Spielen und Lachen

Autor: Richard Glover

(Keine) Zeit für Sport

Immer wenn Training im Kalender steht, kommen unvermutet dringlichere Dinge dazwischen. 

Illustration: Ein Hund steht mit der Leine im Maul neben dem Bett seines Herrschens, der eine Zeitung und eine Tasse mit heißem Getränk in den Händen hält.

©

©Nils Fliegner

Diesen Artikel gibt es auch als Audio-Datei    

 

Es ist zehn Uhr und ich bin kurz davor, ins Bett zu gehen. Als ich das Licht ausmache, denke ich: „Morgen wird so toll. Ich habe in der Früh keine Aufgaben, also habe ich Zeit für meine Trainingseinheit.“ 
Um zwei Uhr morgens weckt mich eine innere Unruhe. Ich versuche, mich mit dem Gedanken zu beruhigen, was für ein guter Tag morgen sein wird, da ich meine Übungen machen werde. Dann, um 6.30 Uhr, wache ich auf und mein erster Gedanke ist: „Oh, toll, heute ist Trainingstag.“ Schließlich sind die Übungen das Einzige, was mich vor einem künstlichen Kniegelenk bewahrt. Wenn ich sie umsetze, bekomme ich eine starke Beinmuskulatur und hinke nicht im Büro herum, was vor allem bei den jungen Kollegen Mitleid hervorruft, wenn ich an ihnen vorbeischlurfe. Ich muss allerdings zugeben, dass ich die Gymnastik manchmal ausfallen lasse, also diese Übungen, die ich gleich ausführen werde – wahrscheinlich während des nächsten Absatzs oder zumindest während der nächsten drei Absätze.

Wenn ich die Sportaufgaben nicht mache, erscheint ein verständnisvoller, mitfühlender Blick auf Sallys Gesicht. Sally ist meine Physiotherapeutin, deren verständnisvoller und mitfühlender Blick noch herausfordernder ist als jener der jungen Leute im Büro. Sally ist eine optimistische Person, die große Hoffnungen in mich setzt, die ich nicht wirklich teile. Ich glaube, dass Sally aufgrund ihrer von Natur aus positiven Art die großen Fehler in meinem Charakter nicht ausreichend berücksichtigt. Aber das ist in Ordnung, denn heute mache ich alle ihre Trainingseinheiten. Ich werde wahrscheinlich sogar mehr machen: das ganze Set zweimal, vielleicht dreimal. So begeistert bin ich von der ganzen Übungssache.

Wie ich sehe, habe ich vier Absätze geschrieben, in denen ich eigentlich mit dem Training beginnen wollte. Aber zuerst muss ich mir eine Tasse Tee machen. Und dann gibt es noch die Tasse, die ich für Jocasta mache – deren Knie, falls Sie sich das fragen sollten, in Ordnung sind. Und natürlich wird die morgendliche Tasse Tee von der Durchsicht der Zeitung begleitet. Ich nippe an meinem Tee – Dilmah ist meiner Meinung nach die beste Marke, aber wir müssen keine Zeit mit einem Streit über meine Teewahl verschwenden. Nicht, wenn es Übungen zu machen gibt, wahrscheinlich innerhalb der nächsten fünf Absätze.
Zuerst lese ich den Leitartikel. Dann einen investigativen Beitrag. Dann die Cartoons, die mich fast zum Weinen bringen, was bei Cartoons seltsam ist. Ich brauche eine zweite Tasse Tee. Ich frage Jocasta, die wegen der Cartoons auch feuchte Augen hat. Sie möchte ebenfalls einen Tee. Mist – die Teedose ist leer. Ich hole erst eine weitere Packung, dann die Schere, um sie zu öffnen. Ich koche mehr Tee. 
Und zerreiße gleich auch noch die leere Pappverpackung, weil Autor, Landschaftsarchitekt, Umweltpädagoge und Fernsehmoderator Costa Georgiadis sagt, dass man immer Pappe in den Kompost geben sollte. Ich sollte erwähnen, dass ich Costa schon einige Male getroffen habe und er wirklich ein erstaunlicher Mensch ist. Ich könnte Ihnen noch mehr erzählen, aber die Zeit drängt. Ich möchte keine Zeit mit Plaudern verschwenden, da dies die Übungen verzögern könnte. 

Zurück ins Bett. Mehr Zeitung. Mehr Tee. Unser Hund Clancy liebt es, früh im Park zu sein, wenn viele andere Hunde da sind. Im Hundepark ist um 7.30 Uhr Hochsaison. Partyzeit. Clancy wirft mir einen Blick aus seinen schönen Augen zu. Es wäre unfair, ihm einen Ausflug in den Park zu verweigern. Der Ausflug dauert nur 30 Minuten. Dann bin ich zu Hause und mache meine Übungen. Wie sich herausstellt, waren die 30 Minuten eine Wunschvorstellung. Jocasta ist Teil unserer Expedition. Sie spricht mit allen im Park. Ich stehe wie ein mürrischer Teenager abseits, während sie sich mit anderen Menschen unterhält. Einige von ihnen sind Fremde! Jocasta scheint von jedem Detail ihres Lebens fasziniert zu sein. 
Nach einer Million Stunden „gesundem sozialem Engagement“ kommen wir daheim an. Es ist neun Uhr morgens. Ich muss erst um zehn Uhr zur Arbeit, also habe ich eine ganze Stunde Zeit für meine Übungen. Dann kommt mir ein Gedanke: Nach einer Dusche würde ich mich großartig fühlen! Also dusche ich. Natürlich rasiere ich mich auch. Dann bemerke ich, dass meine Stiefel schmutzig sind, also putze ich sie. Oh, und meine Schwiegertochter hat ein wunderschönes Bild von meinem sechs Monate alten Enkel aufs Smartphone geschickt. Ich kann nicht anders, als mir die Zeit zu nehmen, seine Schönheit zu „liken“ und zu teilen.

Es gibt so viel zu tun. So viel zu genießen. So viel Leben zu leben. Jetzt ist es zehn Uhr morgens und die Arbeit ruft. Mir läuft die Zeit davon. Und mir fällt auf, dass mir die Absätze ausgehen. Das Gute daran ist, dass es immer ein Morgen gibt.