Menschen

Autor: Rüdiger Sturm

Ich habe nie nach Ruhm gesucht

Bestsellerautor John Grisham über Rassismus, Gerechtigkeit und seinen christlichen Glauben
Porträt des US-amerikanischen Autors und Juristen John Grisham

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©Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH/Michael Lionstar

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Mit einer Gesamtauflage von 300 Millionen verkauften Büchern zählt John Grisham zu den erfolgreichsten US-amerikanischen Autoren. Das liegt auch daran, dass die Thriller des 69-jährigen Juristen von klaren Wertvorstellungen geprägt sind. Wie wichtig ihm Gerechtigkeit ist, zeigt auch sein neues Sachbuch Unschuldig, in dem er mit seinem Co-Autor Jim McCloskey mehrere erschütternde Fehlurteile aufrollt.

Reader’s Digest: Ihr neues Buch schildert eine ganze Reihe von Justizskandalen um unschuldig Verurteilte in den USA. Eine harte Lektüre ...
John Grisham: Es war auch nicht einfach für mich, dieses Buch zu schreiben. Viele meiner Freunde sagten mir, sie hätten es erst mal aus der Hand legen müssen, nachdem sie den ersten Fall gelesen hatten. Aber was Mut macht, das ist der Überlebenswille dieser Justizopfer. Das sind ganz außerordentliche Menschen.


Sie haben sich in Ihren Büchern immer wieder mit Justizmissbrauch und Rassismus in den USA auseinandergesetzt. Haben Sie je überlegt, Ihrer Heimat den Rücken zuzukehren?
Eine schwierige Frage. Meine Familie und ich hätten die finanziellen Mittel, überall zu leben. Wir haben auch ein Apartment in Paris, und wenn wir dort sind, schauen wir keine Nachrichten. Andererseits hat jedes Land seine Probleme, und unsere alten Eltern sind in den USA, wir haben Enkel. Und es ist nicht unsere Art, abzuhauen. Lieber bleiben wir zu Hause und kämpfen für die richtigen Ziele.

Sie wuchsen in den Südstaaten auf, wo einst die Sklaverei verbreitet war, und leben dort. Wie kommen Sie mit diesem düsteren Erbe klar?
Ich habe in jungen Jahren viel Rassismus beobachtet. Speziell als ich Jura studierte, wurde mir bewusst, wie stark das mein ganzes Umfeld prägte. Es hat mich mit sehr viel Schmerz erfüllt, und ich sagte mir: So werde ich nicht leben. Ich werde tolerant sein und versuchen, Wiedergutmachung zu leisten, so gut ich kann.
Meine Frau, die genauso denkt wie ich, hilft mir dabei. Wir unterstützen Politiker, die unsere Werte vertreten. Wir engagieren uns für wohltätige Organisationen. Und wir setzen uns auch aktiv mit den dunklen Kapiteln unserer Geschichte auseinander.

Wie tun Sie das konkret?
Wir wohnen auf einer alten Farm in Virginia, die zu einer Sklavenplantage gehörte. Wir haben Archäologen angeheuert, die das Grundstück untersucht und die Überreste eines alten Sklavenfriedhofs entdeckt haben. Meine Frau hat dazu umfangreiche Recherchen angestellt und so konnte sie schon viele Leute identifizieren, die Nachkommen dieser Verstorbenen sind. Einige davon kennen wir jetzt ganz gut.

Sie sind bekennender Baptist. Wie beinflusst das Ihr Leben?
Für mich ist es wichtig, den Armen zu helfen. Das war eine der wichtigsten Lehren von Jesus: Gibt den Hungrigen zu essen, tue etwas für die Witwen und Waisen, kümmere dich um Häftlinge. Deshalb spenden wir viel an Organisationen, die Bedürftige unterstützen.

Wird Ihr Schreiben auch Ihren christlichen Idealen gerecht?
Ja, weil ich meine Texte sauber halte, wie ich das ausdrücke. Nachdem ich meine ersten Romane veröffentlicht hatte, sagten mir die Leute: „Ich kann Ihre Bücher nicht weglegen, weil sie so spannend sind. Und das Gute ist: Ich kann sie auch meiner 80-jährigen Mutter und meinem 15-jährigen Sohn geben.“ Ich verwende keine unflätige Sprache. Und es gibt Dinge, über die ich eben nicht schreibe.

Auch in Ihren Büchern gibt es Gewalt.
Ja, aber es kommt eben auf die Art der Darstellung an. Und da hat mich mein christlicher Glaube inspiriert.

Den Glauben haben Sie ja von Ihren Eltern bekommen. Inwieweit haben die beiden Sie sonst noch geprägt?
Meine Eltern haben alles füreinander und für die Kinder getan. Sie haben mir viele Wertvorstellungen vermittelt. Ich gebe Ihnen dafür ein Beispiel. Mein Vater war wie sein Vater ein Baumwollfarmer – ein hartes Leben. Ich wurde auf dieser Farm in Arkansas geboren. Aber er verlor dann so viel Geld, dass wir das alles von einem Tag auf den anderen zurücklassen mussten. Da war ich sieben. Er bekam einen Job als Bauarbeiter und schuftete zehn Jahre lang. Eines Tages zeigte er mir einen Scheck und sagte: „Den schicke ich jetzt an unseren früheren Lebensmittelladen in Arkansas, wo wir noch Schulden haben. Dann habe ich alles abbezahlt.“ Diesen Sinn für Integrität und Bescheidenheit habe ich in mich einge­sogen und das habe ich auch gelebt, damit ich meinen Kindern ein Vorbild sein konnte. Ich habe nie nach Ruhm gesucht, wollte nie Aufmerksamkeit erwecken. Und das lag nicht zuletzt an meinen Eltern. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen, dass ich mit ihnen aufgewachsen bin.


John Grisham
wurde am 8. Februar 1955 in Jonesboro, US-Bundesstaat Arkansas, geboren. Nachdem er zehn Jahre als Anwalt praktiziert hatte, veröffentlichte er 1989 seinen ersten Roman Die Jury und 1991 Die Firma, der zu einem Weltbestseller avancierte. Beide Bücher wurden erfolgreich verfilmt – ebenso wie acht weitere von Grishams Justizthrillern und Kriminal­romanen. 2006 veröffentlichte er mit Der Gefangene sein erstes Sachbuch über einen Justizskandal. Grisham
ist verheiratet und hat zwei Kinder.