Kampf den Superkeimen
Infektiöse Bakterien sind immer schwerer mit Antibiotika zu behandeln, weil sie Resistenzen entwickelt haben. Das bedroht Millionen von Menschen.
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Als der Ehemann von Steffanie Strathdee, Tom Patterson, im Urlaub erkrankte, konnte sie nicht ahnen, welch monatelanger Kampf um sein Leben vor ihnen lag.
Das Paar befand sich 2015 auf einer Kreuzfahrt auf dem Nil in Ägypten, als Patterson plötzlich starke Magenschmerzen bekam – die Folge eines Gallensteins, der einen Abszess in seinem Bauch verursacht hatte. Nachdem er in einer ägyptischen Klinik behandelt worden war, wo sich seine Symptome verschlimmerten, wurde Patterson nach Deutschland geflogen. Dort entdeckten die Ärzte, dass sein Abszess mit Acinetobacter baumannii durchsetzt war, einem multiresistenten Keim, umgangsprachlich auch Superkeim (engl. superbug) genannt – also einem Bakterium, das gegen praktisch alle Antibiotika resistent ist. Noch dazu handelt es sich dabei um einen Erreger, der Menschen mit geschwächtem Immunsystem befällt. „Es war erschreckend, und ich war schockiert“, sagt Strathdee. „Es fühlte sich wie ein grausamer Scherz an, denn ich bin Epidemiologin für Infektionskrankheiten und wurde von einer Superbug-Krise überrumpelt.“
Superkeime lösen schwer zu behandelnde Infektionen aus, die in der Regel durch einen Bakterienstamm verursacht werden, der eine Resistenz gegen verschiedene Arten von Antibiotika entwickelt hat. In einigen Fällen werden auch Viren, Parasiten oder Pilze als Superkeime bezeichnet, wenn sie nicht mehr auf antivirale, antiparasitäre oder antimykotische Behandlungen ansprechen, die allgemein als antimikrobielle Mittel bezeichnet werden. Diese antimikrobielle Resistenz (AMR) stellt ein wachsendes Problem für Fachleute im Gesundheitswesen und bei Infektionskrankheiten dar. Eine neue Studie, die im Magazin Lancet veröffentlicht wurde, schätzt, dass AMR bis zum Jahr 2050 bis zu zehn Millionen Todesfälle pro Jahr verursachen könnte.
Antibiotika gelten seit der Entdeckung des Penicillins im Jahr 1928 als Wundermittel. Sie wirken, indem sie Bakterien abtöten und deren Vermehrung verhindern, und haben viele moderne medizinische Verfahren möglich gemacht, darunter Operationen am offenen Herzen, Organtransplantationen und Krebsbehandlungen. Dank Antibiotika hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung des Menschen um mehr als 20 Jahre verlängert.
Aber Bakterien entwickeln sich ständig weiter, passen sich an und finden neue Wege, um zu überleben. Das ist ein natürlicher Prozess und etwas, womit Experten rechnen. Da wir jedoch immer mehr antimikrobielle Mittel verwenden und sie teilweise verantwortungslos einsetzen, wird dieser natürliche Prozess beschleunigt. „Und er verbreitet sich weiter. Beides ist größtenteils auf menschliche Faktoren zurückzuführen“, weiß Gisela Robles Aguilar, leitende Forscherin für die globale Krankheitslast an der University of Oxford, Großbritannien.
Da sich diese Superkeime immer weiter ausbreiten, haben wir auch immer weniger Möglichkeiten, sie zu bekämpfen, was dazu führen kann, dass Infektionen – selbst solche, die einst einfach zu behandeln schienen – viel gefährlicher werden. „Aufgrund der zunehmenden Resistenz verlieren wir langsam den Kampf gegen diese Mikroorganismen“, konstatiert Dr. Tomislav Meštrovic, außerordentlicher Professor der University of Washington, USA.
Glücklicherweise gibt es Hoffnung: Neue Behandlungsmöglichkeiten werden erforscht und man versucht, das Bewusstsein für die Chance zur Verlangsamung der Resistenz zu schärfen.
