt unser körperliches – und geistiges – Wohlbefinden.“
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