Die Erschaffung der Erde: wie ein Globus entsteht
In Süddeutschland wird die Erde täglich neu erschaffen. Die Herstellung von Globen hat in Krauchenwies Tradition

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Südamerika muss noch ein bisschen verschoben werden. Vorsichtig korrigiert die Kaschiererin Regina Vecht das nasse Stück Papier auf der Kunststoffkugel und achtet dabei genau darauf, dass die schmale Grenze zwischen Panama und Costa Rica exakt an den bereits vorhandenen Ausschnitt anschließt. Der Globus liegt auf einem weißen Kissen und leuchtet warm an ihrem Arbeitsplatz. So wie auch die Weltkugeln an den zehn Plätzen der Kolleginnen, die jeweils nach und nach Afrika, Asien, Grönland und Australien aneinanderfügen. „Unsere handgemachten Globen bestehen aus einem Korpus in Kugelform und 12 Papierelementen, die nacheinander aufgetragen werden und ein bisschen den Schalenstücken einer sorgfältig geschälten Orange gleichen“, erklärt Marcia Oestergaard, mit 23 Jahren das jüngste Mitglied im Familienunternehmen Columbus, das inzwischen in der fünften Generation in Krauchenwies bei Sigmaringen Globen beklebt. Heute ist der Verlag der älteste Globus-Hersteller der Welt, der noch in Serie produziert. Etwa eine Stunde braucht eine geübte Kaschiererin, also die Person, die das Bild auf die blanke Kugel aufträgt, für einen mittelgroßen Globus.
Begonnen hat alles 1904 in Berlin mit einem Kartenbild der Erde, das damals noch auf Kugeln aus Pappe geklebt wurde. Ein günstiges Produkt, das seinerzeit in 24 Sprachen erschien und in die ganze Welt verschickt wurde. Der Werbespruch der Firmengründer Paul und Peter Oestergaard lautete „Ein Columbus-Globus in jedes Heim“ – eine Ansicht der Welt für alle und nicht nur für jene, die sich damals die extrem teuren Globen aus Bronze, Holz oder Stein leisten konnten. 1920 folgte der erste beleuchtete Globus, der die Erde in ihren schönsten Farben zeigte.
Fingerreise: Mit dem Globus hat man die Welt vor Augen
„Und dann hatte mein Großvater in den 1950er-Jahren eine geniale Idee“, erzählt der heutige Firmeninhaber Torsten Oestergaard. „Er bedruckte das Papier so, dass ohne Beleuchtung die politische Karte zu sehen war und mit Licht die topografische.“ Ein verblüffender Effekt, der durch einen beidseitigen Druck des transparenten Papiers entsteht und bis heute bei Columbus-Globen umgesetzt wird. So erscheint die Eifel mal eher technisch wie im Auto-Navi zwischen Frankfurt und Belgien oder als markantes Mittelgebirge mit viel Grün im Westen Deutschlands.
Doch ehe die Menschen ihren Globus erstrahlen lassen, ihn drehen, den eigenen Heimatort darauf finden, das Land der Hochzeitsreise und jene Städte, die sie noch besuchen wollen, ist jede Menge Handwerkskunst nötig. Die Halbkugeln aus Acrylglas werden direkt auf dem Firmengelände gespritzt, zusammengeklebt und dann geschliffen.
In der Kartenabteilung ist der 28-jährige Niklas Oestergaard an großen Bildschirmen für das Aussehen der Kartenbilder zuständig. Und dafür, das politische Geschehen auf der Welt ständig zu beobachten. „Ich weiß genau, wo die Konfliktherde sind und wo vielleicht schon bald Grenzen neu gezogen werden“, sagt er. „Wenn neue Gegebenheiten international anerkannt werden, etwa im Südsudan, dann ändern wir unsere Karten.“ Man könnte auch sagen: In Krauchenwies, gleich hinter dem Bahnhof, kurz vor dem Schützenvereinsheim und mit dem Blick auf die lauschigen Ablacher Seen, wird die Erde jeden Tag ein bisschen neu erschaffen.
Kugelrund: so, wie wir die Erde aus dem Weltall sehen
Und zwar so, wie sie wirklich mit Blick aus dem Weltall aussieht, kugelrund und mit den exakten Größen der Länder und Kontinente, was in einem Atlas nie möglich ist. „Auf dem platten Papier stimmen die Verhältnisse nicht, weil man was Rundes nicht korrekt auf einer Ebene darstellen kann“, erklärt Niklas Oestergaard. Mit einer Papierschneidemaschine werden deshalb für jeden Globus zwölf oben und unten spitz zulaufende bedruckte Papierbögen ausgeschnitten und dann mit einem speziellen Kleister eingestrichen, der nicht sofort härtet. So kann man sie noch eine Zeit lang korrigieren.
Das ist die Aufgabe von Kaschiererinnen wie Regina Vecht, die Element für Element zusammenfügen, mit einem Acryl-Plättchen glattstreichen und dem letzten Papierstück entgegenfiebern. Denn wenn dieses links und rechts nicht genau in die Lücke passt, beginnt die ganze Arbeit von vorn.
Danach wird der Globus mit einer Harz-Wasser-Mischung per Schwamm fünf Mal grundiert, damit später der Lack gleichmäßig aufgetragen werden kann. „Eine Kugel zu lackieren ist extrem heikel“, erklärt Marcia Oestergaard, „denn der Lack läuft und läuft und möchte immer einen Tropfen Richtung Südpol formen.“ In dem Fall wäre der Globus unverkäuflich und die ganze Mühe umsonst gewesen. Die rundum glänzenden und mit LED- Lampen
ausgestatteten Exemplare dagegen machen sich von Krauchenwies aus auf in die Welt, wo sie in Wohnzimmern, Büros und Hotels zu Fingerreisen einladen. Zwischen 20 und 18.000 Euro kostet ein Columbus-Globus, das kleinste Modell hat einen Durchmesser von nur zwölf Zentimeter, das größte von bis zu zwei Meter.
„Eine Weltkugel ist ein Schmuckstück, das uns Menschen buchstäblich erdet“, sagt Torsten Oestergaard. Er dreht an einem 1-Meter-Globus im Empfangsbereich der Firma, streift über den Atlantik, Kanada und hinüber nach China: „Ist unsere Erde nicht ein wunderschönes Gebilde?“ Nebenan steht ein Modell, in dem kleine Glitzersteine an den Stellen der Hauptstädte funkeln. Gebohrte Löchlein im Globus, in die Swarovski-Kristalle eingesetzt wurden – in Sehnsuchtsorte wie Paris und Wien, aber auch in Pjöngjang in Nordkorea oder Abuja in Nigeria. Auf dem Globus leuchten sie alle gleich hell und künden davon, was unsere Erde ist: ein Planet ohne oben und unten, aber aus jeder Perspektive ein Schmuckstück.
Columbus Verlag
Am Bahnhof 2
72505 Krauchenwies
Tel. 0 75 76/9 60 30
www.columbus-verlag.de