Da der Superkeim weiter wuchs, verschlechterte sich der Zustand von Patterson und er wurde nach San Diego, Kalifornien, in die Nähe der Heimatstadt des Paares gebracht. Tests sollten die allgemeine Empfindlichkeit von Pattersons Bakterien gegenüber einer Reihe von Antibiotika bestimmen. Das Bakterium Acinetobacter baumannii, mit dem er infiziert war, wies eine Null-Empfindlichkeit auf: Es war gegen jedes Antibiotikum resistent. Die Infektion konnte nicht bekämpft werden, ein Multiorganversagen setzte ein.
Doch Pattersons Frau gab die Hoffnung nicht auf. Sie fand eine Studie über die Phagentherapie als Behandlung für arzneimittelresistente Bakterien. Phagen sind Viren, die selektiv gegen bestimmte Bakterien vorgehen und diese abtöten. „Die Therapie ist in ehemaligen Sowjetblockländern wie Polen und der Republik Georgien seit Jahrzehnten etabliert“, sagt Strathdee. „Sie galt in westlichen Ländern aber bis vor Kurzem als Randwissenschaft.“ Strathdee, mehrere ihrer Kollegen sowie die Ärztinnen ihres Mannes machten sich an die Arbeit. Sie setzten sich mit einem biomedizinischen Forschungszentrum sowie einem Labor in Verbindung, um nach Phagen zu suchen, die auf Pattersons Bakterien abgestimmt werden konnten. Zudem mussten sie bei der US-Arzneimittelbehörde die Genehmigung für ihr Vorhaben einholen, denn zu jenem Zeitpunkt war die Phagentherpaie nur in Härtefällen erlaubt.
Ihre Bemühungen waren erfolgreich. Patterson erhielt einen individuellen intravenösen Phagencocktail und begann sich bereits kurz nach der ersten Dosis langsam zu erholen. Schließlich erwachte er aus dem Koma, in dem er mehr als drei Monate lang gelegen hatte.
Sein Fall, der 2017 in der Fachzeitschrift Antimicrobial Agents and Chemotherapy veröffentlicht wurde, hat in den westlichen Ländern erneut Interesse an der Phagentherapie hervorgerufen und wieder Hoffnung im Kampf gegen AMR geweckt. Seither sind in den USA, Kanada, Großbritannien, Australien, Belgien, Schweden, der Schweiz und Indien Phagentherapieprogramme und klinische Studien entstanden. Experten sind zuversichtlich, dass die Behandlungsform eine weitere Verteidigungslinie im Kampf gegen die antimikrobielle Resistenz sein wird.
Das Goldene Zeitalter der Antibiotika
Obwohl Penicillin bereits 1928 entdeckt wurde, war das Antibiotikum erst 1944 für den kommerziellen Einsatz verfügbar. Die folgenden zwei Jahrzehnte werden als das Goldene Zeitalter der Antibiotika bezeichnet, in dem deren Entdeckung und Herstellung relativ schnell vonstatten ging. Viele bemerkenswerte Medikamente kamen auf den Markt, darunter Streptomycin, das bei Tuberkulose eingesetzt wurde, und Tetracyclin, ein Breitbandantibiotikum gegen mehrere Bakterienarten. Doch fast genauso schnell wie die Antibiotika aufkamen, begannen die Bakterien, die damit bekämpft wurden, Wege zu finden, sich ihrer Wirkung zu entziehen. Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA), eine Staphylokokkenart, die gegen die meisten Antibiotika resistent ist und schwere Infektionen verursachen kann, stellt heute vor allem in Krankenhäusern eine bekannte Bedrohung dar. Der erste Fall von MRSA ereignete sich aber bereits 1961 – nur ungefähr zwei Jahre nach der Einführung von Methicillin als Antibiotikum.
