Gesundheit

Autor: Rebecca Philps und Lucy Uprichard

Wege aus Stress und Angst

Unruhig, antriebslos, ständig müde und gestresst? Wir geben Ihnen Tipps, wie Sie Ihr Leben wieder selbst bestimmen.

Wege aus Stress und Angst

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©istockfoto.com / stockfour

Angst ist eine Reaktion unseres Körpers auf Stress und kann unangenehm, überwältigend und manchmal schlicht verwirrend sein. „Ich beschreibe Angst als zukunftsgerichtete emotionale Reaktion auf eine angenommene Bedrohung“, erklärt Joel Minden, klinischer Psychologe und Autor des Buchs Show Your Anxiety Who’s Boss (Zeigen Sie Ihren Ängsten, wer der Chef ist). „Wir erwarten, dass etwas Schlimmes passieren wird. Vielleicht haben wir Belege dafür, vielleicht auch nicht. Doch wir glauben daran, dass sich eine Katastrophe anbahnen könnte.“ Fast unmittelbar, so Dr. Minden, schaltet der sympathische Teil des vegetativen Nervensystems, das für unbewusste Prozesse wie Atmung und Herzschlag zuständig ist, auf Hochtouren. Das führt dazu, dass die Nebennieren Adrenalin und Cortisol ausschütten, zwei der Hormone, welche die Kampf- oder Fluchtreaktion des Körpers steuern und die körperlichen Symptome der Angst auslösen: Das Herz rast, der Blutdruck steigt, die Pupillen weiten sich, man wird kurzatmig, kalter Schweiß bricht aus. Gleichzeitig drosselt das Cortisol Funktionen, die das Gehirn nun als unwichtig erachtet: Es dämpft Reaktionen des Immunsystems, legt das Verdauungs- und Fortpflanzungssystem sowie Wachstumsprozesse still. 

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Das war nützlich, als unsere Vorfahren vor Säbelzahntigern fliehen mussten. Doch es ist nicht hilfreich, wenn es dazu führt, dass Sie grübeln, ob der hustende Mann im Supermarkt Sie angesteckt haben könnte. Manchmal löst übersteigerte Angst Ohrgeräusche und Übelkeit aus. Sie kann sich jedoch auch anders äußern. Womöglich halten Sie etwas für bedrohlich, obwohl es das nicht ist, oder treiben großen Aufwand, um unangenehme Situationen zu vermeiden. Vielleicht überdenken Sie ständig Ihre Pläne oder verbringen viel Zeit damit, sich Lösungen für Katastrophenszenarien auszudenken. Womöglich haben Sie Angst, die falsche Entscheidung zu treffen. Oder Sie sind ruhelos und können nicht abschalten.

 

 

Oft dauern die Symptome nur so lange Sie sich in der Situation befinden, die sie auslöst. Möglicherweise sind Sie wegen einer Flugreise nervös, steigen aber dennoch ins Flugzeug. Sobald die Maschine landet, verschwindet Ihre Angst. In manchen Fällen aber entwickelt sich die Angst zu einem chronischen Leiden, wie eine generalisierte Angststörung, eine Panikstörung, eine Phobie, eine Zwangsstörung oder eine posttraumatische Belastungsstörung. Laut Gin Lalli, Psychotherapeutin aus Edinburgh, Schottland, kann es schwierig sein, den Unterschied zu erkennen: Handelt es sich um situationsbezogene Angst, die durch einen vorübergehenden Stressfaktor wie ein wichtiges Vorstellungsgespräch ausgelöst wird, oder um die Sorte, die krankhafte Ausmaße annimmt? „Es ist normal, Angst zu haben“, erklärt Lalli. „Wenn Sie aber dazu führt, dass Sie Ihren Alltag nicht mehr bewältigen und das Leben genießen können, sollten Sie sich unbedingt Hilfe suchen.“

 Bei Flugangst zum Beispiel wäre das der Fall, wenn Sie auf einen Urlaub verzichten, weil Sie in ein Flugzeug steigen müssten. Halten Angstgefühle an, auch wenn das Problem gelöst, die furchteinflößende Situation vorüber ist, tauchen sie scheinbar grundlos oder immer wieder auf, sodass Sie nicht zur Ruhe kommen, ist es Zeit zu handeln.

