Volle Punktzahl: Der Marienkäfer
Er ist rund, rot und allseits beliebt: Der Marienkäfer gilt als Glücksbringer – und befreit unsere Pflanzen von Blattläusen. Dank ihnen bedarf es weniger Chemie in unseren Gärten.
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Eins, zwei, drei … Was macht man, wenn einem ein Marienkäfer zufliegt und über die Hand krabbelt? Seine Punkte zählen natürlich! Da geht es Wissenschaftlern nicht anders als Kindern. Über Lebensjahre, das wissen die Forschenden aber, sagen die schwarzen Flecken auf dem halbkugelrunden Käfer nichts aus. Doch sie eignen sich ganz hervorragend, um die Art zu bestimmen: Sieht man zwei Punkte, ist es ein Zweipunkt-Marienkäfer. Zählt man 13, hat man einen Dreizehnpunkt-Marienkäfer vor sich. Und weist das Tier 22 Punkte auf, handelt es sich um – genau – einen Zweiundzwanzigpunkt-Marienkäfer.
„Da haben die Forscher es sich leicht gemacht“, sagt Julian Heiermann, Insektenexperte vom Naturschutzbund Deutschland (NABU). Man muss nicht weiter zählen können als ein Kindergartenkind, um die wohl häufigste heimische Marienkäferart zu identifizieren: den Siebenpunkt-Marienkäfer. Das ist der mit den sieben Flecken auf den roten Flügeln, die eigentlich gar nicht die Flügel sind, sondern die Abdeckungen der dünneren Hautflügel. Der mit den weißen Augen, die gar nicht die Augen sind, sondern nur die weißen Muster neben den kleinen schwarzen Facettenaugen.
Obwohl sein Äußeres oft missverstanden wird, trägt es viel zur Beliebtheit des Marienkäfers bei. Statt sich wie andere Insekten grau und monoton im Staub zu verstecken oder sich als Blatt zu tarnen, kommt er rot und rund herbei geflogen. „Fast so, als wolle er uns mitteilen: Hey, hier bin ich!“, findet Heiermann. Seine knallige Farbe, eigentlich dazu da, Fressfeinde abzuhalten, wirkt auf uns sympathisch. Doch es ist etwas anderes, weshalb man ihm zuschreibt, ein Glücksbote zu sein, ein gesegnetes Geschenk der heiligen Jungfrau Maria (daher sein Name): seine Verfressenheit.
Gefräßige Gäste: Marienkäfer als Schädlingsvernichter
Heiermann erklärt: „Der Marienkäfer ist ein Raubtier.“ Seine Leibspeise: Blattläuse. Bis zu 150 davon vertilgt ein ausgewachsener Siebenpunkt-Marienkäfer am Tag. Die Nachkommen eines einzigen Käfers, haben Mitarbeitende vom NABU ausgerechnet, verspeisen bis zu 100.000 Blattläuse. Und da man sich kaum einen besseren Schädlingsvernichter vorstellen kann, wurde die wohl gefräßigste aller Arten, der Asiatische Marienkäfer (19 Punkte) nach Europa eingeführt und hier in Gewächshäusern eingesetzt. Bis eines Tages der erste entkam – und sich die Art so schnell verbreitete, dass sie den Siebenpunkt-Marienkäfer nun zu verdrängen droht. „Es hat noch keiner überprüft“, sagt Heiermann, „aber wahrscheinlich ist die asiatische Art schon heute die häufigste in Deutschland.“ Neben der Futterkonkurrenz, erklärt er, sei der Einwanderer auch eine direkte Bedrohung für die heimischen Käfer: „Die Larven sind so gefräßig, dass sie neben Blattläusen sogar die Larven des Siebenpunkt-Marienkäfers fressen.“
Doch auch die Nachkömmlinge des Siebenpunkt-Marienkäfers sind hungrig – so sehr, dass sie „Blattlauslöwen“ genannt werden. Geschlüpft aus gelben Eiern, die ihre Mutter zu Hunderten an die Unterseite von Blättern gelegt hat, kriechen die sechsbeinigen Larven drei Wochen lang durch die Vegetation. Nach mehreren Häutungen verpuppen sie sich, aus der Puppe schlüpft schließlich der Marienkäfer. Anfangs noch gelb, färben sich seine Deckflügel nach wenigen Stunden rot, schon jetzt tragen sie exakt sieben Punkte.
Heimische Bepflanzung wirkt wie eine Einladung
So alt, dass man seine Jahre zählen könnte, wird der Siebenpunkt-Marien-käfer sowieso nicht: Die Lebenserwartung liegt bei zwölf Monaten. Exemplare, die spät im Jahr schlüpfen, überwintern an geschützten Orten: unter Rinden, in Laubhaufen oder Steinspalten. Dabei kommen sie im Spätherbst oft in großen Überwinterungsgemeinschaften zusammen – die mancher in der eigenen Wohnung antrifft, wenn ein ganzer Schwarm ein gekipptes Fenster mit einer Felsspalte verwechselt hat. „Die sollte man dann wieder nach draußen bringen“, rät Heiermann. Zu warm dürfen es die Marienkäfer im Winter nämlich nicht haben. Und zu kalt werde ihnen ohnehin nicht: „Sie können durch ihren Stoffwechsel ihr eigenes Frostschutzmittel produzieren.“
Um Marienkäfer in den eigenen Garten zu locken, hilft laut dem Experten eine abwechslungsreiche heimische Bepflanzung: Wiesenmargerite, Weißdorn, Scharfgabe. Statt eingeführter Zierrosen sollte man lieber die heimische Hundsrose pflanzen. Und wenn die ersten Blattläuse kommen, dürfe man nicht zu chemischen Pflanzenschutzmitteln greifen – sondern müsse nur warten, bis die natürlichen Schädlingsvernichter eintreffen.
Wo sie landen, können die Marienkäfer allerdings gar nicht so genau bestimmen. Zwar fliegen sie mit ihren durchsichtigen Hautflügeln unter den roten Deckflügeln bis zu 1000 Meter hoch und bis zu 60 Kilometer pro Stunde schnell. Doch lenken können Marienkäfer nicht besonders gut. Das hat eigentlich jeder schon einmal beobachtet, der dieses kleine Wesen auf die Spitze seines Zeigefingers hat krabbeln und losfliegen lassen: Wohin es geht, weiß nur der Wind.
Der Siebenpunkt-Marienkäfer
Der Siebenpunkt-Marienkäfer (Coccinella septempunctata) misst 5,2 - Millimeter und ist einer von etwa 80 heimischen Marienkäfer-Arten. Neben seinem ursprünglichen Verbreitungsgebiet in Europa, Asien und Nordafrika findet man ihn inzwischen auch in Nordamerika, dem Nahen Osten und Indien. Gegen natürliche Fressfeinde wie Eidechsen, Spinnen, Frösche und Spitzmäuse wehrt er sich mit einem übelriechenden Sekret, das er aus den Knien absondert. Die größte Bedrohung aber stellen für ihn, neben dem Asiatischen Marienkäfer und penibel aufgeräumten Gärten, die Monokulturen und Pestizide der konventionellen Landwirtschaft dar.






