Endlich aufs Titelblatt!
So werden Sie zum gefeierten Star. Wir erklären Ihnen den Stoff, aus dem Titelgeschichten sind.

©
Diesen Artikel gibt es auch als Audio-Datei
Jedes starporträt in Zeitschriften scheint eine Variation des Satzes „Meine Mutter hat mir immer gesagt“ zu enthalten. Mal heißt es: „Meine Mutter hat mir immer gesagt, ich solle im Leben etwas erreichen.“ Oder auch: „Mein Vater wurde nie müde mir zu sagen, dass ich immer mein Wort halten müsse.“
Es scheint, als ließen Eltern in den Familien der Berühmten ständig Weisheiten wie diese fallen: „Die Reise von 1000 Meilen beginnt mit einem einzigen Schritt.“ „Wir müssen uns auf unser ureigenes Wesen konzentrieren.“ Manchmal mischen sich auch die Großeltern ein und werfen ihre Lehren in die Runde, als wären diese Hühnerfutter. Das liest sich so: „Mein Großvater hat mir immer gesagt, Glück sei der Schlüssel zum Leben.“ Oder: „Meine Großmutter hat mir immer gesagt, alles erscheint unmöglich, bis man es tut.“
Wer wie ich diese Art philosophisches Trainingslager nicht durchlaufen hat, tut sich schwer, sich für eine Titelgeschichte in "Das goldene Wochenende" zu qualifizieren. Denn was könnten wir auf die Frage des Porträtschreibers „Was hat Ihnen Ihre Mutter immer gesagt?“ antworten? „Sie hat mir oft geraten, mein Zimmer aufzuräumen.“ Der Journalist könnte beharrlich bleiben: „Sie hat Ihnen doch bestimmt ein paar Lebensratschläge gegeben, wie den, jeden Tag so zu leben, als wäre es der letzte, oder vielleicht den, dass die Liebe der einzige Sinn des Lebens ist?“ „Nicht wirklich“, müssten wir zugeben.
Der Porträtschreiber wäre ungläubig. „Was? Das war’s? Sie hat nicht gesagt, dass man seinem Herzen folgen soll oder dass Schmerz uns stärker macht?“
„Nicht wirklich. Obwohl sie auf regelmäßiges Zähneputzen bestand und glaubte, dass das Tragen von Flipflops schlecht für die Füße sei. Aber das war’s auch schon.“
Kein Wunder, dass nur wenige von uns es aufs Titelblatt schaffen. Den meisten fehlt die philosophische Familientradition. Dazu kommen ein paar weitere Unzulänglichkeiten. Wer Starporträts liest, weiß, dass der Reporter einen bei einer interessanten Tätigkeit ertappen sollte, wenn er auftaucht. Wie wäre es mit dem Schnitzen eines Kaninchens aus Holz oder Fliegenfisch-Übungen im Garten? Dass man die Verabredung mit dem Journalisten „völlig vergessen“ hat, versteht sich von selbst.
Keinesfalls sollte man zu diesem angeblich vergessenen Termin langweilige Alltagskleidung tragen. Andernfalls heißt es nämlich: „Als ich hereingelassen wurde, saß Mary einfach da, trug eine Hose und ein Oberteil von undefinierbarer Farbe und wartete darauf, dass ich zur vereinbarten Zeit eintraf. Sie machte nichts Interessantes. Sie hält noch nicht mal Bienen.“ Das ist nicht der Stoff, aus dem Titelgeschichten sind! Vielleicht sollten wir uns alle etwas mehr Mühe geben. Dann könnten auch wir es aufs Titelblatt schaffen. Fangen wir mit der Weisheit an, die unsere Eltern uns mitgegeben haben. Alles, was es braucht, ist ein bisschen kreative Interpretation. Die alltäglichen Ratschläge waren vielleicht philosophischer, als zunächst gedacht.
„Mein Vater“, erzähle ich also dem Porträtschreiber, „sagte mir immer, ich solle den Ölstand im Auto überprüfen. Damit wollte er, glaube ich, darauf hinweisen, dass man im Leben auf die kleinen Dinge achten muss.“ Als ich den dankbaren Gesichtsausdruck des Journalisten bemerke, fahre ich fort. „Auch meine Großmutter, die auf dem Land lebte, war stets bemüht, mich in die Geheimnisse des Lebens einzuweihen. Sie riet mir oft, die Klappe zu halten. Damit meinte sie, glaube ich, dass man das Wunder der Existenz in Stille betrachten sollte.“ „Oder, wenn die letzte Mahlzeit schon ein paar Stunden zurücklag, bemerkte sie verschämt: ‚Mein Magen denkt, mir ist die Kehle durchgeschnitten worden‘, womit sie die Notwendigkeit deutlich machen wollte, auf den eigenen Körper zu hören und seine ungebändigte Stimme zu vernehmen.“ Der Stift des Journalisten würde zu diesem Zeitpunkt jede Seite erfreut mit Notizen füllen.
„Und dann“, füge ich hinzu, „war da noch mein Großvater mütterlicherseits, den ich nie kennenlernen durfte, dessen Lebensweisheiten aber oft von der örtlichen Polizei aufgezeichnet wurden, wie zum Beispiel sein klassischer Refrain: ‚Das ist auf keinen Fall Diebesgut, und wenn doch, dann hat es nichts mit mir zu tun.‘ Ich glaube, er wollte damit die Dualität von Wahrheit und Fiktion infrage stellen und mich, seinen Enkel, zu einer Weltsicht einladen, die ein gewisses Verständnis für die Zweideutigkeit der Existenz beinhaltet.“ Vielleicht können auch Sie die tiefe Weisheit in den Worten Ihrer Vorfahren erkennen. Wenn Sie versprechen, sich interessant zu kleiden und sich bei der Handaufzucht eines Beuteltiers ertappen zu lassen, ist eine Titelgeschichte in einem Magazin sicher nur noch wenige Tage entfernt.