„Bakterien verschaffen sich immer einen Vorteil, und dann müssen wir uns wieder anpassen“, sagt Dr. Meštrovic. „Wann immer Bakterien einem neuen Antibiotikum ausgesetzt sind, werden sie mutieren. Sie teilen resistente Gene, passen sich an und entwickeln neue Mechanismen, um diese Mittel zu blockieren oder abzubauen.“
Die Bakterien, die gängige Infektionen auslösen (wie Harnwegsinfektionen sowie einige sexuell übertragbare Krankheiten wie Tripper und Syphilis), entwickeln ebenfalls Resistenzen. Das führt zu chronischen, schwer zu behandelnden Infektionen, ernsten Erkrankungen und deren Verbreitung. Manche Infektionen verlaufen mitunter tödlich, wenn sie nicht mehr auf die Therapie ansprechen. Besonders Escherichia coli (E. coli), Staphylococcus aureus und Acinetobacter baumannii geben Anlass zur Sorge.
Die Konsequenzen der Multiresistenzen
Nach Ansicht von Experten ist ein Großteil der Schuld auf den unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika zurückzuführen, insbesondere in der Agrarindustrie. Etwa 70 Prozent der weltweit eingesetzten Antibiotika werden an Nutztiere verabreicht, um deren Wachstum zu fördern und Erkrankungen zu verhindern. „Dadurch ist eine potenzielle Brutstätte für resistente Bakterien entstanden, die sich über Lebensmittel, Wasser und Umweltverschmutzung auf den Menschen übertragen können“, erklärt Dr. Meštrovic.
Die gute Nachricht: Manche Regierungen schränken diese Praxis ein oder stoppen sie gar. Im Jahr 2022 hat die EU die routinemäßige Fütterung von Nutztieren mit Antibiotika verboten. Demnach werden nur noch einzelne kranke Tiere damit behandelt, nicht mehr die gesamte Herde. Großbritannien folgte 2024 mit ähnlichen Regelungen. In anderen Ländern ist der Einsatz von Antibiotika bei Nutztieren nach wie vor üblich. Eine 2023 in PLOS Global Public Health veröffentlichte Studie ergab: China, Brasilien, Indien, die USA und Australien sind die größten Verbraucher von Antibiotika für zur Lebensmittelerzeugung gehaltene Tiere.
Ein weiterer Faktor ist die Art und Weise, wie wir Menschen Antibiotika einnehmen – oder nicht einnehmen. „Es ist wichtig, dass Sie die ärztlich verschriebenen Antibiotika immer vollständig einnehmen“, mahnt Dr. Meštrovic. Ein vorzeitiges Absetzen – etwa, weil man sich nach ein paar Dosen besser fühlt – kann zu AMR beitragen. Die konsumierte Dosis könnte ausgereicht haben, um die Bakterien teilweise zu behandeln, aber nicht genug, um sie vollständig abzutöten. Infolgedessen können überlebende Bakterien mutieren oder eine gewisse Resistenz gegen das Antibiotikum entwickeln, dem sie ausgesetzt waren – und diese Resistenzgene sogar an andere Bakterien übertragen. Werden übrig gebliebene Antibiotika einer früheren Verschreibung eingenommen oder weitergegeben, kann das ebenfalls dazu führen, dass Bakterien eine Resistenz entwickeln.
Antibiotika sind kein Allheilmittel. Sie wirken bei bakteriellen, nicht aber bei viralen Infektionen wie Erkältungen, saisonaler Grippe oder COVID-19. Diese Virustypen lassen sich am besten mit ausreichender Flüssigkeitsaufnahme sowie Ruhe behandeln. In schweren Virusfällen wie der Vogelgrippe A (H5N1) und dem Respiratorischen Synzytialvirus (RSV) werden antivirale Mittel verschrieben.
Die Antibiotikaresistenz könnte einen Großteil des vor rund 100 Jahren erreichten Fortschritts zunichtemachen. Als besonders anfällig für Super-bug-Infektionen gelten Kinder, ältere Personen, gebärende Frauen und Menschen mit chronischen Krankheiten oder geschwächtem Immunsystem. Schranz, 26, aus Malta wurde mit einer Nierenerkrankung geboren, die im Laufe seines Lebens zahlreiche Operationen und medizinische Behandlungen erforderlich machte. Dadurch hatte er auch mit chronischen und wiederkehrenden Infektionen zu kämpfen. „Die waren das Schlimmste, schlimmer noch als die Nierenerkrankung selbst“, berichtet er. „Jede Infektion bedeutete extreme Schmerzen.“
Eine Superkeim-Infektion an Schranz’ Armzugang für seine Dialysebehandlung führte dazu, dass die Therapie mehrere Monate lang über einen Katheter in seinem Hals verabreicht wurde, bis der Infekt abgeklungen war. Schranz hatte zwar Glück, dass dies schließlich eintrat, doch der Katheter hatte das Risiko für weitere Infektionen und andere Komplikationen erhöht. Aufgrund der Infektionen verbrachte er mehr Zeit im Krankenhaus als wegen seiner Nierenerkrankung.