Anhaltende Angstgefühle behandeln

Obwohl man Angststörungen mit einer Kombination aus Medikamenten, Therapie und Lebensstilveränderungen sehr gut behandeln kann, erhalten nur rund 28 Prozent aller Betroffenen eine Therapie. Die anderen versuchen, ihre übersteigerten Ängste selbst zu bekämpfen oder zu unterdrücken. „Menschen verbringen zu viel Zeit damit, ihre Angst zu beherrschen“, erklärt Dr. Minden. Wenn man versuche, sie aus dem Kopf zu verbannen, so Minden weiter, führe dies nur dazu, dass man ständig an sie denke. Folgende Tipps können Ihnen helfen, mit Ängsten besser umzugehen oder die Symptome einer Angststörung zu lindern.

Akzeptanz
Wenn Sie die Tatsache annehmen, dass Angst zum Leben gehört und jeder sie erlebt, können Sie lernen, mit Mitgefühl gegenüber sich selbst und sogar mit Humor darauf zu reagieren. Dies ist ein Grundstein der sogenannten Akzeptanz- und Com- mitment-Therapie. In dieser Therapie erlernen Patienten, unangenehme Empfindungen als bloße Gefühle zu betrachten und zu akzeptieren, dass manches im Leben schwer ist. Sie werden dazu ermutigt, mit ihren Ängsten gleichsam in einen Dialog zu treten und deren Ursachen zu ergründen. Gleichzeitig sollen sie ihre persönlichen Ziele und Werte im Blick behalten. Es geht nicht darum, ängstliche Gedanken völlig zu unterdrücken, aber Betroffene können lernen, die Angst nicht bestimmen zu lassen, was sie tun und wer sie sind.

 

Achtsamkeit
Neben Akzeptanz kann ein achtsamer Umgang mit Ängsten hilfreich sein, vor allem, wenn diese es Ihnen unmöglich machen rational zu denken. In seinem Buch Raus aus der Angstspirale empfiehlt der US-amerikanische Psychiater und Neurowissenschaftler Dr. Judson Brewer Folgendes: Achten Sie auf die körperlichen Empfindungen, Gedanken und Gefühle, die sich als Reaktion auf Ängste oder Sorgen einstellen. Erkennen Sie die Reaktionen Ihres Körpers und benennen Sie diese: „Mein Gesicht errötet, mein Atem geht flach, mein Herz schlägt schnell“. Allein durch dieses Beobachten sind Sie weniger in Ihren ängstlichen Reaktionen gefangen, schreibt Dr. Brewer. Auch Apps können beim Achtsamkeitstraining helfen. Nach dreimonatiger Nutzung einer von Dr. Brewer entwickelten App berichteten Testteilnehmer über einen Rückgang ihrer Ängste um im Schnitt 57 Prozent. Sich darüber bewusst zu werden, wie sehr ihre Ängste ihren Alltag beeinträchtigten, war für die Britin Sue Thomas der erste Schritt. Inzwischen gelingt es ihr, rechtzeitig zu erkennen, wenn Sorgen und Grübeleien sie zu überfluten drohen. Statt bei Stress zu erstarren oder sich gedanklich so zu verzetteln, dass ihr Geist rastlos umherschweift, tritt Thomas nun innerlich einen Schritt zurück und richtet ihre Aufmerksamkeit auf den Augenblick.

 

Anpassung der Lebensweise
Mit seiner Angst leben zu lernen, ist ein individueller Prozess. Es lohnt sich, verschiedene Wege auszuprobieren. Obwohl Akzeptanz der erste und wichtigste Schritt ist, können auch Veränderungen des Lebensstils für Erleichterung sorgen. Müdigkeit und Stress machen uns anfälliger für Ängste. Darum helfen eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf und vor allem Bewegung, besser mit ihnen umzugehen. Eine wissenschaftliche Studie belegt, dass regelmäßige Trainingseinheiten die Wahrscheinlichkeit um 25 Prozent verringert, in den folgenden fünf Jahren eine Angststörung zu entwickeln. Sue Thomas nimmt heute ein Antidepressivum, das sowohl gegen ihre Angst als auch gegen ihre chronischen Schmerzen wirkt. Sie übt sich in Achtsamkeit, meditiert und hat ein neues Hobby: Zeichnen. Außerdem arbeitet sie bei der gemeinnützigen Organisation Time to Talk Mental Health UK (Zeit, über die psychische Gesundheit zu reden) mit. Auf dieser Online-Plattform können registrierte Mitglieder vertraulich Erfahrungen austauschen sowie Unterstützung erhalten. Das Gemeinschaftsgefühl, das Thomas dort erlebt, und die erlernten Bewältigungsstrategien haben ihr sehr geholfen. „Meine Ängste überschatten nicht mehr alles“, erzählt sie. „Natürlich gibt es sie noch, aber das ist okay – sie sind ein Teil von mir.“

 

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