Wissen und Tipps

Autor: David Krenz

Neue Nachbarn in der Stadt: Rotfüchse

Der Rotfuchs ist nicht mehr nur in Wald und Flur anzutreffen. Er hat sich zu uns in die Stadt gesellt – und angepasst. Im Sommer 2022 ist ein Fuchs in Berlin sogar mit einem öffentlichen Bus gefahren - wohl aus Versehen. 

Neue Nachbarn in der Stadt: Rotfüchse

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©istockfoto.com / Dgwildlife

Nicht nur Sparfüchse nutzen in unserer Hauptstadt den öffentlichen Nahverkehr. Im vergangenen Sommer bemerkte eine Berliner Busfahrerin im Rückspiegel einen wilden Rotfuchs. Das Tier hockte auf einem Sitz und blickte sie mit großen Augen und gespitzten Ohren an. Viele Städte melden inzwischen solche kuriosen Fuchssichtungen, etwa aus Einkaufspassagen, U-Bahn-Stationen oder von Schulhöfen. Die Busfahrerin fotografierte ihren ungewöhnlichen Fahrgast und bewegte ihn mit einem Pfiff zum Aussteigen – schließlich hatte er kein Ticket gelöst.
Traditionell gilt der Rotfuchs, die einzige in Deutschland heimische Fuchsart, als Bewohner von Wäldern, Wiesen und Feldern. Doch seit einigen Jahrzehnten fühlt er sich auch im Großstadtdschungel wohl. Schätzungen zufolge leben sogar zehnmal mehr Füchse im urbanen als im ländlichen Raum. An die 12 000 Füchse sollen Berlin bevölkern. Sie zählen heute zum tierischen Hauptstadtinventar wie Taube, Ratte und Spatz. Mit seinen großen Lauschern registriert der Fuchs Geräusche, die Menschen gar nicht wahrnehmen, etwa ein zartes Rascheln und helles Piepsen aus dem Gebüsch. Der Jäger weiß: Hier wuselt eine Maus. Er legt den Kopf schief, dreht die Ohren, um die Beute präzise zu orten – und schießt im bogenförmigen Sprung hoch. Punktgenau landet er mit den Vorderpfoten auf den Leckerbissen. Der Rotfuchs zählt zu den Allesfressern und jagt nicht nur, sondern sammelt auch. Er schlabbert genüsslich Fallobst, zupft Beeren von Sträuchern, gräbt nach Regenwürmern – und steckt seine spitze Schnauze gern auch in Mülleimer, Tüten mit Dönerresten und Pizzakartons. Innenstädte bieten ihm kulinarisch allerhand. Trotzdem lässt der Stadtfuchs das Mausen nicht. „Die Nager bleiben seine Hauptnahrungsquelle“, sagt Sophia Kimmig.



Die junge Biologin hat das Leben der Füchse in der Hauptstadt erforscht und ihr Wissen in dem Buch „Von Füchsen und Menschen“ festgehalten. Es lässt sich als Plädoyer lesen, unseren Rotfuchs nicht länger als Hühnerdieb oder Krankheitsüberträger zu verteufeln, sondern sein faszinierendes Wesen zu erleben. Ein Zusammenspiel verschiedener Entwicklungen bewog die Füchse zum Umzug in die Stadt. So ließ eine zunehmend industrialisierte Land- und Forstwirtschaft ihre Reviere ungemütlich werden. Zudem merkten die Tiere: Anders als im ländlichen Raum, wo sie jahrhundertelang mit der Flinte gejagt wurden, geht von Zweibeinern in der Stadt kaum Gefahr aus. Selbst mit dem Verkehr lernt der Fuchs umzugehen. Der scharfe Beobachter galt schon in antiken Epen sowie Fabeln als schlau und listig. Er liest die Umgebung – und passt sein Verhalten an. So wurden Füchse beobachtet, die an Ampeln auf Rot für Autos warten, um sicher die Straße zu überqueren.

Auf Friedhöfen fühlen sich Füchse geschützt

Um die smarten wie schönen Räuber zu sichten, sollte man in der Dämmerung aufbrechen, rät Sophia Kimmig. Wenn die Stadt schläft, ziehen Füchse los. Ihre Augen benötigen für die Jagd nur wenig Restlicht, ihr Geruchssinn ähnelt dem von Spürhunden. „Mein Geheimtipp sind Bahndämme und Friedhöfe. Da haben die Füchse oft ihre Baue.“ Sie suchen sich gezielt begrenzte Flächen, fühlen sich durch die Mauern und Zäune geschützt.
Wer einen Fuchs erblickt, sollte sich die Freude nicht groß anmerken lassen. „Viele Menschen frieren intuitiv ein und werden ganz still, um das Tier nicht zu verschrecken“, sagt Kimmig. „Dadurch merkt es erst recht: Oh, ich werde beobachtet.“ Wer Desinteresse vorgaukelt, hat mehr vom Fuchs. Lässt sich ein Blick ins Fuchsgesicht erhaschen, fallen die geschlitzten, katzenhaften Pupillen auf. Doch Füchse zählen zur Familie der Wildhunde. Wie Wölfe graben sie in der Erde einen Bau für ihre Jungen. Zuvor, in der Paarungszeit, finden Weibchen und Männchen über heiser klingendes Ranzbellen und klagende Laute zusammen. Füchse jagen allein, sind aber soziale Wesen. So versorgt das Männchen die Familie mit Futter und spielt geduldig mit dem Nachwuchs. Jungfüchse helfen gelegentlich bei der Aufzucht jüngerer Geschwister. Außerdem grüßen Füchse einander und warnen sich mit schrillen Schreien vor Gefahren.

Die scheuen Wesen meiden den Menschen

Der Mensch muss den Fuchs nicht fürchten. Da er nur etwas mehr als eine große Hauskatze wiegt und kaum wehrhaft ist, weicht er von selbst. Durch das jahrelange Ausbringen von Impfködern gilt Deutschland seit 2008 als tollwutfrei. Auch vom Fuchsbandwurm sind immer weniger Tiere befallen. Menschen infizieren sich selten. Dennoch sollte man zu Füchsen immer Abstand halten, sie nicht füttern oder streicheln. Das schützt vor allem die Tiere.
Die wilden Nachbarn zeigen uns: So sehr wir unsere Metropolen auch bebauen, verdichten, asphaltieren, die Natur bahnt sich einen Weg. Manchmal in der Gestalt eines rostroten, pelzigen Räubers, der elegant zwischen Zaunpfähle schlüpft, geschickt Leitern erklimmt, auf Balkonbrüstungen balanciert – oder einen Bus besteigt.
Natürlich kann die Stadt auch schlauchen. Eines der Tiere, das Sophia Kimmig für ihre Studien mit einem Sender ausgestattet hatte, wanderte von Berlin ins ländliche Brandenburg aus. Vom Idyll im Grünen träumt so mancher Großstädter. Da geht es den Füchsen wie den Menschen.



Steckbrief: der Rotfuchs

Als weltweit am meisten verbreiteter Wildhund lebt der Rotfuchs (lat. „Vulpes vulpes“) fast auf der gesamten Nordhalbkugel sowie in Australien. Von der Schnauze bis zur Schwanzspitze werden die Männchen, „Rüden“, meist circa einen Meter lang und wiegen um die sieben Kilogramm. Weibchen, „Fähen“, sind kleiner und leichter. Im Frühjahr wirft eine Fähe vier bis sechs Junge. Diese sind ab Herbst selbstständig und suchen sich ihr eigenes Revier. Füchse werden oft sechs, in der Stadt aber auch bis zu zwölf Jahre alt.