Hoffnung für die Zukunft
„Globale Gesundheitsgerechtigkeit – also die Sicherstellung des Zugangs aller Länder zu sauberem Wasser, sanitären Einrichtungen und wichtigen Impfstoffen – ist der Schlüssel zur Bekämpfung der Antibiotikaresistenz“, sagt Timothy Walsh, Direktor für Biologie an der University of Oxford. Er erklärt, dass die Verhinderung der Ausbreitung von Krankheiten unseren Bedarf an Antibiotika verringern wird, was wiederum die Resistenzbildung verlangsamt.
„AMR ist kein alleinstehendes Problem“, weiß Walsh. „Der Grund, warum wir in dieses Schlamassel hineingeraten sind, liegt nicht nur an den Bakterien und ihrer Anpassungsfähigkeit, sondern auch am menschlichen Verhalten und daran, dass wir nicht in der Lage sind, in internationalen Gemeinschaften zusammenzuarbeiten.“
Nach dem Goldenen Zeitalter der Antibiotika verlangsamte sich die Entwicklung drastisch. Seit den 1980er- Jahren wurden keine neuen Antibiotikaklassen mehr auf den Markt gebracht. Für Pharmaunternehmen sind diese Medikamente nicht so profitabel wie jene, die Menschen täglich einnehmen. „Staatliche Anreize könnten die Entwicklung von Antibiotika in größerem Umfang fördern“, glaubt Dr. Meštrovic und stellt fest, dass dies in einigen Länder bereits geschieht. Die Einführung neuer Antibiotika kann dazu beitragen, die Resistenzentwicklung zu verlangsamen, indem die Zahl der Therapiemöglichkeiten erweitert wird.
Forschende in Indien arbeiten an einer neuen Klasse von Antibiotika gegen schwere arzneimittelresistente Infektionen. Eines der Mittel, Enmetazobactam, wirkt, indem es auf die Abwehrmechanismen der Bakterien abzielt – also auf die Enzyme, die sie zur Zerstörung von Antibiotika produzieren – und nicht auf die Bakterien selbst. Man hofft, dass dieser Ansatz weniger wahrscheinlich eine Resistenz auslösen wird. Zurzeit gibt es andere Strategien zur Bekämpfung von Superbug-Infektionen wie die Kombinationstherapie, bei der ein oder mehrere Medikamente zusammen mit der Phagentherapie eingesetzt werden. Diese ist in der Praxis noch nicht weitverbreitet, aber sehr vielversprechend.
Gavin Schranz, der sich in seiner Masterarbeit mit der öffentlichen Aufklärung über AMR beschäftigt hat, meint, der unangemessene Einsatz von Antibiotika müsse wie Tabak- oder Alkoholkonsum betrachtet werden, damit er ernst genommen wird. Er unterstreicht auch die Relevanz einfacher Praktiken wie die des Händewaschens. Es könne nicht nur verhindern, dass jemand krank wird, sondern insgesamt davor bewahren, dass bakterielle und virale Infektionen verbreitet werden. Neben regelmäßigem und gründlichem Händewaschen können Sie das Infektionsrisiko auch senken, indem Sie Ihre Wunden sauber halten, Routineimpfungen bei Bedarf auffrischen, Lebensmittel sicher zubereiten und in der Nähe von Tieren gesunde Verhaltensweisen praktizieren. „Investitionen in Hygiene, Infektionskontrolle, Prävention sowie in die Entwicklung neuer Medikamente können die Belastung in Zukunft wirklich verringern“, prognostiziert Dr. Meštrovic. „Es ist gut, dass es zu einem weltweiten Problem wird, denn es wird eine globale Antwort nötig sein.“





